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Späte Fragen

NSU In Mecklenburg-Vorpommern startet nun auch eine parlamentarische Aufarbeitung des rechten Terrors. Doch dieBefugnisse des nun beschlossenen Unterausschusses sind beschränkt. Mehr als ein Signal sehen viele Beobachter nicht darin

Blumen an einer Gedenktafel für den ermordeten Mehmet Turgut am Ort des Verbrechens in Rostock Foto: dpa

aus Rostock Hannes Stepputat

Es heißt oft, in Mecklenburg-Vorpommern passiere alles etwas später, und völlig von der Hand zu weisen ist das meist tatsächlich nicht. Im Fall der neonazistischen Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) war die Hansestadt Rostock 2014 die letzte der Tatortstädte, in denen der selbst ernannte NSU mordete, die einen Gedenkort schuf. Am 25. Februar 2004 erschossen die Neonazis im Stadtteil Toitenwinkel den 25-jährigen Imbissverkäufer Mehmet Turgut. In den Jahren 2006 und 2007 überfielen sie zweimal dieselbe Bank in Stralsund. Jetzt, 13 Jahre nach dem Mord und mehr als fünf Jahre seit der NSU-Selbstenttarnung, soll auch in Mecklenburg-Vorpommern die parlamentarische Aufarbeitung beginnen.

Anfang März wird der Landtag einen gemeinsamen Antrag der Regierungskoalition aus SPD und CDU sowie der Linken beschließen, im Innenausschuss einen Unterausschuss einzurichten, der die NSU-Verbindungen und die Rolle der Sicherheitsbehörden im Nordosten untersuchen soll. Wohlgemerkt: ein Unterausschuss, kein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA). Das Gremium wird keine Ermittlungsbefugnisse haben, kann keine Zeugen vorladen, keine Akten anfordern. Eine Farce?

Von den Tatortländern, in denen der NSU mordete, bombte, Banken überfiel, haben bisher nur Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern keine Form der parlamentarischen Aufarbeitung gefunden. Im Nordosten war die Einrichtung eines PUA 2013 gescheitert, nachdem die Grünen der ebenfalls oppositionellen Linken die Unterstützung versagt hatten. Stattdessen wollte der damalige Fraktionschef Jürgen Suhr einen Bericht des Innenministeriums abwarten, in dem es seine Erkenntnisse vorstellen wollte. „Schon bei erster Sichtung wird deutlich, dass die Regierung sich um die Antwort auf wesentliche Fragen drückt“, zeigte er sich danach enttäuscht.

An dieser Feststellung hat sich aus Expertensicht bis heute nichts geändert. Gideon Botsch, Politikwissenschaftler an der Uni Potsdam, war Sachverständiger für die NSU-Taten in MV. In seinem Gutachten für den Bundestagsuntersuchungsausschuss kommt er zu dem Schluss, dass drei Fragenkomplexe der Aufklärung harren.

Laut dem Bericht des Innenministeriums hatte der Landesverfassungsschutz (VS) den Ermittlern ein halbes Jahr nach dem Mord einen Hinweis gegeben, Mehmet Turgut hätte Drogen verkauft, das Geld aber nicht an seine Hintermänner abgeführt, sondern an seine Familie in die Türkei überwiesen. „Wie wir heute wissen, war das keine Erkenntnislage, sondern eine reine Vermutung“, sagt Botsch. Es sei die „dringende Frage“ zu stellen, wie der VS dazu kam, diesen Hinweis an die Behörden weiterzugeben und die Ermittler so in einer falschen Spur zu bestärken.

Die Polizei habe ihre Ermittlungen zudem auf Drogenkriminalität konzentriert und keine Ermittlungen zu Neonazis durchgeführt. „Es stellt sich massiv die Frage, warum in diesem außergewöhnlichen Fall beim Stocken der Ermittlungen nicht doch einmal in Richtung Rechtsextremismus geschaut worden ist“, sagt Botsch.

