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DORTMUND Hinter dem Anschlag auf den BVB-Bus steckte wohl ein skrupelloses SpekulationsgeschäftMit Terror Geld machen

Von Christian Rath

KARLSRUHE taz | Der Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund am 11. April hatte wohl keinen terroristischen Hintergrund. Als mutmaßlicher Täter wurde am Freitagmorgen ein 28-Jähriger festgenommen. Der Mann hatte nach Angaben der Bundesanwaltschaft vermutlich aus finanziellem Interesse gehandelt. Er wollte mit dem Anschlag wahrscheinlich einen Absturz der BVB-Aktie auslösen, auf den er mit dem Kauf von Zehntausenden Optionsscheinen gewettet hatte.

Der mutmaßliche Täter Sergej W. stammt nach Medienberichten aus Freudenstadt im Schwarzwald, arbeitete aber als Elektriker in einem Kraftwerk in Tübingen. In Rottenburg am Neckar hatte er ein Zimmer zur Untermiete, wo er auch die Nacht auf Freitag verbrachte. Die GSG-9-Spezialtruppe der Bundespolizei nahm ihn fest. Anschließend durchsuchten Polizeikräfte vier Objekte in Baden-Württemberg – offenbar die beiden Wohnungen Ws., seinen Arbeitsplatz sowie eine Immobilie in Haiterbach, Kreis Calw, die auch mit Sergej W. in Verbindung stehen soll. Derzeit geht die Bundesanwaltschaft davon aus, dass W. keine Komplizen hatte.

Zur Vorbereitung des Anschlags hatte sich W. schon im März im Hotel L’Arrivée, dem späteren Teamhotel von Borussia Dortmund, eingemietet. Auch am Tattag bezog er im Hotel ein Zimmer mit Blick auf den Tatort. Vermutlich hat er von dort aus per Funk drei Sprengladungen aktiviert, die an der Route des BVB-Busses platziert waren. Die Sprengsätze waren laut Ermittlern mit 7 Zentimeter langen und 15 Gramm schweren Metallstiften bestückt.

Die Sprecherin der Bundesanwaltschaft, Frauke Köhler, beendete Spekulationen, wonach die Sprengsätze eine Sekunde zu spät gezündet worden seien und deshalb nur relativ geringen Schaden anrichten konnten. Tatsächlich sei die Zündung der drei Sprengsätze „zeitlich optimal“ erfolgt. Allerdings sei das mittlere der drei Sprengpakete zu hoch platziert gewesen, sodass die Metallstifte vor allem über den BVB-Bus hinwegflogen. Der erste und dritte Sprengsatz waren in Bodennähe deponiert, der mittlere in etwa ein Meter Höhe.

Nach den bisherigen Erkenntnissen wollte W. mit dem Anschlag einen Kurssturz der BVB-Aktie auslösen. Dazu hätte er aber wohl große Teile der Mannschaft töten oder schwer verletzen müssen. Ob die Sprengsätze dazu geeignet waren, ist zweifelhaft. Der erste und der dritte Sprengsatz hatten Schäden am Bus angerichtet, mehrere Sicherheitsscheiben zerbarsten, der BVB-Verteidiger Marc Batra wurde durch Splitter an Hand und Arm verletzt, und ein Metallstift bohrte sich in eine Kopfstütze im Bus.

Ungewöhnliche Käufe

Die Bundesanwaltschaft geht derzeit davon aus, dass der mutmaßliche Täter keine Komplizen hatte

W. hatte mit einem Anfang April aufgenommenen Verbraucherkredit über rund 40.000 Euro am Tattag mehrfach Optionsscheine gekauft, mit denen er faktisch auf einen Kursverlust der Vereinsaktien wettete (sogenannte Put-Optionen). Zum maximal möglichen Gewinn wollte die Bundesanwaltschaft noch nichts sagen. Die Bild-Zeitung schätzte ihn auf 39 Millionen Euro, Spiegel Online dagegen nur auf 200.000 Euro.

Die Ermittler kamen W. auf die Spur, nachdem eine Bank ungewöhnliche Käufe von BVB-Optionsscheinen meldete. Anhand der IP-Adresse konnte festgestellt werden, dass diese Geschäfte ausgerechnet aus dem Hotel Arrivée getätigt wurden. W. hatte sich in dem Teamhotel des BVB auch schon anderweitig verdächtig gemacht, weil er da­rauf bestand, Zimmer zur Straße zu buchen. Außerdem habe er nach dem Anschlag ganz ruhig ein Steak bestellt, während andere Gäste sehr aufgeregt gewesen seien, berichtete Bild.

Am Freitagnachmittag sollte W. in Karlsruhe dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt werden. Der Richter musste dann über einen Haftbefehl entscheiden. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm zwanzigfachen versuchten Mord vor. Beobachter rechneten damit, dass W. in Untersuchungshaft kommt.

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