: „Ein kräftiges Containerrumpeln – herrlich!“
Laut und leise Sebastian Morsch ist Sounddesigner: Er sammelt Geräusche, um sie zur Klanggestaltung von Filmen zu verwenden. Ein Gespräch über akustische Vielfalt und das definitive Berlin-Geräusch zum Tag gegen Lärm am Mittwoch
Interview Gunnar Leue
taz: Herr Morsch, am 26. April wird der Tag gegen Lärm begangen, diesmal unter dem Motto „Akustische Vielfalt in Deutschland“. Was überwiegt denn in Berlin: Lärm oder akustische Vielfalt?
Sebastian Morsch: Ich kann mir unter dem Begriff eigentlich nichts vorstellen, der klingt zu allgemein. Anders wäre es in einem konkreten Bereich, zum Beispiel akustische Stimmvielfalt. Ja, ich freue mich über alle möglichen Sprachen auf der Straße, weil es mir das Gefühl gibt, dass Berlin ein internationaler Ort ist.
Gibt es für Sie ein definitives Berlin-Geräusch?
Das Quietschen der U-Bahn auf der erhöhten Trasse der Linie 1. Das hört man über die ganze Strecke, bis zum Urbanhafen.
Das hat es noch nicht zu einem eigenen YouTube-Stückchen gebracht, im Gegensatz zum S-Bahn-Tür-zu-Signal als Filmschnipsel aus Paul Kalkbrenners Film „Berlin Calling“.
Die S-Bahn vom Zoo hat für mich auch einen speziellen Klang, aber das Signal ist mir etwas zu banal. Das U-Bahn-Quietschen empfinde ich als ein hintergründigeres Geräusch. Es hat für mich mehr Charme und eine gewisse Poesie, durch dieses Langgedehnte.
Kann sich der Charakter einer Stadt überhaupt in einem einzigen Geräusch spiegeln?
Doch, man erkennt die Stadt schon in einem einzelnen Geräusch wieder. Was macht letztlich den Klang einer Stadt aus? Es sind halt solche Dinge: Fahrzeuge, die herumfahren, eventuell auch Sirenen, wenn wir an New York denken. Wobei das Klangbild auch sehr von der Bebauung einer Stadt abhängt, der Weite und Breite der Straßen, der Höhe der Gebäude. Berlin hat keine Straßenschluchten und auch wenige Gassen, dafür sehr breite Straßen, was eine typische Akustik schafft. Es gibt Hinterhöfe. Das ist übrigens mein zweiter Lieblingssound: Tauben im Hinterhof. Diesen Sound kenne ich noch von früher aus Wilmersdorf, wo ich aufgewachsen bin. Ach ja, und typisch Berlin finde ich auch so einen aufröhrenden Automotor, dieses kurze, heftige Gasgeben, wenn mal freie Bahn ist.
Was ja selten ist.
Vielleicht hat es deshalb auch so was Aggressives. Dieses Unkultivierte und Bedrohliche ist jedenfalls typisch Berlin, denn wir haben einen sehr unzivilisierten Straßenverkehr. Der war schon vor dem Zeitalter der Automobile berüchtigt. Die Leute vom Land hatten oft Angst, wegen der vielen Pferdekutschen auf die Straße zu gehen.
Berlin ist insgesamt eine laute Stadt, klingt aber lokal sehr unterschiedlich. Der Sound of Kaulsdorf ist schon ein anderer als Neukölln.
Sicher, aber ich bin nicht ad hoc unterwegs, um den Sound eines Bezirks einzufangen, sondern gezielt für bestimmte Geräusche, die ich für einen Film benötige. Wenn ich für einen Berlin-Film eine S-Bahn brauche, gehe ich die aufnehmen, das kann bei mir um die Ecke sein. Wenn ich eine Straßenbahn brauche, muss ich halt in den Osten. Manche Geräusche sind stark an eine bestimmte Gegend gebunden, andere überhaupt nicht. Die Szene des Films „Kundschafter des Friedens“ mit Henry Hübchen bei Konnopke an der Schönhauser habe ich mit Aufnahmen vom Schlesischen Tor bearbeitet. Das ist aber okay, weil es sich nichts nimmt.
Haben Sie ständig ein Aufnahmegerät dabei, wenn Sie unterwegs sind?
41, hat von 1998 bis 2003 an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam Sounddesgin studiert. In diesem Beruf hat der Wilmersdorfer in den vergangen Jahren an diversen Filmen mitgewirkt, u. a. an „Wacken 3D“, „Der Medicus“ und „Axolotl Overkill“.
Einen kleinen Rekorder trage ich immer bei mir, den Koffer mit der klobigen Aufnahmetechnik kann ich natürlich nicht jeden Tag mit mir rumschleppen. Den habe ich aber auch schon mal mitgenommen, als ich für ein paar freie Tage nach Fehmarn reiste. Dort herrschte richtiger Sturm und in einem kleinen Segelhafen pfiff der Wind wie verrückt durch die Takelage. Das war ein herrliches exotisches Geräusch, bei dem ich sofort dachte: Bestimmt bekomme ich irgendwann eine Filmszene mit einem Sturm im Hafen, wo ich es auf jeden Fall nutzen kann.
Welche Bedeutung haben Zufallsaufnahmen für Sie?
Es ist natürlich total cool, wenn ich etwas aus Spaß aufnehme – was ich im Übrigen auch schon mal mit dem Smartphone mache –, und das passt total in einen Film. Notfalls eben erst nach acht Jahren. Allerdings ist das ziellose Einfangen von Geräuschen auch ein Luxus, denn es kostet ja Zeit. Meistens ziehe ich gezielt los, weil es von den Regisseuren konkrete Wünsche gibt. Ein britischer Regisseur wollte beispielsweise die echte Londoner U-Bahn. Das habe ich gemacht, weil ich ohnehin in der Stadt war, um mit ihm zu reden. Aber normalerweise fahre ich nicht extra so weit für ein Geräusch. Leider ist oft nicht genug Geld für Reisen und nachträgliche Tonaufnahmen vor Ort vorhanden.
