: „Die Hemmschwelle sinkt immer weiter“
GEWALT Initiative: Anstieg bei Übergriffen auf Flüchtlinge, viele Minderjährige unter Opfern
Der Vorfall von Dezember ist einer der letzten Übergriffe auf minderjährige Flüchtlinge, den die Berliner Antirassistische Initiative (ARI) für 2016 zählt. Bei Weitem ist er aber nicht der einzige. 134 Angriffe auf jugendliche Asylsuchende notierte die unabhängige Dokumentationsstelle für 2016 – eine Versechsfachung zum Vorjahr, als es 23 Körperverletzungen waren. Auch altersunabhängig stieg die Zahl der Angriffe: von 242 im Jahr 2015 auf 505 im vergangenen Jahr. „Die Hemmschwelle für Gewalt sinkt immer weiter“, sagt ARI-Sprecherin Elke Schmidt.
Das Bundeskriminalamt zählte 2016 noch weit mehr Taten. 2.561 Angriffe auf Flüchtlinge im öffentlichen Raum wurden dort gemeldet. Dazu kamen 995 Angriffe auf Flüchtlingsheime. Darunter fallen auch versuchte Taten – die ARI zählt nur Fälle, die ihnen bekannt wurden und in denen Personen tatsächlich zu Schaden kamen.
Die Initiative dokumentiert seit 1993 Übergriffe auf Flüchtlinge. Mehr als 9.000 Vorfälle sind seitdem zusammengekommen. 24 Asylsuchende starben demnach durch Übergriffe auf der Straße, 83 durch Anschläge auf Unterkünfte, 217 durch Suizid vor Abschiebungen. Die aktuelle Jahresbilanz lag der taz vorab vor.
„Die Flüchtlinge suchen hier Sicherheit, aber viele müssen weiter in Angst leben“, sagt Schmidt. Die Gewalttaten würden die Betroffenen weiter traumatisieren. Schmidt fordert die Abschaffung von Massenunterkünften, die Angriffspunkte für Rechte seien, aber auch Gewalt unter Mitbewohnern verursachen würden, sowie eine bessere Opferberatung.
Die Initiative dokumentiert auch Selbstverletzungen von Flüchtlingen. 239 Vorfälle zählte sie hier 2016 – so viele wie seit Beginn der Aufzeichnung nicht. So sprang im thüringischen Schmölln ein Somalier aus dem Fenster einer Unterkunft, in Bayern warf sich ein Ägypter bei einer Polizeikontrolle aus einem Nachtzug. Die Fälle endeten tödlich. Konrad Litschko
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