Berliner SPD: Schulz oder Schuld?

Nach vorne schauen – das war die wichtigste Botschaft auf dem Landesparteitag der Berliner SPD am Samstag. Ein Versprecher offenbarte den Seelenzustand der Partei.

Glaube? Liebe! Hoffnung! Michael Müller (SPD), der Regierender Bürgermeister von Berlin Foto: dpa

Fast elf Stunden lang sitzen die Berliner Sozialdemokraten – oder genauer: ihre rund 240 Delegierten – am Samstag im Neuköllner Estrel-Hotel zusammen. Einen Einblick in die SPD-Seele sechs Tage nach der Wahlschlappe ihrer Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen lieferte aber schon die erste Viertelstunde.

Da tritt zur Begrüßung Barbara Loth ans Mikrofon, Vizechefin der Berliner Sozis, Ex-Stadträtin, Ex-Staatssekretärin, aber nicht gerade eine Rampensau. Was schade ist, weil so nicht jeder ihren entscheidenden Satz zum Post-NRW-Trauma mitkriegt: „Wir haben einen hervorragenden Kanzlerkandidaten, Martin Schuld, äh, Schulz.“

Je schlechter eine Partei dasteht, wie derzeit die SPD, umso wichtiger wird die Landesliste. Sie ist der Weg, ins Parlament zu kommen, wenn der eigene Wahlkreis verlorengeht oder dort ein Sieg ausgeschlossen ist. Denn abhängig vom Ergebnis bei der Zweitstimme – die für die Partei, nicht den einzelnen Bewerber – bekommt ein Landesverband eine bestimmte Anzahl von Sitzen im Bundestag. Und wenn die Partei nicht so viele Wahlkreise gewonnen hat, wie ihr Mandate zustehen, besetzt sie verbleibende Sitze über diese Liste. Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte die SPD acht von insgesamt 27 Mandaten in Berlin, und weil sie nur zwei Wahlkreise gewann, Mitte und Neukölln, rückten sechs Sozialdemokraten über die Liste in den Bundestag.

Die aussichtsreichen Plätze der Berliner SPD: 1. Eva Högl (SPD-Kreisverband Mitte), 2. Swen Schulz (Spandau), 3. Cansel Kiziltepe (Friedrichshain-Kreuzberg), 4. Klaus Mindrup (Pankow), 5. Mechthild Rawert (Tempelhof-Schöneberg), 6. Tim Renner (Charlottenburg-Wilmersdorf), 7. Ute Finckh-Krämer (Steglitz-Zehendorf), 8. Kevin Hönicke (Lichtenberg). (sta)

Als Michael Müller, Partei- und Regierungschef, auf den Kanzlerkandidaten zu sprechen kommt, sagt er dessen Namen extra deutlich gleich zweimal hintereinander. Schulz selbst ist zuvor zwei Minuten lang per Videobotschaft präsent. Recht nüchtern spricht er davon, dass die Berliner SPD eine kämpferische Truppe sei und man sich nicht entmutigen lasse. Viel Applaus löst das nicht aus.

Oft ist an diesem Tag noch zu hören, man werde kämpfen, sich nicht unterkriegen lassen. Am glaubhaftesten klingt das noch bei Müller selbst. Der verweist auf immer größere Sprünge in Umfragen, die sich schnell ändern könnten.

Kein Glaube

Auf den Gesichtern der Delegierten spiegelt sich allerdings kein ungebrochener Glaube. Wie auch? In den Zeitungen auf den Tischen stehen die neuesten Werte, nach denen die CDU weiter gewonnen, die SPD weiter verloren hat. 38 zu 26 Prozent steht es, im März lagen beide noch bei 33.

Müller mahnt zur Geschlossenheit, „denn es wird genau geschaut, wie wir miteinander umgehen“. Weniger Selbstbefassung, mehr positives Denken, fordert er: Man müsse selbstkritische Debatten führen, „aber nicht nur!“. Auch mal über Erfolge reden, statt immer nur zu fragen, „ob wir bis zum letzten Komma alles richtig machen“.

Und dann sagt er einen Satz, mit dem er sich von Schulz abgrenzt, der in seiner Messias-Zeit im März ankündigte, die Hartz-IV-Reformen korrigieren zu wollen, ohne konkret nachzulegen. „Lasst uns nicht selbst immer wieder über eine Arbeitsmarktreform aus dem Jahr 2003 reden“, fordert Müller: „Ich will nach vorne gehen.“

Die fünf KandidatInnen, die der Landesvorstand für die ersten Listenplätze zur Bundestagswahl empfohlen hat, werden jedenfalls klar gewählt. Spitzenkandidatin wird erneut Eva Högl. Sie hatte 2013 ihren Wahlkreis in Mitte direkt gewonnen.

Kein Spaß

Mit der CDU mag Högl künftig nicht mehr regieren – die Große Koalition mache „überhaupt keinen Spaß“, sagt sie. Doch weder von ihr noch von anderen der vorderen Kandidaten ist die Forderung nach einem rot-rot-grünen Bündnis zu hören, wie es auf Landesebene besteht.

Für einen speziellen Moment sorgt der Lichtenberger Kevin Hönicke. Er interpretiert das SPD-Mantra vom diskriminierungsfreien Zugang wohin auch immer neu. „Wir können bei der Bundestagswahl Geschichte schrei­ben: Es gab bislang noch nie einen Kevin im Bundestag“, sagt er – und die SPD stehe dafür, dass Namen nicht den Werdegang bestimmen dürften. Tatsächlich schafft er es auf einen Listenplatz, der 2013 für den Bundestag reichte.

Wählen sollen künftig nach einem Beschluss des Parteitags nicht nur Volljährige. Die Antragskommission, einflussreiches Vorfilter-Gremium jedes Parteitags, hatte sich dagegen ausgesprochen, doch die Mehrheit der Delegierten sieht das anders – nun soll sich die Bundesebene der SPD mit der Forderung nach einer Herabsetzung des Wahlalters befassen.

Aus einem anderen Antrag ist schon vor Sitzungsbeginn die Luft raus: Kein Stadionneubau hatte der gefordert und einen Konflikt mit Fußball-Bundesligist Hertha angebahnt. Doch just am Tag vor dem Parteitag lenkte Hertha ein und will jetzt doch über einen Umbau des Olympiastadions statt eines Neubaus nachdenken.

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