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Parlamente dürfen über Freihandel entscheiden

EUROPÄISCHER GERICHTSHOF Moderne Freihandelsverträge der EU benötigen auch die Zustimmung nationaler Volksvertretungen

Bei umstrittenen Handelsverträgen dürfen künftig alle Staaten mitreden: Proteststicker gegen TTIP und Ceta am Gebäude der EU-Kommission in Brüssel Foto: Stephanie Lecocq/dpa

aus Freiburg Christian Rath

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat einen langen Streit um die demokratische Legitimation von EU-Freihandelsverträgen entschieden. In einem Gutachten kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die aktuellen Freihandelsabkommen der EU in der Regel „gemischte Abkommen“ sind. Sie benötigen also auch die Zustimmung aller nationalen Parlamente.

Konkret ging es um ein Abkommen der EU mit Singapur (EUSFTA). Es ist eines der ersten Freihandelsabkommen der „neuen Generation“. Das heißt: Es regelt nicht nur den Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen, sondern auch den Schutz von Investitionen, des geistigen Eigentums und eine Liberalisierung der öffentlichen Beschaffung. Es steht daher stellvertretend für ähnliche Abkommen wie Ceta, den bereits beschlossenen EU-Vertrag mit Kanada, und TTIP, den ins Stocken geratenen EU-Vertrag mit den USA.

Das Singapur-Abkommen wurde im September 2013 als „gemischtes Abkommen“ geschlossen. Das heißt: Zunächst haben EU-Ministerrat und Europäisches Parlament zugestimmt. Anschließend müssen noch die nationalen Parlamente in den 28 EU-Mitgliedstaaten den Vertrag ratifizieren.

Die EU-Kommission hielt die Einstufung als „gemischtes Abkommen“ aber für falsch. Sie wollte im Bereich der Handelspolitik eine ausschließliche Kompetenz der EU und forderte deshalb 2015 beim EuGH ein Gutachten an.

Das hat der EuGH am Dienstag veröffentlicht. Es weist die Position der EU-Kommission zurück. Das Abkommen mit Singapur sei zu Recht als „gemischtes Abkommen“ eingestuft worden. Das Gutachten ist rechtlich verbindlich und hat insofern die gleichen Wirkungen wie ein Urteil. Die Bedeutung der Sache ist schon daran zu sehen, dass der EuGH im Plenum aller 28 Richter entschied.

Für die Einstufung als „gemischtes Abkommen“ sprachen vor allem zwei Inhalte des Vertrags, die laut EuGH in die „geteilte Zuständigkeit“ von EU und Mitgliedstaaten fallen. Zum einen geht es um die Streitschlichtung zwischen Investoren aus Singapur und EU-Staaten durch Schiedsgerichte. Damit würden Streitigkeiten um gebrochene Subventionsversprechen und Ähnliches der nationalen Gerichtsbarkeit entzogen. Denn wenn der Investor ein Schiedsgericht anruft, muss er vorher eine eventuelle Klage bei nationalen Gerichten zurückziehen.

In die geteilte Zuständigkeit falle zudem der Schutz sogenannter Portfolio-Investitionen. Das sind Investitionen, die nur auf Rendite zielen und nicht darauf, ein Unternehmen strategisch zu kontrollieren.

Andere umstrittene Materien des Vertrags ordnete der EuGH aber der ausschließlichen EU-Kompetenz zu: Der Schutz von Direktinvestitionen (Investitionen, die auf die Kontrolle eines Unternehmens zielen), der Schutz des geistigen Eigentums (zum Beispiel im Urheber- und Patentrecht), der Schutz des Wettbewerbs (zum Beispiel durch Fusions-, Kartell- und Subventionskontrolle) sowie die Zielvorgaben für eine nachhaltige Entwicklung (inklusive Arbeitnehmerrechten und Umweltschutz).

Die Entscheidung des Gerichtshofs kommt nicht überraschend. Zu massiv war der Druck der EU-Mitgliedstaaten, die ihre Parlamente beteiligt sehen wollten, um die Legitimation der Freihandelsabkommen zu sichern. Wenn der EuGH der EU-Kommission gefolgt wäre, hätte er die bisherige Praxis kippen müssen. Für das Singapur-Abkommen sind nun also keine Änderungen erforderlich. Die Ratifizierung in den Mitgliedstaaten kann beginnen.

Das Gutachten ist rechtlich verbindlich, auch für zukünftige Abkommen der EU etwa mit den USA, Japan oder mit Großbritannien 'nach dem Brexit

Auch für das Ceta-Abkommen mit Kanada sind keine Änderungen erforderlich. Es wurde voriges Jahr ebenfalls als gemischtes Abkommen geschlossen. Die EU-Kommission hatte zwar darauf gedrängt, es als „EU only“-Abkommen zu behandeln, konnte sich aber nicht durchsetzen. Der EU-Ministerrat hatte im Oktober zugestimmt – nach einigem Hin und Her mit dem belgischen Teilstaat Wallonien. Das Europäische Parlament folgte im Februar. Jetzt müssen noch die Parlamente der Mitgliedstaaten ratifizieren.

In Deutschland ist umstritten, ob neben dem Bundestag auch der Bundesrat zustimmen muss. Ceta wird teilweise bereits vorläufig angewandt. Die umstrittenen Regelungen über den neu geschaffenen Investitions-Gerichtshof sind von der vorläufigen Anwendung aber ausgenommen.

Das EuGH-Gutachten wird auch für zukünftige Abkommen der EU Bedeutung haben, etwa Abkommen mit den USA, Japan oder mit Großbritannien nach dem Brexit. (Az.: Avis 2/15)

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