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Ulrich Schulte über die Machtstrategie der GrünenZahnlos im Schlafwagen

Am liebsten wäre es den Grünen ja, wenn es keine politischen Lager mehr gäbe. „Nicht links, nicht rechts, sondern vorn.“ Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt setzen diese Gründerparole erstmals konsequent in einem Bundestagswahlkampf um. Sie weigern sich strikt, vor der Wahl Sympathien für ein mehrheitsfähiges Bündnis zu signalisieren. Doch diese Strategie führt zu einer Zahnlosigkeit, die für die Grünen hochgefährlich ist.

Im Moment fragen sich viele Menschen, wofür die Grünen eigentlich stehen – das zeigen die schlechten Umfragewerte im Bund. Und die beiden Spitzenkandidaten verstärken diese Unklarheit noch. Ihre Attacken haben sie bisher auf diejenigen fokussiert, die bei vielen Inhalten ihre Verbündeten sein sollten. Ihr Hauptgegner ist nicht die Merkel-CDU, sondern die SPD von Martin Schulz. Die CDU sägt am Doppelpass? Cem Özdemir findet eine Reform durchaus bedenkenswert. Der Innenminister formuliert ein paar plumpe Leitkultur-Thesen? Kein scharfes Wort von dem Spitzengrünen.

Nun ist gegen Offenheit gegenüber der Union im Grunde nichts zu sagen. Wer den sozialökologischen Umbau der Gesellschaft gestalten will, muss auch im Bund mit CDU oder FDP koalieren können. Aber demonstrative Fügsamkeit ist die falsche Strategie. Noch mal: Die Leute wollen wissen, wo die Grünen stehen. Und sie stehen näher bei der SPD, ob nun in der Sozial-, Gesellschafts- oder Finanzpolitik. Offensichtliche Schnittmengen zu ignorieren, erklärt die Wähler für dumm.

Dabei wären Attacken auf Merkel für Schwarz-Grün nicht so schädlich, wie Özdemir und Göring-Eckardt offensichtlich denken. Im Schlafwagen, das haben die Landtagswahlen gezeigt, fährt heute keiner mehr ins Amt. Robert Habeck macht es in Schleswig-Holstein gerade vor: Ein Grüner kann am Ende nur dann glaubhaft mit den Schwarzen regieren, wenn er sich vorher ernsthaft mit SPD-näheren Optionen auseinandersetzt.

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