: Absurde Ausflüchte
Urteil In seiner Gartenlaube richtet ein 48-Jähriger ein SM-Studio ein, dann will er eine Jugendliche entführen. Vor Gericht leugnet er den Plan – trotz aller Beweise. Er muss fünf Jahre ins Gefängnis
von Uta Eisenhardt
Wie ein Raubtier hatte sich Ronald L. auf die Lauer gelegt. Er kauerte hinter dem Beifahrersitz und wartete darauf, dass die damals 15-jährige Angelika W. sein Auto erreichen würde, in das er sie hineinziehen wollte. Doch das Mädchen wehrte sich, sie schrie. Passanten wurden aufmerksam, mischten sich ein und riefen die Polizei. Der 48-Jährige gab auf und raste mit seinem Wagen weg vom Tatort in Marzahn. Vor seiner Haustür in Friedrichshain wurde der bis dato nicht Vorbestrafte festgenommen. Das war in den Morgenstunden des 1. Juni 2015.
Im März 2016 begann der Prozess gegen den schmächtigen S-Bahn-Fahrer. Nach der Befragung von mehr als 50 Zeugen verurteilte ihn das Berliner Landgericht am Freitagnachmittag wegen versuchter Geiselnahme und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.
Von einer „akribisch vorbereiteten Tat, die aufgrund glücklicher Umstände im Versuch steckengeblieben ist“, spricht der Vorsitzende Richter Herbert Hubrich in der Urteilsbegründung. Er beschreibt, wie der Angeklagte, kaum war seine Lebensgefährtin abgereist, mit seinen intensiven Vorbereitungen für die Tat begann. Er klebte die Rückscheiben seines Fahrzeugs mit getönter Folie ab und verwandelte das Schlafzimmer seiner Laube in Bad Freienwalde in ein SM-Studio: Die Fenster schützte er mit Schilfmatten vor unerwünschten Blicken, die Wände wurden mit silberfarbenen Satin verkleidet und mit Haken präpariert. Stative mit Scheinwerfern und solche für Kameras hatte er aufgestellt, den Kühlschrank gefüllt, seine Hunde in die Obhut einer Züchterin gegeben.
Bei der Durchsuchung stießen die Ermittler auf Stahlketten und ein Vorhängeschloss; sie fanden Fesseln und Spanngurte, Panzertape, Viagra und Likörflaschen, in denen ein Schmerz-Beruhigungs-Mittel aufgelöst worden war. Die Funde ließen kaum eine andere Deutung zu: Der Angeklagte, der jahrelang mehr als 4.500 kinderpornografische Darstellungen von Mädchen und Jungen jeden Alters gesammelt hatte, wollte sein Opfer filmen, während er es zum Sex zwang.
Trotz der erdrückenden Beweise gab sich der von Zeugen als wortkarger, konfliktscheuer Einzelgänger beschriebene Angeklagte nicht geschlagen. Mal erfinderisch, mal trotzig deutete er jedes Detail um. Das Opfer will er mit seiner Lebensgefährtin verwechselt, das Studio zum Kitten ihrer angeschlagenen Beziehung eingerichtet haben. Die Haken an der Wand sollten ihm zum Lüften von Stuhlauflagen dienen, auch Sportübungen für den Schulterbereich wollte er daran ausführen. Die femininen Masken und Perücken sollten männliche Autofahrer davon abhalten, ihn zum schnelleren Fahren zu drängen, der Mundspreizer das Putzen der Zähne seiner Hunde erleichtern. Autoabgase, Dehydrierung und Schlafmangel hätten seine Zurechnungsfähigkeit herabgesetzt.
Es hat das Gericht viel Zeit gekostet, dem Angeklagten akribisch seinen Plan nachzuweisen. In seinen letzten Worten, während deren die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen worden war, soll Ronald L. zaghaft angedeutet haben, dass bei ihm etwas „schiefgelaufen“ sei. Der Richter hofft, dass dies den Beginn einer Einsicht markiert.
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