EU-GIPFEL Staats- und Regierungschefs debattieren in Brüssel. Polen macht mit: Welche Zukunft für Europa und die EU?
EU-Kommissionspräsident Juncker
Brüssel taz | Ein Signal der Einheit und Zuversicht sollte vom EU-Gipfel in Brüssel ausgehen. Doch am Ende des zweitägigen Treffens, das vom polnischen Widerstand gegen EU-Ratspräsident Donald Tusk überschattet wurde, zeichneten sich neue Bruchlinien ab: Ausgerechnet eine Erklärung zum 60. Jahrestag der EU-Gründungsverträge am 25. März sorgt für Streit.
In stundenlangen, ungewöhnlich intensiven Diskussionen konnten sich die 27 Staats- und Regierungschefs (ohne Großbritannien) am Freitag nur auf vage Grundzüge für die sogenannte Rom-Erklärung einigen, die auf einem Sondergipfel in der römischen Hauptstadt verkündet werden soll. Kernfragen wie der Umgang mit Demokratie und Rechtsstaat bleiben umstritten. Polen habe sich gegen ein klares Bekenntnis gesträubt, sagten EU-Diplomaten.
Auch das Europa der „verschiedenen Geschwindigkeiten“, das Kanzlerin Angela Merkel (CDU) propagiert, bleibt umstritten. „Wir lehnen jegliche Gespräche über ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten ab“, sagte die polnische Regierungschefin Beata Szydło. Andere EU-Länder wie Finnland oder Österreich haben ebenfalls noch Vorbehalte. Sie fürchten, von Deutschland und anderen großen EU-Staaten abgehängt zu werden. Kanzlerin Angela Merkel gab sich dennoch zuversichtlich, dass die geplante Erklärung „ein Signal der Gemeinsamkeit“ geben wird. Auch Szydło habe sich aktiv in die Debatte eingebracht, sagte sie. Am Donnerstag hatte sie noch alle Beschlüsse des Gipfels blockiert.
Damit wollte die konservative Polin gegen die Wiederwahl von EU-Ratspräsident Donald Tusk protestieren. Polen hatte sich als einziges EU-Land gegen eine weitere Amtszeit für den liberalen Landsmann gestemmt. Am Freitag mischte Szydło sich dann aktiv in die Debatte ein – um immer wieder Vorbehalte und Einwände geltend zu machen. Demgegenüber versuchten Merkel, Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Polen zurück in den Kreis der 27 zu holen.
Es werde „kein neuer eiserner Vorhang“ durch Europa gezogen, wenn sich einige Mitgliedstaaten zu einer beschleunigten Integration zusammenfinden, sagte Juncker. Das Europa verschiedener Geschwindigkeiten sei schon jetzt Realität, betonte Merkel. Sie verwies dabei auf den Euro, den Schengenraum ohne Grenzkontrollen oder die Zusammenarbeit einiger Mitgliedstaaten im Scheidungsrecht.
„Jetzt kommt wahrscheinlich auch die europäische Staatsanwaltschaft hinzu“, freute sich die Kanzlerin. Zunächst 17 Staaten wollen nämlich eine neue, unabhängige Behörde aufbauen, die gegen die EU gerichtete Finanzdelikte verfolgen soll. Darauf hatte sich der EU-Gipfel in der Nacht zu Freitag geeinigt.
Polen konnte dieses Projekt ebenso wenig blockieren wie die Schlussfolgerungen des EU-Gipfels. Zwar hatte Szydło ein Veto eingelegt. Doch die 27 behalfen sich mit einem Trick: Sie ließen ihre Beschlüsse einfach unverändert unter anderem Namen veröffentlichen – als Schlussfolgerungen von Ratspräsident Tusk. Der Pole konnte so gleich seinen ersten Erfolg nach der Wiederwahl feiern. Eric Bonse
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