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Das dringend benötigte Haus

Reportage In Thessaloniki, wo vor dem Einmarsch der Wehrmacht rund 50.000 Juden wohnten, soll das „Holocaust Memorial Museum und Education Center for Human Rights“ entstehen

Das aus dem Gedächtnis gemalte Bild eines anonymen Zeichners zeigt die Rückkehr von Juden, die in Griechenland zur Sklavenarbeit abgeordnet waren, vor ihrer Deportation nach Polen Foto: Jewish Community of Thessaloniki

VON Harriet Wolff

Es ist ein noch räudiger, ein trauriger Ort, an dem Geschichte weitergeschrieben werden soll. Umstellt ist er von Konsum und Ignoranz, von Lifestyle und Verfall. Nach Süden geht es zu den meist maroden Hafenanlagen von Thessaloniki, die sich das chinesische Konsortium Cosco gesichert hat. Im Gegenlicht der Abendsonne glitzert ein riesiges Logo von Media Markt. Gen Norden lockt ein Einkaufszentrum, die „One Salonica Outlet Mall“. Gut besucht, thront es inmitten oft leerstehender Apartmenthäuser und eingestürzter Siedlerkaten. Samt Katzen, die im Müll wühlen.

Hier im Westen von Thessaloniki – Saloniki sagen die Einheimischen – soll auf einem brachliegenden Gelände das „Holocaust Memorial Museum and Education Center for Human Rights“ entstehen. Bis Ende der 1930er Jahre war Saloniki stark jüdisch und kosmopolitisch geprägt. Für das geplante Zentrum sollen nun jeweils 10 Millionen Euro vom Auswärtigen Amt kommen – und von der Stavros Niarchos Foundation – der Kulturstiftung eines verstorbenen, hellenischen Reeders. Eine Kofinanzierung, die sicherlich nicht auf dem Mist von Wolfgang Schäuble gewachsen ist. Den Ort für das Museum hat die staatliche griechische Bahngesellschaft jetzt der Stadt überlassen.

Keine statische Gedenkstätte soll es werden, keine, die sich ausschließlich mit den früheren, meist furchtbaren Schicksalen der Juden Salonikis beschäftigt. Das ist unisono die Position des unabhängigen Bürgermeisters, Giannis Boutaris, wie des Vorsitzenden und Vorbeters der Jüdischen Gemeinde, David Saltiel. „Jerusalem des Balkans“ hieß die Stadt – 1940 wohnten rund 50.000 Jüdinnen und Juden hier, ein Fünftel der damaligen Bevölkerung. Um 1900 stellten sie noch die Hälfte. In den Straßen sprach man Französisch und Hebräisch, Griechisch, Türkisch und Ladinisch. Die Wehrmacht besetzte im April 1941 Griechenland und von März bis Juni 1943 deportierte die SS fast alle Juden Salonikis in insgesamt 33 Transporten mit Güterwaggons in die Vernichtungslager Bergen-Belsen und Auschwitz-Birkenau. Nur etwa 1.900 Menschen überlebten.

Das unprätentiöse Bürgermeisterbüro von Boutaris blickt auf das tänzelnde Meer; der Chef selbst, 74 Jahre alt, raucht beim Interview mit der taz. Boutaris trägt statt Krawatte lieber Hosenträger und Tattoos. „Thessaloniki hat seine Seele durch die Deportation der Juden verloren“, sagt er und zieht an der Zigarette. „Das Museum wird nicht bloß ein Vorzeigemuseum sein. Es wird auch eins sein gegen Totalitarismus, ein Bildungszentrum auf dem Balkan, in dem wir zeigen, wie böse der Faschismus ist, der Hass des einen gegen den anderen.“

David Saltiel drückt es wenig später ähnlich aus. Er empfängt im fensterlosen Besprechungszimmer der jüdischen Gemeinde, deren Büros in einem unauffälligen, bescheidenen Bürogebäude gegenüber den ehemals jüdischen Markthallen im Zentrum liegen. Nur auf der Etage wacht ein Polizist. Saltiel, in Anzug und Binder, ist 85 Jahre alt. Er wirkt wie gerade mal 70, ist freundlich und gesprächig. Seine Heimat hat er auch während der deutschen Besatzung nicht verlassen. „Dieses Zentrum“, sagt er, „wird ein Leuchtturm für die Demokratie, es soll aufklären über Rassismus und Toleranz lehren. Wir erinnern in ihm an die Vergangenheit, aber wir sehen die Zukunft wissenden Auges. Zu viele Leute, besonders die jungen hier in Griechenland, wissen immer noch zu wenig oder gar nichts.“

Ein runder, heller und lamellenartiger Turm, 32 Meter hoch, soll das Museum und Bildungszentrum beherbergen. Die Pläne stammen vom Berliner Architektenbüro Heide & von Beckerath und dem Tel Aviver Büro EK A Efrat-Kowalsky. Je 5 Millionen Euro sind im deutschen Bundeshaushalt 2017/18 eingeplant – Außenminister Frank Steinmeier hat das kürzlich bei einem Thessalonikibesuch wiederholt. Dabei zeichnete ihn die jüdische Gemeinde als Ehrenmitglied aus: für seinen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus.