Passiert es oft, dass Sie sich ärgern, weil sie ein lange gesuchtes Geräusch verpasst haben?
Na klar. Ich war jedes Mal traurig, wenn ein Lkw mit einem leeren Bauschuttcontainer an mir vorbeidonnerte und dabei über so eine Straßenunebenheit fuhr. Dann ertönt so ein starkes, kräftiges Metallrumpeln. Herrlich. Das passiert natürlich alles so schnell, das kann man nicht einfangen.
Berlin war ja immer auch eine Stadt der Künstler, die die Trennlinie von Geräusch und Musik unterliefen, siehe Einstürzende Neubauten. Wenn ein Geräusch zum Mosaikstein eines Kunstwerks wird, ist das auch für Sie das Glück?
Mir geht es nicht um das Geräusch per se, denn das Geräusch bleibt ja erst mal nur das Geräusch. Ich bin ja kein Sammler um des Sammelns willen. Ich freue mich, wenn ein für meine Begriffe schönes Geräusch perfekt in eine Filmszene passt. Das finde ich faszinierend. Manchmal weiß ich gleich bei einem Geräusch, das werde ich auf jeden Fall benutzen können, und nicht nur einmal. Das bringt mir ein kleines Glücksgefühl. Manchmal habe ich schon vorher im Kopf, was passen wird, und manchmal suche ich danach. Dieses Suchen und Zusammenbasteln ist auch ein wichtiger Teil meines Berufs als Sounddesigner.
Sie sind der Ablöser des Geräuschemachers in der Digitalwelt?
Überhaupt nicht. Die machen ihre Arbeit trotz moderner Studiotechnik fast wie eh und je, und wir Sounddesigner sind auf die sehr angewiesen. Ich bewundere ihre Arbeit richtig, denn sie müssen zu einem Bild live performen und das in einer irren Geschwindigkeit. Die Geräuschtonmeister nehmen das auf und wir Sounddesigner nutzen das zusammen mit den Geräuschen, die wir selbst aufnehmen oder aus Tonarchiven und kommerziellen Datenbanken beziehen für die Klanggestaltung.
An diesem Mittwoch (26. April) findet zum 20. Mal der „Tag gegen Lärm – International Noise Awareness Day“ statt.
Der Aktionstag soll die Aufmerksamkeit auf die Ursachen von Lärm und seinen Wirkungen lenken – mit dem Ziel, die Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Motto des diesjährigen Tags gegen Lärm ist „Akustische Vielfalt in Deutschland“.
Bei einer Veranstaltung wird es um die Bekämpfung des Schienenverkehrslärms, Lärmschutz im Städtebau und Verkehrsberuhigung in Berlin gehen. mehr unter www.tag-gegen-laerm.de.
In Berlin gab es kürzlich die Konferenz „Music Cities Convention“, bei der es auch darum ging, wie lärmreiche, aggressionsbeladene öffentliche Orte durch gezielt eingesetzte Geräusche angenehmer gemacht werden können. Der frühere Human-League-Musiker Martyn Ware berichtete, wie er in Brighton eine berüchtigte Straße mit einer von ihm komponierten Soundcollage aus Meeresrauschen und einem verlangsamten Beyoncé-Hit beschallte, wodurch die Gegend quasi befriedet wurde. Was halten Sie davon?
Es klingt plausibel. Ich kenne mich mit den psychologischen oder sozialen Aspekten nicht aus, aber ich vermute, dass der Effekt bei der Aktion eher von der Musikseite als von der Klangseite kommt. Am Rathaus Neukölln Meeresrauschen einspielen und dann prügeln sich die Leute nicht mehr, hm, ich weiß nicht.
In einer wachsenden, stark verdichteten Stadt wie Berlin wird Lärm ein immer größeres Problem. Bräuchte es da nicht solche innovativen Ideen zum Gegensteuern?
Umweltlärm ist auch für meine Arbeit meistens hinderlich. Mir ist aber gar nicht so bewusst, dass Berlin ein Lärmproblem hat. Ich empfinde den Lärm in der Stadt nicht generell als problematisch, vielleicht weil ich mich grundsätzlich über Geräusche freue. Wenn man aber über der Admiralbrücke oder in der Schönhauser wohnt, sieht man das sicher anders. Andererseits ist auch immer die Frage, woher ein Geräusch kommt, manche sind ja eher positiv, andere negativ konnotiert. Ich behaupte, wenn die Straßenbahn nicht völlig laut um die Ecke quietscht, finden die Leute dieses Geräusch gar nicht so schlimm, weil sie das Verkehrsmittel grundsätzlich für etwas Gutes halten. Anders verhält es sich natürlich, wenn Leute rumschreien oder Besoffene krakeelen.
Fahren Sie eigentlich auch öfters ins Umland, um dort nach interessanten Geräuschen zu suchen?
Ich war mal im nördlichen Umland, um an einem abgelegenen Stück abseits der Straßen das Geräusch von Pflanzen aufzunehmen, durch die der Wind rauscht. Das war gar nicht so einfach, weil der Schall die Geräusche von der entfernten Straße herübertrug. Trotzdem, das könnte ich ruhig öfters mal tun – mit dem Fahrrad im Umland durch die Gegend fahren, so wie ich es manchmal in der Stadt mache. Man braucht halt nur Zeit dafür.
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