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„Die Heftigkeit der Attacken nimmt zu“

GEWALT Schulpsychologe Jan Wolters über die neue Gewaltstatistik der Bildungsverwaltung

Jan Wolters

ist Diplom-Psychologe und Verhaltenstherapeut und arbeitet beim schulpsychologischen Dienst in Tempelhof-Schöneberg.

taz: Herr Wolters, die Zahl der gemeldeten Gewaltvorfälle an Schulen nimmt zu. Werden mehr Fälle gemeldet oder ist die Hemmschwelle der Schüler gesunken?

Jan Wolters: Es ist beides. Zum einen nehme ich wahr, dass die Sensibilität für dieses Thema in den Schulen deutlich gestiegen ist – natürlich auch, weil sie auf Unterstützung hoffen. Gleichzeitig habe ich aber auch den Eindruck, dass die Heftigkeit der Attacken zunimmt.

Das belegen auch die Zahlen der Bildungsverwaltung vom Mittwoch: 431 Fälle von schwerer körperlicher Gewalt im ersten Schulhalbjahr, fast so viele wie im Gesamtschuljahr 2014/15. Auch Waffenbesitz wird öfter gemeldet. Was ist dann passiert?

Ein schwerer Gewaltvorfall heißt, dass eine Waffe im Spiel war: ein Stock, ein Knüppel oder wenn jemand am Boden liegt und mit Schuhen traktiert wird. Beim Waffenbesitz geht es meistens um Messer oder Schlagringe.

Warum diese neue Heftigkeit, von der Sie sprechen?

Ich glaube, teilweise haben sich die sozialen Spannungen noch verschärft. Berlin hat viele Flüchtlingskinder in die Willkommensklassen integriert, und die treffen dann an einigen Schulen auf Jugendliche, die auch keine guten Startbedingungen hatten. Da treten dann die Schwachen gegen die noch Schwächeren. Das ist für die Schulen gerade eine schwere Herausforderung.

Im Schnitt kommen in Berlin 5.700 Schüler auf einen Schulpsychologen. Können Sie den Schulen bei der schweren Herausforderung, von der Sie sprechen, da überhaupt helfen?

Jede Meldung ist ein Auftrag für uns, wir gehen dann vor Ort. Aber ob wir die Schulen wirklich so versorgen, wie sie es schlussendlich brauchen? Wenn es nicht so hohe Fallzahlen gäbe, wären wir natürlich an vielen Einzelfällen gerne intensiver dran.

Weniger hohe Fallzahlen könnte man vielleicht auch durch bessere Präventionsarbeit erreichen. Die Bildungsverwaltung hat im Januar ein Programm gegen Gewalt an Schulen vorgestellt, das unter anderem die Lehrer besser schulen will. Wo sehen Sie besonderen Nachholbedarf?

Wir sind sehr fokussiert auf die Täter, auch die Schulen. Da höre ich dann oft: „Schüler X hat das und das getan.“ Meine Frage ist dann: Und wie geht es dem Opfer? Ich finde, es gibt ein Recht auf Unversehrtheit im Schullalltag. Das gilt im Übrigen auch für Lehrer.

Die gemeldeten Übergriffe auf Lehrer sind in den letzten Jahren ebenfalls gestiegen.

Ja, weil Lehrer zunehmend den Mut haben zu sagen: Ich wurde angegriffen. Sie glauben nicht, mit welcher Beschämung die Lehrkräfte da zu kämpfen haben. Sie sind ja Opfer geworden. Das im Lehrerzimmer zuzugeben, fällt vielen schwer.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) prüft, ob es auch eine Meldepflicht für leichtere Vorfälle wie Mobbing geben soll. Ist das sinnvoll?

Ja, alleine schon damit klar ist, was die Schulen eigentlich brauchen. Das gilt übrigens gerade für Cybermobbing, da schätze ich die Dunkelziffer als sehr erheblich ein. So ein Smartphone kann schon eine Waffe sein.

Interview Anna Klöpper

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