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Sozialbetrug wird untersuchtEigennütziger Familienverein

Die Familie des Bremer Parlamentariers Patrick Öztürk soll gewerbsmäßigen Betrug in Bremerhaven organisiert haben. Der Untersuchungsausschuss beginnt.

Kassiert noch immer Bürgerschafts-Diäten: Patrick Öztürk Foto: Wikimedia

BREMEN taz | Nicht nur gegen den Bremer Bürgerschaftsabgeordneten Patrick Öztürk (SPD) und seinen Vater, sondern auch gegen Öztürks Bruder wird wegen Sozialbetrugs in Bremerhaven ermittelt. Das bestätigte die Staatsanwaltschaft Bremen der taz. Beim vierten Beschuldigten handelt es sich um einen Dolmetscher. Wann das Verfahren wegen des Verdachts auf Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug eröffnet wird, ist unklar. Am heutigen Dienstag beginnt der parlamentarische Untersuchungsausschuss „zur Aufarbeitung des organisierten Sozialleistungsbetruges in Bremerhaven“.

Die vier Beschuldigten sollen BulgarInnen und GriechInnen dabei unterstützt haben, „betrügerisch Sozialleistungen zu erwirken“, wie Frank Passade, Sprecher der Staatsanwaltschaft, sagte. Dazu, so der Vorwurf, haben sie über zwei vermeintlich gemeinnützige Vereine die Betroffenen mit Scheinarbeitsverträgen ausgestattet, sodass diese anschließend als Arbeitslose staatliche Unterstützung beziehen konnten. Auch gegen sie wird ermittelt. Es handelt sich laut Passade um 892 Personen. Das Bremerhavener Jobcenter soll dabei um mehrere Hunderttausend Euro betrogen worden sein.

Im Ausschuss soll der organisierte Sozialleistungsbetrug politisch aufgearbeitet werden. In der heutigen ersten Sitzung befragt der Ausschuss der Bürgerschaft Klaus Rosche (SPD), den Bremerhavener Dezernenten für Soziales, Jugend und Familie.

Ein langer Fragenkatalog

Rosche kann sich auf bis zu 70 Fragen allein durch den Ausschussvorsitzenden Nelson Janßen (Die Linke) einstellen. Im Fokus steht, welche Rolle die Vereine der Öztürks beim mutmaßlichen Sozialbetrug gespielt haben, ob es auch reale Arbeitsverhältnisse gegeben hat und wie die Behörden versagt haben.

„Warum gab es keine politische Kontrollebene? Wo hat das System versagt oder war lückenhaft? Zu welchen Bedingungen waren die Menschen eigentlich untergebracht?“, fragte Janßen bereits im Dezember im taz-Interview. Ebenso ist laut Janßen zu untersuchen, seit wann es Hinweise auf den mutmaßlichen Betrug gegeben hat.

Der Untersuchungszeitraum reicht bis ins Jahr 2013 zurück. Seitdem ist die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit in Kraft. „Vermutlich sind die betroffenen Menschen aus Notlage in ein ausbeuterisches System gelangt“, sagt Janßen. Viele der Betroffenen sollen in Bremerhaven in Schrottimmobilien gewohnt haben, teilweise sollen bis zu 60 Personen an einer Adresse gemeldet gewesen sein, so Janßen. Auch Patrick Öztürk soll eine solche Immobilie vermietet haben.

Dieser ist nach langem Zögern aus der SPD-Fraktion ausgetreten, nimmt aber weiterhin sein über die Liste der Partei errungenes Mandat wahr. Gegen ihn läuft ein Parteiordnungsverfahren.

Akten waren Verschlusssache

Zu Anträgen auf Sozialhilfe und deren Bewilligung befragt der Untersuchungsausschuss am Freitag Friedrich-Wilhelm Gruhl, den Geschäftsführer des Jobcenters Bremerhaven.

Bereits im Vorfeld des Untersuchungsausschuss ist es zu einem Konflikt zwischen Bundesarbeitsagentur, Jobcenter und dem parlamentarischen Kontrollgremium gekommen. Die Bundesagentur hatte betroffene Jobcenter-Leistungsakten als Verschlusssache eingestuft und damit die parlamentarische Aufklärungsarbeit deutlich erschwert. Der Untersuchungsausschuss hatte sich über die Einstufung der Akten erfolgreich öffentlich beschwert.

Nach Medienberichten und der Beschwerde durch den Ausschuss ist von Seiten des Jobcenter inzwischen die Rede von einem „Missverständnis“. Die Dokumente unterliegen nun den normalen Datenschutzvorgaben und können von den ParlamentarierInnen und ihren MitarbeiterInnen regulär ausgewertet werden.

Neben den behördlichen Anträgen soll ein weiterer Komplex des Untersuchungsausschusses auch die humanitäre Situation der Betroffenen behandeln. Dabei haben sich Berichte über eine katastrophale Lage der Betroffenen – Unterernährung, Obdachlosigkeit, Zwangsprostitution – laut Erkenntnissen und Nachforschungen von Sybille Böschen, der stellvertretenden Vorsitzenden der SPD Bremerhaven, nicht bestätigt.

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