Alevitische Forschung kommt nach Berlin

Theologie Die Humboldt-Universität möchte eine Juniorprofessur für Alevitische Studien einrichten. Das kann aber noch dauern

Wallfahrtsort Hacıbektaş in Anatolien: eine alevitische Frau bei einem religiösen Ritual Foto: Umit Bektas/reuters

Von Hülya Gürler

Den Mystiker Hacı Bektaş Veli verehren die Aleviten als einen ihrer bedeutendsten Religionsstifter. Der Überlieferung nach sagte er über die Wissenschaft, sie sei „das Licht, das den Weg zur Wahrheit leuchtet“. Für den anatolischen Gelehrten waren Wissen und Glaube kein Widerspruch. Mehr als sieben Jahrhunderte nach seinem Tod und Tausende Kilometer von seiner Heimat entfernt soll nun die Humboldt-Universität (HU) ein wissenschaftliches Licht auf das Alevitentum werfen.

Berlin bekommt eine Juniorprofessur für Alevitische Studien. So sieht es der Entwurf des Hochschulvertrags 2018 der Senatsverwaltung für Wissenschaft vor. Neu ist das Alevitentum an einer deutschen Universität nicht. In Hamburg gibt es bereits seit 2015 die weltweit erste Professur für Alevitische Theologie. Die Pädagogische Hochschule Weingarten in Baden-Württemberg bietet seit dem Sommersemester 2011 für Lehramtsstudierende ein erweitertes Studium der Alevitischen Religion an.

Die Berliner Professur wird allerdings noch warten müssen. Zunächst wird die Humboldt- Universität möglichst bis zum Wintersemester 2018/19 ein Institut für Islamische Theologie einrichten – das sechste in ganz Deutschland. Mit dieser Aufgabe ist der pensionierte Geschichtsprofessor Michael Borgolte beauftragt. Erst danach soll die Universität den Aufbau der Alevitischen Studien angehen. Vorher müssen noch der Senat und das Abgeordnetenhaus den Entwurf des Hochschulvertrags absegnen.

Der Vertrag sieht eine Finanzierung von insgesamt 13,8 Millionen Euro vor, sowohl für das Islamische Zentrum mit vier Professuren als auch für die Juniorprofessur für Alevitische Studien. An welcher Fakultät oder an welchem Institut die Juniorprofessur genau angesiedelt werden soll, steht noch nicht fest. „Ursprünglich sollten die Aleviten in das Islamische Institut einbezogen werden. Dann aber sind sie aus der gemeinsamen Beratung über das Islaminstitut ausgestiegen“, sagt Borgolte.

Einen Kanon bilden

Bettina Jarasch, die religionspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, hält diesen Schritt der alevitischen Gemeinde für konsequent: „Die Aleviten sind eine eigenständige Religionsgemeinschaft mit einem eigenen Bekenntnis.“ Zahlenmäßig ist die Glaubensgemeinschaft der Aleviten mit schätzungsweise 70.000 Mitgliedern eine nicht zu unterschätzende Religionsgruppe in Berlin.

Die Alevitische Gemeinde zu Berlin ist von Anfang an bei den Beratungen des Senats mit der Universität dabei gewesen. Ihr Vorsitzender, Halit Büyükgöl, sieht ein reges akademisches Interesse am Alevitentum. „Immer wieder fragen uns Studierende oder Promovierende nach Unterstützung. Unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Mit der Juniorprofessur wird es eine Anlaufstelle geben, die alevitische Religion und Geschichte auf eine wissenschaftliche Grundlage heben und Mittel für die Forschung bereitstellen wird.“

„Neben Wissenschaftlern sollen Gemeindevorsteher und Lehrer für den Religionsunterricht für alevitische Kinder ausgebildet werden“, sagt Michael Borgolte. Er sieht die junge alevitische Theologie vor einer ganz besonderen Herausforderung. „Es geht bei so einer Professur erst einmal darum, aus den mündlichen und schriftlichen Überlieferungen der Aleviten überhaupt einen Kanon herauszubilden“ – und noch nicht so sehr, wie bei entwickelten Theologien wie etwa im Katholizismus, darum, einen bereits vorhandenen Kanon zu interpretieren und zu kommentieren.

Die meisten Aleviten leben in der Türkei, denn das Alevitentum entstand im Mittelalter in Anatolien. In der über Jahrhunderte geheim gehaltenen Lehre vermischen sich islamische und nicht islamische Elemente, darunter schamanistische, schiitische und die Mystik des Wanderpredigers Hacı Bektaş Veli.

Aleviten verehren Ali, den Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Sie halten sich nicht an im Islam übliche Gebote. Sie beten etwa nicht in Moschee, pilgern meist nicht nach Mekka.

In Deutschland leben schätzungsweise bis 700.000 Aleviten, in der Türkei etwa 12 bis 25 Millionen, dort sind sie nicht als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt. (hg)

Damit aber stellt sich das zweite Problem: Wer kann das machen? „Man muss eine Professur auf einem angemessenen wissenschaftlichen Niveau halten. Ich bin da zum gegenwärtigen Zeitpunkt skeptisch.“ Weil alevitische Theologie an den Universitäten noch in den Anfängen steckt, erst recht in Berlin, gibt es bisher nach Borgoltes Meinung keine WissenschaftlerInnen, die für eine Professur qualifiziert wären.

Hüseyin Ağuiçenoğlu, Leiter des Studiengangs für Alevitische Religion in Weingarten, ist da optimistischer. „In Deutschland gibt es viele KandidatInnen, die für die geplante Stelle geeignet wären.“ Für eine Juniorprofessur reicht in der Regel eine herausragende Promotion aus.

Die Idee für eine Professur für Alevitische Studien geht nicht auf Rot-Rot-Grün zurück. Bereits die schwarz-rote Vorgängerkoalition sah sie in ihrem „Masterplan Integration und Sicherheit“ vor. Nun gibt es aber eine neue Idee: Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung im Februar meldete, sollen mehrere Religionen in einer einzigen Fakultät der Humboldt-Universität vereint werden. Dazu sagte HU-Präsidentin Sabine Kunst Anfang März: „Wir müssen einen Schritt nach dem anderen gehen.“ Der erste sei das Institut für islamische Theologie. „Dieses wichtige Projekt darf jetzt nicht überfrachtet werden durch eine viel weiter gefasste Idee.“

Für den Wanderprediger Hacı Bektaş Veli war Wissenschaft eine Lebensaufgabe mit unendlich vielen Schritten – „von der Wiege bis zum Grabe“.