piwik no script img

Putenwurst ohne Pute

Gammelfleisch Misstrauen der Importstaaten bringt Brasiliens Fleischindustrie weiter in Bedrängnis

RIO DE JANEIROtaz| Der Skandal um Gammelfleisch kommt Brasilien teuer zu stehen. Über 20 Staaten und die EU haben inzwischen Importrestriktionen verhängt. Zumeist bedeutet dies, dass kein Fleisch von den 21 verdächtigten Unternehmen mehr ins Land gelassen wird. Auch wenn der wichtige Abnehmer China seine Totalblockade für brasilianisches Fleisch am Wochenende aufhob, ist nicht abzusehen, wann diese bislang lukrative Exportbranche ihren Markt zurückerobern kann.

Allein in der ersten Woche nach Bekanntwerden des Skandals verzeichneten die Fleischexporteure ein Minus von umgerechnet über 120 Millionen Euro. Bei Schweinefleisch und Geflügel sind nach Angaben des Branchenverbands Brazilian Animal die Exporte um 22 Prozent zurückgegangen. Vor allem in den großen Unternehmen wurden bereits Hunderte entlassen. JBS, der weltgrößte Verarbeiter von Rindfleisch, kündigte an, die Arbeit in 33 von 36 Schlachtbetrieben vorerst ruhen zu lassen.

Und es kann durchaus noch schlimmer kommen. Aus Ermittlungskreisen verlautete, dass viele haarsträubende Details noch gar nicht an die Öffentlichkeit gelangt seien. Die Liste der betroffenen Unternehmen kann also noch wachsen, ebenso der Imageschaden für die brasilianische Landwirtschaft. Jüngst sickerte ein Telefonmitschnitt an die Presse durch, in dem ein Großunternehmer davon spricht, eine ganze Produktionsstätte sei mit Bakterien verseucht gewesen.

Bekannt ist bislang, dass mehrere Kontrolleure des Agrarministeriums gegen Bestechungsgelder wegschauten, wenn ihnen ungenießbares Fleisch vorgelegt wurde. Laut Bundespolizei wurden Fleischstücke künstlich schwerer gemacht, Wurstprodukte gestreckt und bereits verdorbenes Fleisch mit krebserregenden Substanzen behandelt. Über 20 Unternehmer und Funktionäre sitzen in Untersuchungshaft.

„Es wurde ganz bewusst verdorbenes Fleisch verarbeitet. Fleisch, dessen Verfallsdatum abgelaufen war oder das nicht gekühlt war“, erinnert sich der ehemalige Fleischkontrolleur Daniel Teixeira. Er brachte die Ermittlungen vor zwei Jahren ins Rollen, weil er nicht länger weggucken wollte: „Durch eine DNA-Analyse haben wir festgestellt, dass die Putenwurst überhaupt kein Putenfleisch enthielt. Sie enthielt zu wenige Proteine, dafür mehr Zucker und 80-mal mehr Sojaanteil als erlaubt.“

„Es wurde ganz bewusst verdorbenes Fleisch verarbeitet“

Daniel Teixeira, Fleischkontrolleur

Anders als Teixeira hält Agrarminister Blairo Maggi die ganze Aufregung für übertrieben. „Zusatzprodukte wie Konservierungsstoffe werden immer benutzt und bedeuten keinerlei Gefahr für die Gesundheit“, kommentierte er den Vorwurf, verdorbenes Fleisch sei mit Chemikalien wieder genießbar gemacht worden.

Die EU reagiert zunehmend verschnupft auf diese Haltung. Am Freitag weitete sie die Importrestriktionen aus und kündigte eine Verschärfung der Kontrollen an. Andreas Behn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen