piwik no script img

Niedersachsens Polizeiparadox

SICHERHEIT Terrorverdächtige aus Göttingen sollen Deutschland verlassen, aber eine Islamistin aus Hildesheim muss hier bleiben. Was treiben Niedersachsens Behörden?

von Reimar Paul

In seinem Vorgehen gegen den islamistischen Terror sendet Niedersachsen widersprüchliche Signale. Weil sie im Nahen Osten den „Islamischen Staat“ (IS) unterstützen könnte, darf eine mit dem Salafismus verbandelte Frau aus Hildesheim nicht ausreisen. Gleichzeitig sollen zwei terrorverdächtige Islamisten aus Göttingen nach dem Willen der Landesregierung in Hannover so schnell wie möglich nach Algerien beziehungsweise Nigeria abgeschoben werden. Das Innenministerium erließ bereits eine entsprechende Anordnung.

Acht Tage waren sie im sogenannten Langzeitgewahrsam, jetzt sollen die vor zwölf Tagen in Göttingen festgenommen Männer ausgewiesen werden. Der 22-jährige Nigerianer und der 27 Jahre alte Algerier sitzen bereits seit Donnerstag in der Justizvollzugsanstalt Hannover-Langenhagen, dem einzigen Abschiebeknast in Niedersachsen.

Die Polizei stuft die beiden als islamistische Gefährder ein und beschuldigt sie, in der Universitätsstadt einen größeren Anschlag vorbereitet zu haben. Die Planungen dafür seien bereits sehr konkret gewesen, heißt es – Einzelheiten dazu haben die Ermittler bislang allerdings nicht mitgeteilt. Bei der Durchsuchung von rund einem Dutzend Gebäuden in Göttingen und Kassel waren unter anderem eine scharf gemachte Gaspistole, eine Machete und Munition sichergestellt worden. An der Razzia waren etwa 450 Beamte beteiligt.

Göttinger sollen gehen

Die Anordnung der Landesregierung stützt sich auf einen Passus im Aufenthaltsgesetz, der eine Abschiebung auch ohne vorherige Aufforderung zur Ausreise erlaubt, wenn das zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit des Landes oder einer terroristischen Bedrohung nötig ist. Damit habe Niedersachsen „das schärfste Schwert des Ausländerrechts gegen Gefährder“ angewandt, sagt Innenminister Boris Pistorius (SPD). Und Göttingens Polizeipräsident Uwe Lühring wertet die in dem Bundesland bislang beispiellose Maßnahme als „großen Erfolg, den wir uns gewünscht haben“. Die Beschuldigten können zwar gegen die Anordnung klagen, allerdings nur in einer Instanz vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Der Lanzeitgewahrsam, in den die beiden Männer nach ihrer Festnahme gekommen waren, ist auf zehn Tage begrenzt. In der Abschiebehaft könnten sie nun für bis zu zwölf Monate verbleiben. Das Innenministerium geht allerdings davon aus, dass die Abschiebung deutlich früher erfolgen kann. Die Verdächtigen, die in Deutschland geboren wurden und bislang in Göttingen bei ihren Familien lebten, verfügen den Angaben zufolge über gültige Dokumente. Nach der Ausweisung gilt für beide ein lebenslanges Wiedereinreiseverbot.

Hildesheimerin muss bleiben

„Das schärfste Schwert des Ausländerrechts gegen Gefährder“

Ein völlig anderes Zeichen setzte die Stadt Hildesheim. Sie verhängte ein Ausreiseverbot für eine Frau aus dem als „radikal-salafistisch“ geltenden Verein „Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim“ (DIK). Das Verwaltungsgericht Hannover bestätigte die Maßnahme in der vergangenen Woche. Das Verbot gilt zunächst bis Anfang März, die Frau muss bis dahin auch ihren Pass abgeben. Die Mutter von vier Kindern war als Dreijährige aus dem Libanon in die Bundesrepublik gekommen, hat aber nicht die deutsche Staatsangehörigkeit.

Im November hatte die Polizei die Moschee des Vereins sowie mehrere Wohnungen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen durchsucht. Pistorius hatte den DIK schon vor Monaten einen „bundesweiten Hotspot der Salafisten-Szene“ genannt. Der Lebensgefährte der Frau, mit dem sie nach islamischen Recht verheiratet ist, soll Gründungsmitglied des Vereins sein und versucht haben, mit Spendengeldern gekaufte Krankenwagen nach Syrien zu bringen. Auch für ihn gilt ein Ausreiseverbot.

Es bestehe die Gefahr, „dass sich die Klägerin ins Kriegsgebiet in Syrien oder im Irak begibt“, begründete das Verwaltungsgericht sein Urteil und berief sich dabei auf Erkenntnisse des Landeskriminalamtes. Es sei nicht auszuschließen, dass sie dort den IS zumindest „logistisch unterstützen“ wolle. Wie im Ausländer- und Passgesetz für eine Ausreiseuntersagung gefordert, gefährde dies „erhebliche Belange der Bundesrepublik“.

Für die Göttinger Verdächtigen gilt dies hingegen nicht: Sofern sie nicht nach der Ankunft von den dortigen Behörden inhaftiert werden, könnten sich der Nigerianer und der Algerier den örtlichen Terrormilizen anschließen. In Nigeria ist weiterhin Boko Haram aktiv, die Organisation hat enge Verbindungen zu Al-Kaida im Maghreb. In Algerien gibt es Ausbildungslager des IS, aus dem größten afrikanischen Land strömen seit Jahren bewaffnete Islamisten in die Konfliktgebiete der Region.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen