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Gegen den Oligarchen war der Premier machtlos

TschechienHinter dem Abtritt des Regierungschefs steckt ein Konflikt mit dem Finanzminister

Als Finanzminister hat sich Babiš ein perfektes System der Kontrolle geschaffen

AUS PRAG Alexandra Mostyn

Fast hätte die Regierung von Bohuslav Sobotka die gesamte Legislaturperiode geschafft. Doch knapp sechs Monate vor den Wahlen gab der Sozialdemokrat auf: Am Dienstag trat der 45-Jährige entnervt von seinem Amt zurück. Wie ein gejagtes Tier war Sobotka von seinem Koalitionspartner, dem Oligarchen und Finanzminister Andrej Babiš, in die Ecke gedrängt worden. Sein Rücktritt ist ein letztes, viel zu spätes Aufbäumen.

Der eigentliche Auslöser der Regierungskrise ist absurd: Der Finanzminister und zweitreichste Tscheche will keine Steuern zahlen. Babiš hatte 2012 ein Steuerschlupfloch genutzt. Das ermöglichte es Unternehmern, steuerfrei beliebig viele Schuldscheine ihres eigenen Unternehmens mit einem Nominalwert von einer Krone zu kaufen. Babiš kaufte 2012 1,5 Milliarden dieser Schuldscheine seiner eigenen Holding Agrofert, was ihm bis heute jährlich umgerechnet 4 Millionen Euro Gewinn einbringt. Offiziell hat Babiš als Finanzminister die Agrofert zu Jahresbeginn an eine Treuhand übertragen, die aus engsten Geschäftspartnern und seiner Frau besteht.

Nachfragen, ob und wie er überhaupt genug Geld verdient hatte, um 1,5 Milliarden Kronen in Schuldscheine zu investieren, wies er zurück. „Zu behaupten, dass mir das Geld nicht gereicht hat, ist Unsinn. Das sagen wirtschaftliche Dilettanten, und der Ministerpräsident versteht das nicht, … weil er im Grunde genommen nie gearbeitet hat“, schimpfte Babiš über Sobotka, als der auf einer Erklärung beharrte.

Babiš geht es letztlich um Kontrolle und Macht. Als Finanzminister hat er mit der Einführung von Registrierkassen den gläsernen Unternehmer geschaffen, der nonstop virtuell mit dem Finanzministerium verbunden ist. Babiš, der sich selbst windet, Steuern zu zahlen, hat sich ein perfektes System der Kontrolle erschaffen. Dabei ist er selbst äußerst undurchsichtig und steht in Verdacht, EU-Subventionen missbraucht zu haben. Die Anti-Betrugsbehörde der EU (Olaf) ermittelt noch.

Nach Sobotkas Schlussstrich geriert sich Babiš jetzt als Opfer. In sozialen Netzwerken und ganzseitigen Anzeigen in den von ihm kontrollierten Medien zeigt er sich mit zugeklebtem Mund. Warum, so fragt er, wolle Sobotka Babiš’ Partei ANO den Mund verbieten? Er habe Angst, weil sie zu viel wüssten über schlechte Privatisierungsdeals, an denen Sobotka politisch beteiligt war, suggeriert Babiš. „Auf jeden Fall geht es hier nicht um einen persönlichen Streit zwischen Sobotka und Babiš“, betont der Journalist Pavel Šafr, der sich intensiv mit Babiš beschäftigt.

„Diese Regierungskrise ist die logische Folge einer Koalition demokratischer Parteien mit dem politischen Gebilde eines Raubtiers, das nach Macht strebt und sich zum Ziel gesetzt hat, seine politische Konkurrenz zu zerstören, und das in einer Atmosphäre dunkler finanzieller und unternehmerischer Operationen groß geworden ist“, warnt Šafr.

Babiš dürfte Tschechiens nächster Regierungschef werden. Sei es im Oktober, wenn reguläre Wahlen anstehen, oder in vorgezogenen Wahlen, wenn sich das Parlament selbst auflöst. Babiš’ ANO liegt derzeit in Umfragen bei 35 Prozent.

Die Geschicke des Landes allerdings liegen nach Sobotkas Rücktritt in den Händen von Präsident Miloš Zeman und dessen kremlnaher Clique. Doch Zeman ist ein Politiker, in dessen Windschatten Babiš unternehmerisch groß werden konnte. Die Verfassung ermöglicht dem Präsidenten, Babiš schon als Regierungschef zu ernennen.

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