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Das Regalitätsprinzip

alter streit Wie die Könige es schafften, sich die Herrschaft übers Wasser zu sichern

von Benno Schirrmeister

Zilpzalp zwitschert ein Vögelchen in den Fichten. Die ächzen, weil ein Windhauch über die Höhe streicht. Plimperdiplurgl gurgelt das Wasser im Kanal. Aber ganz leise, denn die Fließgeschwindigkeit in den Gräben der Oberharzer Wasserwirtschaft ist sehr langsam. Es ist herrlich hier an der versöhnlichsten aller Unesco-Welterbestätten, in der industrielle Umweltvernutzung und das, was wir für Natur halten, so innig verschmelzen. Und richtig schön wäre es, wenn dieser Ausdruck verschwände: Wasserregal.

Das Wort, das Heimattümler propagieren, nervt, nicht weil es an Ikea denken lässt, sondern weil es dieses Technikdenkmal mit einem unpassenden Firnis überzieht, gemixt aus widerlicher Feudalismus-Nostalgie und ekliger Hörigkeit.

Regal nämlich ist ein Rechtsbegriff, der „ein denen hohen Regenten allein an sich zukommendes Recht“ benennt, wie der Herzoglich Braunschweigische Wirkliche Hof- und Camerrath Georg Heinrich Zincken in seinen „Anfangsgründen der Cameralwissenschaft“ 1755 schreibt. Es sei nämlich ein „in der höchsten oder doch derselben ähnlichen Gewalt […] an sich begriffenes und daraus fliessendes Recht“. Aus der Majestät des Herrschers stammend drückt es sie nicht nur aus. Es begründet sie auch – um daraus den Anspruch auf Steuern abzuleiten.

„Ich habe nicht nöthig, den Erweis dieses Satzes […] zu erläutern“, solche Argumentersatzformeln durchziehen Zinckens Anfangsgründe. Indirekt verweisen sie darauf, dass im 18. Jahrhundert eine Entscheidungsschlacht tobt – ums Regalitätsprinzip, mit dem Könige ihren Anspruch auf Natur, auf Erde, Wasser, Wälder, Wild, Post, Lotteriewesen, Tabak, alles begründen.

Mal verfassen aufklärerische Theoretiker wie Christoph Lorenz Bilderbeck mit Schärfe und einiger Gefahr fürs eigene Leben eine „Gründliche Deduction Gegen Die Vermeyntliche Regalitaet Deren Jagten“ (1723), mal ergänzen sie, geschickt, ihre Staatsrechtslehre um Erörterungen, die sie zu der provokativen, aber schlüssigen Feststellung führen, dass „nach der Natur der Sache und kraft allgemeiner Grundsätze der Salpeter nichts hat, was ihn zum Regale machen könnte“: Das stellt der Geheime Justizrat Johann Stephan Pütter aus Göttingen 1797 klar. Mit starken rechtshistorischen Argumenten bestreitet der Lexikograf Johann Georg Krünitz in seiner Oekonomischen Enzyklopädie (ab 1773), dass es so etwas wie ein Wasserregal überhaupt je gegeben hätte. Schließlich sei der Zugang zum Wasser und der Fischerei als Recht natürlicher Freiheit zu betrachten. Nur eine Gerichtsbarkeit über die schiffbaren Gewässer sei unbestreitbar.

Dieser unklare Status des Wasserregals bei zugleich faktisch allgemeiner Verbreitung – „es wird so ziemlich in ganz Deutschland angenommen“, muss auch Krünitz einräumen – erklärt, dass man immer wieder auf einen eher strategischen Umgang mit ihm trifft, schon im Mittelalter: Der äußert sich zumal, wenn es auf jemanden übertragen wird – ob Fürst, Kloster oder Stadt. Tolles Beispiel: der Kieler Hafen. Ihr Anrecht auf die Gebühren für dessen Nutzung und auf die Fischerei dort konnte die Stadt ab 1334 mit einer Verleihung des Regals durch Herzog Waldemar V. von Schleswig begründen. Hintergrund seines Großmuts: Die Förde markierte die Grenze zu Holstein. Der größte Teil seines Geschenks gehörte ihm gar nicht.

Auch im 18. Jahrhundert nutzen ins höfische Wesen eingebundene Rechtspraktiker diese Dehnbarkeit des Regalitätsprinzips, um es zu verteidigen und auszuweiten: Denn wo Regal ist, da sind Revenuen. Und wer Hofhalten und Kriegführen will, braucht Geld: Die Fürsten des 18. Jahrhunderts sind aber meist eher knapp bei Kasse. Und zumal in Norddeutschland sind die Wasserregaleinnahmen unverzichtbar: Strandpiraterie, Bernsteinfunde, Leinpfadzölle, die plattdeutschen Rechtsquellen sind voller Möglichkeiten, aus Wasser Geld zu machen und das in die Staatskasse zu spülen.

Über den Begriff des „Regals“ Das Wort, das Heimattümler propagieren, nervt, nicht weil es an Ikea denken lässt, sondern weil es dieses Technikdenkmal mit einem unpassenden Firnis überzieht, gemixt aus widerlicher Feudalismus-Nostalgie und ekliger Hörigkeit

Nach diesem Muster bestimmen denn auch Schranzen wie der hochfürstliche branden- und quedlinburgische Hofrat Johann Georg Meusel in seinem „Lehrbuch der Statistik“ (1794), dass das Wasserregal nicht nur spezifische Zölle, Hafen- und Ankergelder begründe, sondern dem König auch das alleinige Recht „Mühlen zu bauen“ verschaffe. Oder eben „für ihren Anbau […] Abgaben zu fodern“.

Dass der sonst terminologisch pedantische Meusel im gefällearmen Brandenburg einfach alle Mühlen unters Wasserregal subsumiert, ist wohl kein Versehen: Am Wind und an der Luft wenigstens hätte der König kein Eigentum anmelden können. Es wäre „lächerlich, wenn man […] ein Regale über Wind und Luft erdichten wollte“, schwante schon Zincke.

Wenn der König etwas erlaubt, verstummen die Dummen. Das ist, im Harz, der Nutzen des Begriffs „Wasserregal“: Man fängt das Wasser auf und lenkt es um, so wie es passt, und das ist kein Grund für abergläubische Furcht: Hat ja der König erlaubt. Also quasi Gott. Diese strategische Funktion hat der Name längst verloren. Ihn zu nutzen heißt heute, die technische Kühnheit der Wasserwirtschaft an König, Kaiser und Vaterland zu verraten.

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