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Oskar sein Revier

Politadel Der saarländische Fraktionschef ist in seiner Partei unumstritten. Alle sind ihm dankbar, dass er noch einmal für die Linke in den Wahlkampf zieht

Aus Ottweiler Anna Lehmann

Oskar Lafontaine sagt ab. Um 8.28 Uhr am Samstagvormittag verschickt sein Sprecher eine SMS. „Wegen des Regens ist Straßenwahlkampf heute nicht sehr sinnvoll. Deshalb wird Oskar Lafontaine leider nicht nach Ottweiler kommen können.“

Im saarländischen Ottweiler hat die Linkspartei auf dem Rathausplatz einen Pavillon aufgebaut. Nebenan stellen die CDU orangene, die Grünen grüne und die SPD rote Schirme auf. Unter der „Die Linke“-Plane steht Ralf Georgi in schwarzer „Die Linke“-Regenjacke und telefoniert. „Ja, ja. Klar, 20 Minuten reichen.“ Er nimmt das Handy vom Ohr und lacht. Lafontaine kommt doch noch. „Die Leute kommen extra wegen

Oskar vorbei.“

Oskar der Große. Oskar der Gnädige. Wie keine andere Partei hat die saarländische Linkspartei ihren Wahlkampf auf eine einzige Person zugeschnitten: Oskar Lafontaine. Sein Konterfei prangt auf allen Plakaten. Mal gewitzt: „Ein Oskar für das Saarland“. Mal staatsmännisch: „Oskar Lafontaine: Erfahren, glaubwürdig, durchsetzungsstark.“

Wie ein Junkie an der Nadel, so hängt die saarländische Linke an Oskar Lafontaine. Und sie hat derzeit kein Rezept, wie sie ohne ihn klarkommen soll. Doch die Frage stellt sich: denn Lafontaine wird 74 in diesem Jahr, der derzeitige Wahlkampf könnte sein letztes großes Gefecht sein. Am Sonntag wird hier ein neuer Landtag gewählt. Knapp eine Million Menschen leben im kleinsten Bundesland, das nicht mal ein Prozent der bundesdeutschen Fläche einnimmt. Das Saarland wirkt wie eine größere Kleinstadt. Und alle kennen Lafontaine.

Oskar Lafontaine war Oberbürgermeister von Saarbrücken und Ministerpräsident, er rettete die Saarstahl AG und führte die Saar-SPD zur absoluten Mehrheit, er war Finanzminister und wäre fast Bundeskanzler geworden. 1999 warf er alles hin und startete sechs Jahre später mit der Linkspartei noch einmal politisch durch. Mit ihm kommt die Linke im Saarland auf Wahlergebnisse, die sie nur in ihren Hochburgen im Osten erreicht. Auch wenn die Umfragen derzeit nur noch 13 Prozent voraussagen – das Saarland bleibt eine Supernova im westdeutschen Linkspartei-Universum.

„Wir waren alle erleichtert, dass er noch einmal antritt“, sagt Thomas Lutze. Lutze ist der einzige saarländische Bundestagsabgeordnete. Lafontaine versuchte den Ostimport aus Sachsen bei der Listenaufstellung für die Bundestagswahl 2013 kaltzustellen, doch Lutze setzte sich gegen die Lafontaine’sche Favoritin durch. Heute managt Lutze Lafontaines Wahlkampf. 2013 sei Geschichte sagt er, man habe sich ausgesprochen. Was wichtiger ist: „Etwa jede zweite Stimme bei der Wahl verdanken wir Lafontaine.“

Heißt: Ohne Lafontaine wäre die Linkspartei im saarländischen Landtag nicht mit 8 Personen als drittstärkste Fraktion vertreten, sondern könnte sich glücklich schätzen, 3 Sitze zu besetzen – so wie derzeit Piraten oder Grüne. Und wer das Bundestagsmandat bekommt, wäre gar kein Thema, weil es keins gäbe. Die Linke profitiert also vom System Lafontaine, was auch erklärt, dass niemand es in Frage stellt.

Lafontaine tritt nur an, wenn er auch die Mannschaft der Fraktion bestimmt? Geht klar. Lafontaine fordert konsequentere Abschiebungen? Kein Widerspruch. Lafontaine ist gegen Windräder, weil die die deutsche Kulturlandschaft zerstören? Einverstanden. „Er ist eben unser Vordenker“, sagt Landeschefin Astrid Schramm.

Gegen elf hat es aufgehört zu regnen. Eine Grüppchen Linksparteiler hat sich wie ein Empfangskomitee vor der noch gesperrten Einfahrt zur Fußgängerzone postiert. Auch Wolfgang Rui ist darunter, eines von rund fünfzig Mitgliedern des Ottweiler Ortsvereins. 25 Jahre war Rui SPD-Mitglied. „Meinen Ausweis hatte damals Oskar Lafontaine unterschrieben.“ Rui haderte lange mit seiner Partei – Kosovokrieg, Agenda 2010. „Ich dachte immer, es wird besser.“ 2012 verließ er die SPD und wechselte zur Linkspartei. „Jetzt geht’s mir besser.“

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Barbara Spaniol, wie Georgi einst Grüne, entsteigt ihrem schwarzen Audi Cabriolet, an dessen Heckscheibe der Aufkleber „Ein Oskar für das Saarland“ prangt. Die Sekretärin Lafontaines hebt an: „Die Sahra ist ja gestern zusammengebrochen“, doch Spaniol wedelt mit der Hand: „Pscht.“

„Wir waren alle erleichtert, dass er noch einmal antritt“

Thomas Lutze, Abgeordneter

Dass Sahra Wagenknecht am Vorabend während ihrer Rede auf einer Wahlkampfveranstaltung einen Kreislaufkollaps erlitt, nachdem sie aus dem Publikum mit einem Handschuh beworfen worden war, soll offenbar niemand erfahren. Bloß keine Schwäche zeigen auf den letzten Metern des Wahlkampfes, bloß nichts vermasseln.

