: Strandverzicht ist nichtig
Politischer Konsum Die linke Katja Kipping regt einen Tourismusboykott gegen die Türkei an. Neu ist die Idee nicht. In der Realität trifft solches Verhalten die Falschen
von Edith Kresta
Ausnahmezustand, geplante Verfassungsreform und das Ende der Pressefreiheit: Recep Tayyip Erdoğan will die Türkei in eine Diktatur verwandeln. Katja Kipping bringt daher eine neue, alte Idee ins Spiel. „Wenn die Bundesregierung mit dem Diktator kuschelt, dann sollten wir über einen Tourismusboykott nachdenken“, findet die Vorsitzende der Linkspartei.
Schon 1991 forderte die Gesellschaft für bedrohte Völker einen Tourismusboykott gegen die Türkei wegen ihrer Kurdenpolitik. Das bekannteste Beispiel war jedoch der Boykottaufruf gegen Südafrika während der Apartheid. Tourismusboykotte wurden auch gegen die Militärregime in Argentinien und in Chile, und zuletzt für Burma diskutiert. Er wird immer dann populär, wenn die Untiefen der Politik eines Landes, die Menschenrechtsverletzungen unerträglich werden. Es ist der Reflex bewusster Konsumenten auf Urlaubsländer mit undemokratischer Schlagseite. Selbst als die AfD 2016 auf Usedom Spitzenwerte erzielte, wollten viele nicht mehr dorthin reisen.
Bloß: Menschenrechtsverletzungen werden zwar von vielen Touristen wahrgenommen und kritisiert, doch die Urlaubsentscheidung beeinflussen sie kaum. Nach politischen, moralischen oder ökologischen Gesichtspunkten richtet sich nur eine Minderheit.
Nach Untersuchen der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen schlägt der Preis allemal die Moral. Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis ist für 77 Prozent der deutschen Urlauber besonders wichtig. Es folgen weitere Faktoren wie eine „schöne Landschaft“, „sonniges, warmes Wetter“, „persönliche Sicherheit“ – in diesem Punkt reagiert der Tourismus äußerst sensibel. Im Juli 2016 scheiterte ein Putschversuch in der Türkei. Zudem erschütterten mehrere Terroranschläge das Land. Deshalb bleiben in der Türkei die Touristen auch ohne Boykottaufruf aus. Aus Deutschland kamen in den ersten elf Monaten des Jahres 2016 nach Angaben des Statistikamts Türkstat noch etwa 3,76 Millionen Besucher – 31 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Auch die russischen Touristen blieben weg. Nachdem ein russischer Jet im November 2015 abgeschossen worden war strich Russland Flüge in die Türkei. Der türkische Kultur- und Tourismusminister Mahir Ünal forderte die russischen Bürger auf, sein Land trotz der Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu besuchen. Der politische Konflikt habe nichts mit seiner Branche zu tun.
Dieser Ansicht sind auch die großen Veranstalter. Die Tourismusindustrie betont mantramäßig, Tourismus und Politik hätten nichts miteinander zu tun und man wolle sich nicht in die innenpolitischen Verhältnisse der Reiseländer einmischen. Ein Tourismusboykott bleibt aber symbolisch, wenn die Branche nicht mitzieht, vor allem für ein Land wie die Türkei, das vom Pauschaltourismus großer Veranstalter geprägt ist.
Das ist nicht zu erwarten. Wie andere Dienstleistungsgewerbe unterliegt der Tourismus dem Gewinnstreben eines industriellen Unternehmens. Wirtschaftsfremde Gesichtspunkte wie ein politischer Boykott haben keine Bedeutung – den industriellen Tourismus auf ein moralisches Podest zu stellen ist sinnlos. Und schließlich: Ein Boykott richtet sich gegen eine Diktatur, trifft aber die Menschen.
Die Tourismusbranche in der Türkei leidet ohnehin: Ob Hotels, Taxifahrer oder Souvenirverkäufer – insgesamt sind die Einnahmen vom Tourismus 2016 im Vergleich zum Vorjahr um fast 30 Prozent gesunken. Doch während Hotelbesitzer vom Staat Überbrückungskredite bekommen, bleiben viele Tausende im Tourismus direkt oder indirekt Beschäftige arbeitslos, weil Hotels und Clubs nicht öffnen. Hinzu kommt: Ein Aufruf zum Tourismusboykott erreicht am ehesten eine aufgeklärte, politisch-korrekte Klientel, die ohnehin andere Urlaubsformen als den industriellen Großtourismus bevorzugt. Dadurch wären gerade touristische Projekte, die einen nachhaltigen, innovativen Tourismus betreiben, vom Boykott betroffen: Veranstalter aus dem touristischen Mittelstand, die sich um neue Ansätze bemühen, deren Finanzdecke oft dünn ist. Für sie kann eine verpatzte Saison das Ende ihrer Unternehmen bedeuten.
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