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„Menschen sichtbar machen“

Flucht Statt eine akademische Diskussion zu führen, bieten die „Tage des Exils“ ein breit angelegtes Programm. Man wolle alle ansprechen, sagt Mit-Initiator Sven Tetzlaff

Interview Petra Schellen

taz: Herr Tetzlaff, Ihre „Tage des Exils“ bieten neben Lesungen mit syrischen Autoren auch einen Kinderzirkus und den „interaktiven Raum“ in einem Flüchtlingszentrum. Wo bleibt der rote Faden?

Sven Tetzlaff: Wir wollen die Menschen hinter dem Begriff „Flüchtling“ sichtbar machen. Und nicht einen akademischen Diskurs über Exil führen. Wir wollen Betroffenen wie der irakischen Jesidin Nadia Murad das Wort erteilen, die die Exil-Tage als UN-Sonderbotschafterin eröffnet. Ein Jeside aus der Flüchtlingsunterkunft Schnackenburg­allee wird bei der Gelegenheit eigene Zeichnungen von Verfolgung und Flucht zeigen.

Wie definieren Sie denn Exil?

Die „Tage des Exils“, die wir 2015 nach Ankunft der großen Flüchtlingsströme ins Leben riefen, thematisieren Schicksale von Menschen. Es ist allerdings eine Gemeinschaftsinitiative von über 50 Partnern, die nicht alle dasselbe Begriffsverständnis haben. Generell gilt: Exil ist ein Ort, an dem man Schutz vor Verfolgung im Herkunftsland sucht. Wir haben bei der Programmplanung aber keine „Exil-Prüfstelle“ eingerichtet, die feststellt, ob alle Teilnehmer im engeren Sinn im Exil sind.

Sondern?

Wir wollten möglichst viele Institutionen einbinden mit ihrem jeweiligen Blick auf Flucht und Exil: Wer ist zu uns gekommen, und wie geht Hamburg damit um?

Ihre Veranstaltungen reichen von Armeniern, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Türkei flohen, bis heute. Hat sich Hamburgs Umgang mit Flüchtlingen verändert?

Hamburg war immer Ort von Ein- und Auswanderung. Nach 2015/2016 sind die Herausforderungen aber größer geworden. Es haben sich viele Exil-Communitys gebildet. Jetzt ist wichtig, dass Stadt und Zivilgesellschaft Gelegenheiten schaffen, damit Flüchtlinge ihre Geschichte erzählen und sich nicht nur untereinander vernetzen, sondern auch mit Hamburgern in Kontakt kommen können.

Welche Rolle spielt Ihr eigener Stiftungspatron Herbert Weichmann?

Der Jurist, Journalist und Politiker ist in den 1930er-Jahren mit seiner Frau Elsbeth als Jude und Sozialdemokrat aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die USA ins Exil geflohen. 1948 holte Bürgermeister Max Brauer sie zurück. Weichmann wurde Präsident des Hamburger Rechnungshofes, 1957 Finanzsenator und 1965 bis 1971 Erster Bürgermeister. Als bis heute einziger Regierungschef jüdischer Herkunft im Nachkriegsdeutschland.

Die „Vertriebenen“ aus den einst deutschen Ostgebieten kamen 1945 nicht freiwillig. Hatten sie ähnliche Akzeptanzprobleme wie Flüchtlinge heute?

Entgegen mancher Mythen gab es damals oft massive Widerstände gegen die Neuankömmlinge. Es hat lange gedauert, bis Stereotype abgebaut waren. Die Willkommenskultur der letzten zwei Jahre hat viel schneller Hilfsangebote gemacht.

Sie bieten auch eine Veranstaltung über kulturelle Wurzeln. Was ist das überhaupt?

Das ist ein vielschichtiger Begriff. Wir haben die Tage des Exils bewusst „Veranstaltungen zum Leben diesseits und jenseits der Heimat“ untertitelt. Heimat kann Verwurzelung an einem Ort bedeuten, Heimat kann aber auch Sprache sein. Für Ilija Trojanow, der sein neues Buch „Nach der Flucht“ vorstellen wird, ist Heimat an die Sprache gebunden.

Gibt es eine Psychologie des Exils nach dem Motto: Mal wird die Heimat, mal der Exil-Ort idealisiert, sodass man sich ständig neu entwurzelt?

Wer ins dauerhafte Exil gezwungen wird, fühlt sich irgendwann auch in der Heimat nicht mehr richtig zu Hause. Der Begriff „Exil“ besagt ja, dass man eigentlich zurückkehren will. Im Unterschied zur Emigration.

Sven Tetzlaff

52, Historiker, leitet den Bereich Bildung der Körber-Stiftung und ist Geschäftsführer der Herbert-und-Elsbeth-Weichmann-Stiftung.

Dann wären vor Armut Flüchtende keine Exilierten.

Wenn sie sagen, sie wollen nicht zurückkehren, weil sie dauerhaft keine Entwicklungschance im eigenen Land sehen, würde ich von Emigration sprechen.

Erscheinen bei den „Tagen des Exils“ deshalb kaum Afrikaner?

Das kann man so nicht sagen, die Themen der Veranstaltungen sind unterschiedlich. Emigration und Exil sind manchmal nur äußere Zuschreibungen. Auch ein Mensch, der gelegentlich in die Heimat reist, kann sich weiterhin als exiliert betrachten. Da spielt die subjektive Wahrnehmung des eigenen Status eine Rolle.

Apropos Schutz: Nazi-Täter gingen nach 1945 ins südamerikanische Exil, IS-Täter finden sich in hiesigen Flüchtlingsunterkünften. Ist jeder Exilierte schützenswert?

Kriminelle und Gewalttäter sicher nicht. In den von Ihnen erwähnten Fällen dient das Exil der Verschleierung. Wobei der Begriff „Exil“ an sich neu­tral ist und einen Ort meint, an dem man Schutz vor Verfolgung sucht. Das bedeutet aber keine Aussage über die Menschen, die im Exil sind. Es können problematische Absichten und Hintergründe im Spiel sein, aber das ist sicher nicht die Regel.

Tage des Exils: Mo, 12. 6., bis So, 2. 7.Programm:www.tagedesexils.de

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