Hamburg ist in einer giftigen Phase

ESKALATIONLange war es zwischen den Fan-Lagern des HSV und des FC St. Pauli ruhig – bis es im April gleich zwei Attacken gab. Das Problem: Je näher sich die Klubs kommen, desto eher eskaliert die Gewalt

Hinterhältig und kleingeistig waren die Aktionen – die eine wie die andere. Anfang April lauerten 25 Maskierte, die HSV-Kleidung getragen haben sollen, um 1.30 Uhr im Parkhaus des Einkaufszentrums Hamburg-Nedderfeld einigen Fans des FC St. Pauli auf, die mit einem Kleinbus vom Zweitligaspiel beim FC Erzgebirge Aue zurückgekehrt waren. Die Pauli-Fans wurden beschimpft und geschlagen. Eine Frau kam nach Tritten gegen den Kopf mit einem Jochbeinbruch ins Krankenhaus.

Die Vergeltung folgte am 23. April. Annähernd 50 Anhänger des FC St. Pauli attackierten am Rande des Kreisliga-Heimspiels der vierten Mannschaft mit Latten und Schlagstöcken Fans des Gästeteams vom HFC Falke.

Der HFC Falke wurde 2014 von HSV-Fans gegründet – aus Protest gegen die Kommerzialisierung ihres alten Vereins. Allerdings gehen einige Falke-Fans noch immer zu den Heimspielen des HSV – dies dürfte sie in den Augen der Pauli-Fan-Angreifer zum Ziel gemacht haben.

In den Jahren zuvor war es zwischen den Fan-Lagern des HSV und des FC St. Pauli ruhig geblieben. Der letzte größere Vorfall passierte im August 2010: HSV-Hooligans schlugen am Bahnhof Altona Pauli-Fans zusammen. Damals spielten beide Klubs in der 1. Bundesliga.

„In Hamburg scheint das immer so zu sein: Je näher sich die Vereine kommen, desto mehr Vorfälle beobachten wir auf beiden Seiten“, sagt Stefan Schatz vom Fanladen FC St. Pauli. „Der HSV schwebt ja in Abstiegsgefahr. Und parallel ist eine gewisse Eskalationsspirale eingetreten. Die Vorfälle Nedderfeld und Falke sind nur die Spitzen.“

André Fischer, Leiter des HSV-Fanprojektes, sieht es ähnlich: „Es gibt Phasen, in denen es mal giftiger zugeht, mal ruhiger. Das sind Amplituden.“ Beunruhigend sei, dass der Radius bei den Attacken erweitert worden sei. „Wenn Unbeteiligte etwas abbekommen, dann macht es mich traurig – völlig unabhängig davon, zu welcher Fan-Gruppe sie gehören.“

Der Fall Nedderfeld habe ihn entsetzt, sagt auch Schatz. „Wenn es Unbeteiligte trifft, und die werden so übel vermoppt, dass wirklich schwerste Verletzungen in Kauf genommen werden, dann erschüttert mich das.“ Der Fall Falke habe ihn enttäuscht: „So etwas passt nicht zum FC St. Pauli. Da würde ich mir wünschen, dass die Fans das künftig unterlassen.“

Der Fanladen des FC St. Pauli hat zu letzterem Fall eine Stellungnahme herausgegeben. Darin wird dazu aufgerufen, auf beiden Seiten Auswege aus der Gewaltspirale zu suchen. Schatz und Fischer sind zuversichtlich, dass dies gelingt.

„Alles, was im Fußball passiert, steht mit den soziokulturellen Gesamtbedingungen im Zusammenhang“, sagt Fischer. „Ich bin da vorsichtig, zu sagen, alles wird schlimmer. Man darf da nicht in Panik, in Hysterie verfallen.“ Und Schatz meint, dass insbesondere die Fan-Szenen sich überlegen müssten, in welche Richtung die Reise gehen solle. „Ich glaube, dass vor allem die Fans in die Pflicht genommen werden müssen, zu gucken, wie sie die Leute einbinden, die eine Gewaltaffinität haben. GÖR