„Wir erinnern im Center an die Vergangenheit, aber wir sehen die Zukunft wissenden Auges“

Aus Steinmeiers Umfeld hört man nun, dass die 10 Millionen Euro dann aber auch jeweils abgerufen werden müssten, sonst verfalle der Haushaltsposten. Und genau bei diesem Punkt könnte es problematisch werden. Denn die Liste der diversen nötigen Baugenehmigungen vonseiten der Stadt, der Region und des griechischen Staates ist lang und umständlich. Ob sie allesamt zügig erteilt werden, sei nicht wirklich sicher, heißt es im Auswärtigen Amt. Zumindest 3,5 Millionen Euro sollen aber bis Mitte 2017 für Vorarbeiten fließen, auch wenn noch nicht alle Genehmigungen da sind.

Boutaris und Saltiel geben sich zuversichtlich. „Wir haben zumindest fast alle nötigen städtischen Genehmigungen“, sagt Saltiel – „was aber heißt, dass wir dort nur einen Museumsturm bauen und kein weiteres Gebäude, wie ursprünglich geplant.“ Anvisiert war ein niedriger Rundbau für eine jüdische Schule nebenan. Es gibt bisher eine jüdische Grundschule. Der Bau soll später trotzdem kommen – ein Grundstück in der Nähe hat Boutaris der Gemeinde bereits versprochen. Und im Falle eines von vielen Griechen erwarteten Regierungswechsels, hat Saltiel gute Kontakte zur Nea Dimokratia (ND). „Tsipras ist auf unserer Seite. Doch zum Holocaust-Gedenktag im Januar spricht der ND-Vorsitzende Mitsotakis in Saloniki.“

Bürgermeister Boutaris vermutet im Gespräch mit der taz, dass die angeblich nur noch „zur Hälfte ausstehenden staatlichen Genehmigungen für das Museum bis Mitte 2017 erteilt werden“. Seitdem der parteilose ehemalige Winzer nun fast schon sechs Jahre versucht, die Stadt wirtschaftlich effizienter und geistig weltoffener zu gestalten, rückt die jüdische Geschichte positiv in den Fokus. „Wenn auch nur bei einem kleinen, eher intellektuellen Zirkel der Stadt“, sagt Evanghelos Hekimoglu, der gerade als Kurator des Jüdischen Museums eine Schau mit dem Titel „Gespaltene Erinnerungen“ über die Zeit zwischen 1940 und 1950 mitgestaltet hat. Sie ist bis Ende Februar 2017 im Makedonischen Museum für Zeitgenössische Kunst zu sehen. Hekimoglu, „nicht praktizierender orthodoxer Christ“, wie er sich selbst nennt, und ein liebenswerter, komplett uneitler Mensch, ist eigentlich Wirtschaftshistoriker. Bei einem türkischen Mokka im Museumscafé berichtet er von Anfeindungen im Kollegenkreis. „Einige hier wollen mit mir nichts mehr zu tun haben, seitdem ich für das Jüdische Museum arbeite.“

Es ist Saltiels Verdienst, der noch Judenspanisch (Ladino) kann und einer der letzten traditionellen Sänger jener Sprache ist, dass er, zusammen mit Weggefährten, die sephardisch geprägte jüdische Gemeinde nach außen hin geöffnet hat, dass Nichtjuden in ihr mitarbeiten. Auch die Kooperation mit dem Auswärtigen Amt ist intensiver geworden. Trotzdem und trotz der Haltung der Bundesregierung, dass sämtliche Reparationen an Griechenland abgegolten seien, will die Gemeinde noch umgerechnet rund 89 Millionen Euro von der Deutschen Bahn als historische Nachfolgerin der Reichsbahn. Hier geht es um die Tickets, die Juden damals für den Transport von Thessaloniki in die Vernichtungslager bezahlen mussten. Mit 150.000 Euro hat sich Berlin jetzt beteiligt an der im Mai beendeten Renovierung der historischen Monastiriotis-Synagoge. Sie ist die einzig verbliebene der einst über 40 existierenden Gebetshäuser in der Stadt.

Thessaloniki – im Einzugsgebiet der Metropole leben über eine Millionen Menschen – hatte bis 1997, als man Europäische Kulturhauptstadt war, seine jahrhundertealte kosmopolitisch und stark jüdisch geprägte Geschichte völlig ignoriert. Bis 1912 war die Stadt unter türkischer Herrschaft. 1997 öffnete das Museum der sephardischen Gemeinde Salonikis und es erzählt bis heute in bescheidenem Rahmen vom einstigen großen Einfluss seiner Mitglieder und ihrer späteren meist grausamen Schicksale.

Der geplante Museumsturm Foto: Jewish Community of Thessaloniki

Schon 140 v. Chr. sollen die ersten Juden in der Gegend gelebt haben, allein 20.000 von ihnen kamen 1492, vertrieben aus Spanien. Eine leicht zu übersehende Gedenktafel am leerstehenden alten Bahnhof der Stadt, umtost von Autos und ganz in der Nähe des geplanten Holocaust-Museum, berichtet von der fast kompletten Vernichtung der Juden 1943. Heute zählt die Jüdische Gemeinde von Saloniki noch rund 1.000 Mitglieder.

Das ambitionierte Holocaust-Museumsprojekt soll zirka 2020 fertig werden. Ist dem so, dann wird einer hier mancherorts grassierenden Räudigkeit, letztere geistig wie räumlich, Wissen und Reflexion entgegengesetzt. An einem neuen, lichten Ort mitten in Thessaloniki, nicht weit vom Meer.

„Wir brauchen dieses Haus ganz dringend“, sagt Boutaris und zündet sich noch eine Zigarette an.

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