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Giftgasangriff in SyrienTödlicher Geruch nach faulem Essen

Insgesamt sollen vier Raketen den Ort Chan Scheichun getroffen haben. Zum Einsatz kam wohl der Kampfstoff Sarin. Die Opferzahl steigt.

Sanitäter versorgen ein Opfer des Giftgasangriffs Foto: dpa

Berlin taz | Im syrischen Chan Scheichun haben Untersuchungen des Chemiewaffenangriffs vom Dienstag begonnen, dessen Opferzahl bis zum frühen Donnerstag auf 86 angestiegen war. Die einst in Aleppo und heute im türkischen Exil arbeitende Menschenrechtsorganisation „Syrian Institute for Justice“ verbreitete Videoaufnahmen von Experten, die Bodenproben und andere Beweismittel sammelten. Die unabhängige Syrien-Kommission der UN-Menschenrechtskommission hatte zuvor entsprechende Untersuchungen angekündigt. Die Rebellen, die Chan Scheichun kontrollieren, versprachen freien Zugang. Das Gebiet ist von der Türkei aus direkt erreichbar.

Im Krankenhaus von Bab al-Hawa nahe der türkischen Grenze, wo einige der über­lebenden Opfer des Angriffs behandelt werden, bestätigten Ärzte derweil, dass es sich um Opfer eines Nervengiftes handele, vermutlich Sarin. Die Ärzte, darunter Mitarbeiter des Hilfswerkes „Ärzte ohne Grenzen“, sagten, dies ergebe sich aus den Symptomen der Patienten. Ein syrischer Arzt, der 22 Pa­tienten behandelte, berichtete, die fünf schwersten Fälle hätten auf das Sarin-Gegenmittel Pralidoxim positiv reagiert.

Der türkische Justizminister Bekir Bozdağ sagte, Obduktionen dreier in die Türkei gebrachter und verstorbener Syrer hätten den Einsatz bestätigt. „Es wurde nach der Autopsie festgestellt, dass eine Chemiewaffe benutzt wurde“, sagte Bozdağ.

Amnesty International erklärte auf der Grundlage von Expertenanalysen der etwa 25 als authentisch bestätigten Videoaufnahmen aus Chan Scheichun, die Menschen zeigten „klassische Symptome eines Nervengasangriffs“. Es handele sich um den tödlichsten Chemiewaffenangriff in Syrien seit der UN-Resolution 2118 vom September 2013, die die vollständige Vernichtung der syrischen Chemiewaffenbestände beschlossen hatte. Diese Resolution ist seitdem mehrmals gebrochen worden. Der Angriff vom 4. April ist davon der schwerste.

Die Atmung war gelähmt

Ein Krankenpfleger in Chan Scheichun berichtete gegenüber Amnesty, es habe um etwa 6.30 Uhr morgens am Dienstag einen seltsamen Einschlag gegeben – wie eine Rakete, die nicht explodiert sei. „Ein paar Minuten später wurden die ersten Opfer hineingebracht, und es ging ununterbrochen weiter bis etwa 9 Uhr“, berichtete er. Nur vier Mediziner seien anwesend gewesen. „Der Geruch drang bis zu uns vor, es war wie verfaultes Essen. Wir haben schon Opfer von Chlorattacken behandelt – der hier war ganz anders. Erbrochenes kam aus Nase und Mund, dunkelgelb, manchmal ins Braune übergehend. Die Atmung war gelähmt; deswegen starben Kinder schneller als Erwachsene.“

Im nächsten Krankenhaus mit einer Chirurgiestation, rund 50 Kilometer entfernt, trafen die ersten Opfer dem Amnesty-Bericht zufolge gegen 8 Uhr morgens ein. Rund 400 Menschen wurden an verschiedenen Orten behandelt; ein Konvoi mit rund 60 Opfern durfte die türkische Grenze passieren.

Nach Angaben der lokalen Zivilverteidigung wurde Chan Scheichun in zwei separaten Luftangriffen von vier Raketen getroffen. Eine Rakete habe chemische Kampfstoffe enthalten und sei in einem Wohngebiet im Norden des Ortes niedergegangen. Der zweite Angriff habe dem Krankenhaus gegolten, in das die Opfer gebracht wurden.

