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Wieder Massenverhaftungen

POLITIK Gabriele del Grande hatte Glück im Unglück: Er kam nach zwei Wochen Haft frei. Zugleich rollt die Welle der Repression in der Türkei aber weiter. Allein am Mittwoch sind 1.000 Personen festgenommen worden

von Elisabeth Kimmerle und Christian Jakob

BERLIN taz | Zwei Wochen lang saß Gabriele del Grande, einer der bekanntesten Journalisten Italiens, in türkischer Haft. Nach seiner Freilassung berichtet er jetzt im taz-Interview (siehe unten) über seine Erfahrungen und seinen Hungerstreik.

Der 35-Jährige ist über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt geworden, weil er sich früher als alle anderen systematisch mit dem Schicksal von Flüchtlingen befasste, die die gefährliche Route über das Mittelmeer nach Europa wählten – und den Tod fanden.

In seinem Blog namens „Fortress Europe“ (Festung Europa) hat er bereits vor rund zehn Jahren Informationen veröffentlicht, die er und Freiwillige aus Zeitungen rund um das Mittelmeer gesammelt hatten. Damals führte keine offizielle Stelle eine Statistik, anders als heute die UN-Migrationsorganisation IOM. Außer del Grandes Gruppe fühlte sich niemand verantwortlich, die Dimension des Sterbens zu dokumentieren.

Immer wieder reiste der Journalist nach Libyen und in die Herkunftsstaaten der Flüchtlinge. Dabei berichtete er etwa über die katastrophalen Haftbedingungen in den libyschen Lagern – zu einer Zeit, als Italien und die EU mit Gaddafis Regime bei der Flüchtlingsabwehr eng kooperierten. Er verfasste mehrere, teils auf Deutsch übersetzte Bücher wie „Mamadous Fahrt in den Tod“ oder „Das Meer zwischen uns“.

Von 2012 an wandte er sich Syrien zu. Als einer der wenigen westlichen Journalisten berichtete er von dort über die Lage der Zivilbevölkerung und die Folgen des Kriegs. Seit 2013 schrieb er auch für die taz aus Syrien.

Die Freilassung Gabriele del Grandes ist allerdings kein Zeichen für eine politische Entspannung in der Türkei: Allein am Mittwoch sind landesweit mehr als 1.000 mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung festgenommen worden, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldet. 8.500 Sicherheitskräfte hätten sich an der Aktion beteiligt, die sich gegen die geheime Struktur der Gülen-Bewegung innerhalb der Polizei richtet, wie es heißt.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan macht die Organisation des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch im vergangenen Juli verantwortlich. Insgesamt sind seit damals rund 50.000 Personen in der Türkei festgenommen worden, berichtet die Webseite Turkeypurge. Bei Protesten gegen den Ausgang des umstrittenen Verfassungsreferendums vom 16. April sind zudem Dutzende Oppositionelle in Istanbul und anderen Städten in Arrest genommen worden.

Dazu zählt unter anderem der regierungskritische Journalist Ali Ergin Demirhan. Dem – inzwischen wieder freigelassenen – Redakteur des linken Onlinemediums Sendika.org sei vorgeworfen worden, das Ergebnis des Referendums als nicht legitim darzustellen, berichtet seine Webseite. Die aus Niedersachsen stammende jesidisch-kurdische ehemalige EU-Abgeordnete Feleknas Uca kam nach eintägiger Haft in Diyarbakır ebenfalls vorläufig wieder frei.

Insgesamt bleiben in der Türkei weiterhin mehr als 150 Journalisten in Haft, unter ihnen Deniz Yücel.

Der Welt-Korrespondent sitzt seit zwei Monaten im Hochsicherheitsgefängnis von Silivri in Einzelhaft wegen angeblicher Terrorpropaganda und Volksverhetzung.

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