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Allein unter Teenagern

Bildung Eine Klasse Erstklässler der Grundschule am Buntentorsteinweg soll an eine Oberschule in der Nähe ausgelagert werden. Elternvertreter sind entsetzt

Sollen künftig mit den Großen spielen: Erstklässler in der Neustadt Foto: Grundschule Buntentorsteinweg

von Eiken Bruhn

Bremen betritt pädagogisches Neuland. Eine Klasse von Erstklässlern wird im Sommer an einer Oberschule unterrichtet. Zunächst im Schulgebäude und dann, sobald dieser fertig ist, in einem Container auf dem Gelände. Das heißt: 24 Fünf- bis Siebenjährige lernen unter 500 Zehn- bis Siebzehnjährigen und teilen sich mit ihnen einen Pausenhof. Wie das funktionieren kann? „Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung“, sagt Mareike Gröning, Elternsprecherin an der Grundschule Buntentorsteinweg. Zu dieser gehören die an die Wilhelm-Kaisen-Oberschule ausgelagerten ErstklässlerInnen. Die beiden Schulen sind einen Kilometer voneinander entfernt.

Grönings Sohn besucht eine dritte Klasse an der Schule in der Neustadt, ihr zweiter Sohn soll im Sommer eingeschult werden. Dass an der Schule Plätze fehlen würden, war Gröning bei der Anmeldung klar, weil seit Jahren die Zahl der Anmeldungen die der vorhandenen Plätze an der Schule übersteigt. Das hat etwas mit der demografischen Entwicklung im Stadtteil zu tun und manchmal etwas mit Schummelei. Manche Eltern geben fälschlich einen Wohnsitz im Einzugsgebiet der 2015 mit dem prestigeträchtigen Deutschen Schulpreis ausgezeichneten Schule an, um ihr Kind dort unterzubekommen.

Klar war auch, dass es in diesem Jahr noch mehr Anmeldungen sein würden als in den Vorjahren – das Neubaugebiet mit 110 Wohneinheiten am Huckelrieder Park ist seit vergangenem Jahr komplett bezogen. Auf einem Elterninformationsabend im Januar erklärte die Schulleiterin, dass sich die Eltern einiger Kinder darauf einstellen müssten, per Losentscheid einer anderen Grundschule zugeteilt zu werden.

Doch anders als in den Vorjahren konnten die Kinder nicht auf andere Grundschulen in der Neustadt verteilt werden, weil Plätze in der ganzen Stadt fehlen. An 17 Schulen müssen 21 zusätzliche Grundschulklassen neu eingerichtet werden, sagte Annette Kemp, Sprecherin von Bildungssenatorin Claudia Bogedan am Freitag der taz. Das größte Problem besteht in Gröpelingen, dort eröffnet ein neuer Standort mit vier ersten Klassen.

Bei einer Klasse, an der Ganztagsschule Stader Straße, ist unklar, ob sie zustande kommen wird. Dort fielen nach Medienberichten die Eltern von 13 Kindern aus allen Wolken, als sie vor zwei Wochen erfuhren, dass ihr Kind einer anderen Schule zugeteilt wurde. Weil diese schon um 13 Uhr schließt und die betroffenen Eltern einen Ganztagsplatz brauchen, bemüht sich die Behörde jetzt um eine Kooperation mit einer weiteren Grundschule in fußläufiger Entfernung.

Am Mittwoch will die Bildungsbehörde Eltern darüber informieren, wie sie sich die Zukunft am Buntentorsteinweg vorstellt und speziell die Situation der ausgelagerten Erstklässler. „Selbst wenn bis August alles fertig ist und der Pausenhof auch so gestaltet ist, dass sich die Kleinen dort wohl fühlen, bleibt das Problem, dass die Klasse völlig abgeschnitten ist vom Rest der Schule.“

Nun sei es nicht das erste Mal, dass eine Schule Klassen auslagern muss, sagt die Sprecherin der Bildungsbehörde, Annette Kemp. Aber meistens trifft das die Viertklässler und nicht die Jüngsten, die sich im System Schule noch zurechtfinden müssen. Und es sind häufig mehrere Klassen.

Im Fall des Buntentorsteinwegs gibt es noch eine Besonderheit. Den Schulpreis hat diese für das jahrgangsübergreifende Lernen bekommen. Immer zwölf Kinder einer ersten und einer zweiten Klasse bilden eine Lerngruppe. Sie teilen sich Räume und Unterrichtsmaterial mit einer weiteren Lerngruppe, die sich aus je 12 Kindern einer dritten und einer vierten Klasse zusammensetzt. So soll sichergestellt werden, dass die Kinder in ihrem individuellen Tempo lernen können. „Das funktioniert hervorragend“, sagt die Schulelternsprecherin Gröning. Mit einer ausgelagerten Klasse sei dies nicht möglich.

„Die Klasse ist völlig abgeschnitten vom Rest der Schule“

Mareike Gröning, Schulelternsprecherin

Kemp versichert dennoch, dass das Konzept der Schule fortgeführt werden könne. Zusätzliche Lehrerstunden, die Reibungsverluste ausgleichen, weil Lehrkräfte und SozialpädagogInnen zwischen den Standorten pendeln müssen, werde es nicht geben, so Kemp.

Bis Montag hatten ElternvertreterInnen gehofft, dass die Schule einen anderen Weg gehen würde. An dem Tag lehnte die Schulkonferenz aus Eltern und LehrerInnen einen alternativen Vorschlag der Eltern ab. Nach diesem wäre die zusätzliche Klasse in diesem Jahr in zwei umfunktionierten Spielräumen unterrichtet worden, wie Peter Kaiser, Elternsprecher der Lerngruppe seines Sohns erzählt. Im nächsten Jahr hätte dann die halbe Schule in Mobilbauten an der Wilhelm-Kaisen-Schule umziehen sollen – als temporärer Vorläufer der dort geplanten neuen Grundschule. Doch das wäre teurer geworden.

Kaiser, dessen Tochter im August ebenfalls eingeschult wird, hat einen Beschwerdebrief an die Bildungsbehörde geschrieben. „Mit einem längeren Vorlauf hätte man den Erstklässlern das vielleicht ersparen können und eine gerechte Lösung gefunden. Es ist seit Jahren bekannt, wie eng es ist.“ Betroffen seien auch die anderen Klassen, weil das Personal aufgeteilt werden müsse.

Ungefähr fünf Jahre, bestätigt Behördensprecherin Kemp, brauche es für den Bau einer neuen Schule. Aber zunächst hat die Bildungssenatorin den Neubau von Grundschulen in der Überseestadt, der Neustadt und im Hulsberg-Viertel vor einem Jahr nur „angeregt“. Beschlossen hat der Senat noch nichts.

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