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Geschichten einer mutigen Rebellin

RETROSPEKTIVE Das Kino Arsenal zeigt von Samstag an eine Werkschau der ungarischen Filmemacherin Márta Mészáros

Schicksalhafte Begegnung zweier Frauen: Szene aus „Örökbefogadás“ (Adoption, 1975) Foto: Arsenal Institut

Von Carolin Weidner

Es hat sich als ein glücklicher Trend erwiesen, das Filmschaffen der europäischen Regie-Pio­nierinnen neuerlich auf die Leinwände zu projizieren. Vor zwei Jahren nahm die Reihe „Aufbruch der Autorinnen – Regisseurinnen der 60er Jahre“ im Zeughauskino ihren Auftakt, ein Jahr später folgte die Fortsetzung. Auch ein Film der ungarischen Regisseurin Márta Mészáros war darunter – „Holdudvar“ (1969), deutscher Titel „Die Aura des Mondes“.

„Holdudvar“ ist der zweite Film der 1931 in Budapest geborenen Mészáros, und während der kommenden Retrospektive im Arsenal von morgen bis zum 30. Mai wird er zwar nicht zu sehen sein, dafür aber zehn andere, die nicht nur diejenigen interessieren dürften, die bereits in „Holdudvar“ Besonderes auszumachen wussten. Márta Mészáros ist unter Cinephilen keine Unbekannte, ihre Filme gewannen Preise in Cannes und Berlin.

Träumen vom Kino

Am bekanntesten ist wohl ihre Tagebuch-Trilogie, entstanden zwischen 1982 und 1990. Mészáros Alter Ego Juli Kovács (Zsuzsa Czinkóczi) durchlebt hier stellvertretend Episoden aus dem Leben der Regisseurin, die 1936 mit ihren Eltern (beide Künstler) ins sowjetische Exil im heutigen Kirgisistan zog. Nach dem Tod des Vaters, Bildhauer László Mészáros, der 1938 dem stalinistischen Terror zum Opfer fiel, und dem rasch folgenden Ableben der Mutter nur vier Jahre später, kehrte Mészáros als Jugendliche 1946 mit einer ungarischen Adoptivmutter nach Budapest zurück. Die Rückkehr in die Geburtsstadt bildet den Anfangsmoment von „Napló gyermekeimnek“ (Diary For My Children, 1982). Juli Kovács tritt in ihm als eigensinniger Backfisch in Erscheinung, der sich meisterlich gegen die gouvernantenhafte Magda (Anna Polony) durchsetzt, eine kommunistische Parteifunktionärin, die stets in Uniform das Bild flankiert und von der Juli zu Disziplin und Respekt gemahnt wird. Vergeblich. Denn die vergnügt sich viel lieber im Kino, träumt davon (in einer Szene richtet sie sich sogar als Filmdiva her, sitzt mit aufgemalten, dünnen Augenbrauen sehnsüchtig in einer Loge) und fantasiert sowie idealisiert das verblichene Elternpaar. Márta Mészáros’ Tagebuch-Filme sind Erzählungen des Clashs, großgesellschaftlich angelegte Beobachtungen, doch aus der Perspektive einer mutigen Rebellin heraus angestellt. Und wie Mészáros verlässt schließlich auch Juli Kovács in den fünfziger Jahren Ungarn, um an einer Moskauer Filmhochschule zu studieren. „Napló szerelmeimnek“ (Diary for My Loves, 1987) erzählt davon.

Mészáros’ Filme erzählen von Konflikten immer aus rebellischer Perspektive

Leicht wird es ihnen allerdings auch dort nicht gemacht, und so realisierte Márta Mészáros ihren Debütfilm nicht in Moskau, sondern in Ungarn. Er heißt „Eltávozott nap“ (Das Mädchen, 1968) und ist mit Kati Kovács in der Hauptrolle besetzt (die in den siebziger Jahren eine beachtliche Karriere als DDR-Schlagerstar hatte), einer jungen Frau, die in einem Heim für elternlose Mädchen herangewachsen ist und unverhofft Post von ihrer Mutter erhält. Die lebt mit ihrer Familie in einem kümmerlichen Dorf, in dem sie die Tochter eines Tages unangekündigt aufsucht. Große Wiedersehensfreude mag sich nicht einstellen, auch, weil die Bäuerin die Existenz der Tochter verheimlichen muss – als bis dato unbekannte Nichte aus Budapest verbringt die Städterin einige Tage auf dem Land, wobei ihr nicht nur ein Mann vor die Füße fällt. Wo sich „Das Mädchen“ nach der zentralen Suchbewegung wieder in einer wissenderen Ausgangsposition einzufinden scheint, wird die Begegnung zweier Frauen, die sich im intimen „Örökbefogadás“ (Adoption, 1975) ereignet, schicksalhaft.

Geheimnisvolle Aura

Wieder ist es eine Einrichtung für Mädchen, dem Mészáros eine ihrer Heldinnen entnimmt: die geheimnisvolle Anna (Gyöngyvér Vigh), die sich der Anfang-vierzig-Jährigen Kata (Katalin Berek) anvertraut – sie hat sich in einen Jungen verliebt, den sie heiraten möchte, doch niemand erlaubt das Zusammensein, weswegen sie sich nächteweise einen Unterschlupf in Katas Haus verspricht. Die wiegelt zunächst ab, erliegt Anna jedoch schnell, die sich auf magische Art Zugang zu Katas eigener seelischer Unterkellerung verschafft. Denn die wünscht sich ein Baby von einem Mann, mit dem sie zwar seit mehreren Jahren in einer Beziehung lebt, der andererseits aber verheiratet ist. Kata muss eigene Wege gehen, fernab bereits beschrittener. Und das ist auch etwas, was Juli (Lili Monori) in „Kilenc hónap“ (Neun Monate, 1976) probiert, nachdem sie auf János’ (Jan Nowicki) Werben eingegangen ist. Jenem steht der Sinn nämlich nach kleinbürgerlichem Familienglück, das die Studentin und Mutter mit einer Mischung aus Kühnheit und Verzweiflung behandelt. Eine typische Márta-Mészáros-Figur, wortkarg, dabei innerlich und häufiger auch äußerlich aufbegehrend.

13. bis 30. Mai, Kino Arsenal

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