: Nun sieht der Präsident Verschwörer am Werk
PROTESTE Regierung und Opposition des zutiefst gespaltenen Landes holen ihre Anhänger in diesen Tagen auf die Straße
VON Jürgen Vogt
Auf der anderen Seite verkündet Präsident Nicolás Maduro, er werde „die größte rote Flut, die man je gesehen hat“, mobilisieren. Wie viele Demonstranten am Ende auf die Straße gehen, bleibt unklar, die Rede ist von mehreren Millionen. Und so zeigt sich die Hauptstadt am Mittwoch tief gespalten: Während durch einen Teil von Caracas Tränengasschwaden ziehen und sich Demonstrierende heftige Straßenschlachten mit Polizei und Nationalgarde liefern, schallen durch einen anderen Teil die Stimmen von Präsident Maduro und seiner Anhänger.
Maduro hat zuvor die Parole ausgegeben, die Opposition bereite einen Staatsstreich vor. Mit martialischer Rhetorik versetzt er seine Anhänger in Alarmbereitschaft. „Volk aufgepasst, die Stunde der Schlacht ist gekommen. Wir sind in entscheidenden Stunden für das Schicksal unseres Vaterlandes.“ Es gebe ein Komplott zwischen der US-Regierung und dem Parlamentspräsidenten Julio Borges.
Seit Beginn der Proteste nach der vorübergehenden Entmachtung der Nationalversammlung durch den obersten Gerichtshof Ende März sind insgesamt mindestens acht Menschen ums Leben gekommen.
Mit ihrem Plan, beim Sitz des staatlichen Ombudsmanns eine Petition zu übergeben, ist die Opposition am Mittwoch gescheitert. In der Eingabe wollte sie die volle Anerkennung der Nationalversammlung und der Verfassung, die Neubesetzung des obersten Gerichtshofs, die Freilassung der politischen Gefangenen sowie die seit Dezember 2016 verschobenen Gouverneurs- und Kommunalwahlen fordern.
Doch Polizei und Nationalgarde verhinderten den Zugang zum Westteil von Caracas, teils mit Tränengas und Gummigeschossen.
Für die Regierung bieten die Proteste einen willkommenen Anlass, um von der katastrophalen Wirtschafts- und Versorgungslage abzulenken: Das Land mit den größten Ölreserven der Welt leidet unter dem Ölpreisverfall. Wer einen bezahlten Job hat, kann dafür wenig kaufen – eine Hochschulprofessorin würde auf dem Schwarzmarkt für ihr Monatsgehalt in Bolívares umgerechnet 25 US-Dollar erhalten.
Politik: In Venezuela, dem Land mit den größten Ölreserven der Welt, stirbt der Anführer der „sozialistischen Revolution“, Präsident Hugo Chávez, im Jahr 2013. Viele ehemalige Weggefährten sind schon vorher auf Distanz zu seiner zunehmend autoritär herrschenden Partei gegangen. Sein Nachfolger Nicolás Maduro ist wenig beliebt. 2015 gewinnt die Opposition die Parlamentswahl. Im März 2017 entmachtet der Maduro-nahe oberste Gerichtshof zeitweise das Parlament. Tägliche Proteste folgen.
Wirtschaft: 2014 stürzt der Ölpreis ab. Dringend benötigte Devisen, mit denen die Chavisten Sozialprojekte und Importe finanzieren, werden knapp. Das Land trudelt in eine tiefe Krise. 2017 dürfte die Inflation bis auf 700 Prozent steigen. Investoren reagieren. Jüngstes Beispiel: Nachdem die Behörden ein Werk des US-Autoherstellers General Motors beschlagnahmt haben sollen, gibt die Firma, die hier 2.700 Arbeitskräfte beschäftigt, jetzt ihren Rückzug aus Venezuela „bis auf Weiteres“ bekannt.
Präsident Maduro regiert seit über einem Jahr mit wirtschaftlichen Notstandsmaßnahmen, die er am Parlament vorbei verhängen kann.
In seinem am Dienstag veröffentlichten Ausblick prognostiziert der Internationale Währungsfonds die Fortsetzung der wirtschaftlichen Talfahrt Venezuelas: Schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt im vergangenen Jahr um 18 Prozent, so erwartet der IWF für das laufende Jahr einen Rückgang um 7,4 Prozent.
Die für das Jahr 2017 prognostizierte Inflationsrate von rund 700 Prozent soll im kommenden Jahr bei über 2.000 Prozent liegen.
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