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Die Zeitung als Zeichen der Wut

Print „The New European“ ist das Blatt der Brexit-Gegner und sehr erfolgreich mit diesem Konzept

Es gibt sie noch, die Anti-Brexit-Zeitung. Gestartet war der britische New European am 8. Juli als „Pop-up-Zeitung“, zunächst auf vier Ausgaben begrenzt. Das Blatt hat 48 Seiten, weil es eine Stimme für die 48 Prozent der Briten sein will, die für den Verbleib in der EU gestimmt haben.

40.000 Menschen wollten das Blatt anfangs lesen. Also machte man nach der vierten Ausgabe weiter, und heute liegt die Auflage immerhin noch bei 25.000. Herausgeber ist der Verlag Archant in Norfolk, dem 130 Zeitungen und Zeitschriften sowie der lokale Fernsehsender Mustard TV gehören. Chefredakteur Matt Kelly arbeitete früher beim Daily Mirror. Die Marketing-Strategen von Archant ließen den New European nur an Zeitungsläden in den Hochburgen der Brexit-Gegner ausliefern. Gegenden, in denen eine deutliche Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt hatte, bekommen das Blatt nicht zu Gesicht. „Preaching to the converted“ nennt man das – man rennt mit den Lobliedern auf Europa offene Türen ein.

Die Zeitung, die wie die taz im Berliner Format erscheint, hat prominente Autoren und Autorinnen gewonnen. Den Unternehmer Richard Branson zum Beispiel, Expremier Tony Blair, die Grünen Caroline Lucas und Daniel Cohn-Bendit, oder auch Chuka Umunna, der als künftiger Labour-Chef gehandelt wird. Ein Coup gelang dem Blatt mit dem Erwerb der Rechte für das neue Buch des früheren Blair-Beraters Alastair Campbell, in dem er aus dem Nähkästchen über die Blair-Regierung plaudert. Wer den New European für 13 Wochen abonniert, bekommt das Buch kostenlos dazu. Dieser Deal sei „gut für den Verlag, gut für mich und gut für die Welt“, sagte Campbell bescheiden.

„Unsere Leser sind stolz darauf, mit der Zeitung unter dem Arm als Zeichen für ihre Wut durch die Stadt zu gehen“, sagt Kelly. Auch deshalb hatte man sich gegen ein reines Onlineprodukt entschieden. „Eine gedruckte Zeitung ist immer noch etwas Magisches.“ Der Verlag brauchte nach dem Brexit-Referendum nur neun Tage, um die erste Ausgabe herauszubringen. Archant verfügte über die nötige Infrastruktur, der Zeitpunkt war günstig. Die Menschen waren nach dem Volksentscheid verunsichert und wollten sich informieren, davon profitierten alle Zeitungen: Die Times legte voriges Jahr um 15 Prozent zu, der Guardian um 3,6 Prozent, und selbst das unsägliche Boulevardblatt Sun verkaufte 2 Prozent mehr Exemplare als 2015.

Kelly macht sich keine Illusionen, dass dieser Trend anhalten wird. „Es ist eine Zeitung für den Augenblick, ein Ausdruck des Zeitgeistes“, sagt er. „Wenn sich die Voraussetzungen in ein paar Wochen ändern, machen wir das Blatt wieder dicht. Wir sind darauf vorbereitet.“ Das liege in der Natur einer Pop-up-Zeitung. Doch noch ist es nicht so weit.

Der New European würde das Referendumsergebnis gerne umkehren. Für die britischen Parlamentswahlen am 8. Juni empfiehlt das Blatt, taktisch zu wählen: Wenn die Chance bestehe, einen Anti-Brexit-Kandidaten ins Unterhaus zu bringen, solle man die Loyalität zu einer bestimmten Partei hintenanstellen, empfiehlt die Zeitung.

Kelly wirft den überregionalen Zeitungen vor, die Nation einer „Gehirnwäsche über Einwanderung“ unterzogen zu haben. „Wenn man sich die Titelseiten ansieht, merkt man, wie heimtückisch diese Kampagne war, die den Menschen Angst vor Migranten eingejagt hat“, sagt er.

Andererseits waren Guardian, Mirror, Observer, die Mail on Sunday und die Times für den Verbleib in der EU, sagt der Journalist Angus Harrison und fragt: „Was wollen die 48 Prozent also?“ Diese Zeitung sei nicht mit den 48 Prozent vereint in ihrer Liebe zu Europa, meint er, sondern in ihrer Verachtung für die 52 Prozent.

Ralf Sotscheck, Dublin

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