Die Chancen, dass SPD und Linkspartei zusammen eine Koalition bilden, stehen so gut wie nie. Inhaltlich versteht man sich, rechnerisch könnte es reichen und Lafontaine hat nichts dagegen. Es wäre die erste rot-rote Koalition in den alten Bundesländern. „Das wäre ein Zeichen für die Bundestagswahl“, glaubt Spaniol.

Lafontaines Ehefrau Sahra Wagenknecht ist fest in den Wahlkampf eingepreist. Im Wochentakt absolviert sie Auftritte im Saarland, zu denen auch CDU-Bürgermeister kommen. „Sie mobilisiert weit über die Wählerschaft der Linken hinaus“, sagt Lutze. Die Symbiose der beiden Promi-Linken funktioniert hier, die Kampagnenleitung hat ein Wahlkampfplakat mit dem Paar kreiert: vor einer grünen Wiese, beide lächeln gelöst. „Glaubwürdig und zuverlässig. Klare Ansagen an der Saar und in Berlin.“

Umgekehrt soll sich Lafontaine auch wegen seiner Frau entschlossen haben, noch einmal anzutreten. Als Fraktionsvorsitzender in einem noch so kleinen Landtagsparlament kann er die Spitzenkandidatin der Linken jedenfalls besser unterstützen als aus dem Off als Politiker a. D.

Um ein Amt in einer möglichen rot-roten Regierung geht es ihm jedenfalls nicht. Das hat er mehrfach und auch der taz gegenüber ausgeschlossen. Man kann es sich auch schwer vorstellen – Lafontaine als Wirtschaftsminister im Kabinett der SPD-Frau Anke Rehlinger. Pffhh.

Viertel zwölf fährt der silbergraue Audi des „Chefs“, wie sie ihn nennen, vor. Lafontaine entsteigt, langer schwarzer Mantel, über den Kopf gekämmte silberne Haare, und wird umgehend zum Wahlkampfstand der Linkspartei begleitet. Lafontaine hält Audienz. Er buhlt nicht um Aufmerksamkeit, er gewährt sie.

Die Menschen stellen sich neben ihn und lassen sich mit dem Spitzenkandidaten zusammen knipsen. Ein junges Pärchen. Knips. Ein 78-jähriger Rentner mit einem Polaroid-Foto aus früheren Jahren. Knips. Die Sache mit den Polaroid-Fotos ist eine Wahlkampfmasche von Lafontaine aus den Zeiten, als er noch für die SPD ins Feld zog.

Dank des Schulz-Hypes schnellt die SPD in Umfragen nach oben. In der Fußgängerzone von Saarbrücken vor dem Karstadt-Kaufhaus ist der SPD-Stand jedenfalls bestens besucht.

„Oskar Lafontaine ist eben unser Vordenker“

Astrid Schramm, Landeschefin

Sind sie neidisch, Frau Schramm? Die Landesvorsitzende der Linken verteilt gut gelaunt Lafo-Flyer samt Kugelschreiber. „Überhaupt nicht, wir kennen uns doch“, sagt sie. Bis 2006 stand Schramm noch selbst am SPD-Stand. Im Moment sei die Stimmung bei der Linkspartei richtig gut, sagt sie. Alle seien optimistisch. Aber auch nervös. Neugierige Journalisten, die sich nach einem möglicherweise autoritär-patriarchalen Führungsstil Lafontaines erkundigen, werden eng geführt.

Dennis Lander ist auch Sprecher der Linksjugend solid und könnte als Linke-Nachwuchstalent am Sonntag über die Kreisliste Saarbrücken in den Landtag einziehen. Beim Gespräch mit ihm in der Geschäftsstelle der Partei sitzt unvermutet Lafontaines Sprecher Martin Sommer mit am Tisch. Als Aufpasser? „Nein, gar nicht“, sagt Sommer. Das sei doch völlig normal bei Politikerinterviews.

Noch im Juli vergangenen Jahres hatte sich die saarländische Linksjugend in einer Pressemitteilung von Sahra Wagenknecht distanziert: „Frau Wagenknecht schürt mit ihren Aussagen auch eine Stimmung, die sich gegen Flüchtlinge richtet.“. Als Oskar Lafontaine im Februar in der Welt erklärt, wer illegal über die Grenze gekommen ist, solle, wenn er freiwillige Rückkehrangebote nicht annehme, abgeschoben werden, kam keine Pressemitteilung.

Das sei alles geklärt, sagt Dennis Weber, ein weiterer Kandidat aus dem dünnen U-30-Aufgebot der saarländischen Linkspartei. Man habe sich mit Oskar Lafontaine ausgesprochen. Dass beide überhaupt eine Chance haben, in den Landtag einzuziehen, verdanken sie Lafontaine. Der forderte auf dem Landesparteitag im September, dass die Partei auch junge Kandidaten aufstellen solle. Gesagt, getan.

Gegen dreiviertel zwölf setzt der Regen in Ottweiler wieder ein. Lafontaine linst unter der Plane des Pavillons hervor. „Die SPD baut schon ab, das wird nicht besser.“ Er meint das Wetter. Auch der Rentner verabschiedet sich. „Grüße an die Frau“, gibt ihm Lafontaine mit. „In 30 Jahren kommen Se noch mal. Dann machen wir wieder ein Foto.“

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