Von anderen Tatorten wisse man, dass Personenabgleiche mit in der Nähe lebenden Neonazis gemacht worden seien. In Rostock habe man „mindestens eine Person, die in Tatortnähe gewohnt hat und relativ dicht an den Basisstrukturen um den NSU dran war“, erklärt Botsch. Die Basisstrukturen, das seien vor allem das heute verbotene Blood-and-Honour-Netzwerk, das auch in Rostock eine Sektion hatte. „Experten bestätigen, dass Mundlos und Böhnhardt bereits in den frühen 1990er Jahren Kontakte zu Rostocker Neonazis hatten“, sagt auch Petra Pau, Linken-Obfrau im Bundestagsuntersuchungsausschuss. Fraktionsübergreifend gehe dieser davon aus, dass der NSU kein Trio, sondern ein Netzwerk von Neonazis war. Die Frage, wer in Rostock möglicherweise Helfer war, sei offen.

Drittens sei zu klären, wie sich Neonazis in MV in den 1990er Jahren radikalisieren konnten. In Rostock habe ein mittlerweile geschlossener städtischer Jugendclub eine Rolle gespielt, der den damals verbreiteten Ansatz der akzeptierenden Jugendarbeit genutzt habe.

Auch die Frage, was der VS möglicherweise wusste, müsse beantwortet werden: „Es wäre irritierend, wenn bei der Dichte an Mitarbeitern der verschiedenen Geheimdienste, insbesondere des Bundesamtes und der einzelnen Landesämter für Verfassungsschutz, nicht auch in den gewaltbereiten Szenen in Mecklenburg-Vorpommern Quellen geführt worden sind“, sagt Botsch. Allerdings sei der mecklenburgische VS in dieser Weise bisher nicht aufgefallen.

Die Frage, wer aus der Rostocker Naziszene zu den Helfern des NSU gehört haben könnte, ist bis heute nicht geklärt

Dass die offenen Fragen nach dem Netzwerk des NSU in MV mit dem nun geplanten Unterausschuss aufgeklärt werden können, glaubt Botsch nicht: „Ich bin skeptisch, angesichts der bisherigen Erfahrungen mit Untersuchungsausschüssen, dass es ausreichen wird, sich auf die freiwillige Mitarbeit der Sicherheitsbehörden zu verlassen.“ In der gesamten Aufarbeitung habe man eine erschütternde Form der Ignoranz feststellen müssen, „die bis an den Rand der möglicherweise aktiven Vertuschung geführt“ habe. Einem Gremium, das keine Zeugen vorladen und keine Akteneinsicht erzwingen könne, traue er eine Aufklärung nicht zu.

Auch Clemens Binninger (CDU), Vorsitzender im Bundestagsuntersuchungsausschuss, hält einen solchen auf Landesebene weiterhin für das richtige Mittel: „Wir im Bund waren angesichts der Dimension immer auch gezwungen, Prioritäten zu setzen. Dadurch konnten wir zum Beispiel die Taten in Rostock und Stralsund nie in der Tiefe untersuchen, wie es ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Landtag könnte.“

„Ein PUA erschien uns immer als das am besten geeignete Instrument“, sagt auch Peter Ritter, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. Seiner Partei fehlen sieben Sitze, um den Ausschuss selbstständig einsetzen zu können. Auch in der SPD gibt es Abgeordnete, die einen PUA insgeheim für die bessere Wahl halten – gemeinsam könnte es klappen. Doch die SPD will den Koalitionskrach mit der CDU nicht riskieren. Hauptgegner eines PUA sei nach wie vor Innenminister Lorenz Caffier (CDU), heißt es unter der Hand. Das Ministerium sei „seiner Unterrichtungs- und Transparenzpflicht“ gegenüber dem Landtag „und der Öffentlichkeit im Gegensatz zu anderen Bundesländern“ umfassend nachgekommen, heißt es dazu lapidar von einem Ministeriumssprecher.

Hinzu kommt ein weiteres Problem. Gemäß Untersuchungsausschussgesetz würde der PUA-Vorsitz der zweitgrößten Fraktion zustehen: der AfD. Die AfD stellt unterdessen in Aussicht, für einen PUA zu stimmen. Ein Unterausschuss sei wegen der fehlenden Befugnisse eine reine „Showveranstaltung“. Im November hatte AfD-Landes­chef Leif-Erik Holm einen PUA noch als zu teuer und unnötig abgelehnt. Angesichts dieser Konstellation übt sich Peter Ritter in Zweckoptimismus: Der Unterausschuss sei „ein Schritt in die richtige Richtung. Endlich!“

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