Syriens und Russlands Regierung haben bestätigt, dass die syrische Luftwaffe Chan Sheichun angriff, dementieren aber jeden Chemiewaffeneinsatz. Der Angriff habe einem Munitionslager gegolten, in dem Chemiewaffen hergestellt würden, heißt es. Belege dafür haben Moskau und Damaskus nicht vorgelegt. Experten halten diese Version für technisch unplausibel.

Die syrische Regierung lehnte die laufenden Untersuchungen strikt ab. Jede Analyse müsse in Damaskus beginnen, sagte Außenminister Walid al-Muallim.

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5 Kommentare

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  • "The OPCW will not be able to confirm anything until samples are tested at an accredited laboratory, but a doctor at a hospital in the town of Sarmin who treated some of the casualties believes it was the nerve agent Sarin.

     

    "All the patients had the same symptoms - difficulty in breathing, weakness," Dr Abdulhai Tennari told the BBC. "They had very huge secretions in their respiratory tracts, which induced suffocation."

     

    He noted that when the most serious cases were given an antidote for Sarin poisoning, atropine, their conditions became stable and they survived.

     

    MSF said the patients' symptoms were "consistent with exposure to a neurotoxic agent such as Sarin". Its medical teams also reported that victims smelled of bleach, suggesting they had been exposed to chlorine as well."

    http://www.bbc.com/news/world-middle-east-39500947

     

    Also Sarin und Chlorgas.

  • „Experten halten diese Version für technisch unplausibel“

     

    Diese vom Assad-Regime herausgegebene „Version“ ist nicht nur „unplausibel“, sondern eine Zumutung für den gesunden Menschenverstand.

     

    Möglicherweise „arbeitet“ ja der IS tatsächlich mit Giftgas, aber dass diese Waffen mitten im Kriegsgebiet hergestellt werden und nicht im gesicherten IS-Gebiet, ist höchst unwahrscheinlich. Die IS-Leute mögen brutal sein, aber ganz dumm sind sie sicher nicht.

     

    Aber selbst wenn der IS dort wirklich Chemiewaffen produzierte: Kann es wirklich sein, dass die Assad-Truppen ein Ziel angriffen, ohne es vorher ausgekundschaftet zu haben?

     

    Oder, schlimmer noch, war das möglicherweise dort vorhandene Gas bekannt und die Angreifer nahmen den Tod vieler Zivilisten billigend in Kauf?

     

    Assad sollte den Rest der Welt nicht für dümmer halten, als er ist!

    • @Pfanni:

      "Die IS-Leute mögen brutal sein, aber ganz dumm sind sie sicher nicht"

       

      Trifft das nicht vielleicht auch auf Assad zu, und wäre es nicht eine gewaltige Dummheit ohne militärische Not Giftgas einzusetzen. Die Konsequenzen sind allgemein bekannt. Wenn Syrien einen Krieg mit den USA wollte, hätten sie einfach einen der US-Kampfjets, über ihren Luftraum herunterschießen müssen.

  • Sie schreiben zum behaupteten Angriff auf ein Munitionslager: "Experten halten diese Version für technisch unplausibel."

    Welche Experten waren das? Was halten die es für unplausibel und warum? In einem Krieg Munitionslager des Gegners anzugreifen, erscheint mir als eines der sinnvollsten Sachen.

    • @XXX:

      Satin ist eine binäre Waffe, es wird es unmittelbar vor Einsatz, typischerweise beim Abschusss, direkt in der Granate aus zwei fast ungiftigen Vorgängersubstanzen gebildet.

       

      Wäre eine Produktionsstätte getroffen worden, wäre dabei die Bildung von Sarin nahezu ausgeschlossenen. Die Explosion hätte entweder die Vorläufersubstanzen zerstäubt oder verbrannt, aber ganz sicher nicht diese im stöchiometrisch richtigen Verhältnis gemischt und danach ein paar Sekunden ungestört reagieren lassen.