: Als Bowie in Warschau war
Release „Helibo Seyoman“ heißt das Buch eines deutsch-polnischen Projekts, das nun erschienen ist – nach einer Zeile aus David Bowies „Warszawa“
Gleis 4, Bahnhof Zoo, 19 Uhr. So richtig heimisch fühlte man sich hier nicht auf dem zugigen, kalten Bahnsteig. Eine Gruppe von Leuten steht am Rande. Sie haben Bücher, Kekse und Wodka dabei. Die Bücher, um die es hier gehen soll, sind schwarz und gerade fertig geworden, der Titel leuchtet so stardustmäßig silbern: „Helibo Seyoman“. „Helibo Seyoman“ ist eine Songzeile aus dem berühmten Stück „Warszawa“ von David Bowie. Die Textpassagen sind in einer ausgedachten Sprache verfasst, die kein Mensch versteht. Auch schon fast vierzig Jahre her, dass der im Januar dieses Jahres verstorbene Popstar das Lied für seine Platte „Low“ in den Hansa Studios aufgenommen hatte.
Martin Conrads ist Mitherausgeber von „Helibo Seyoman“, er erklärt die Idee des Buchs: in den 70er Jahren, unklar ob 1973 oder 1976 – war David Bowie in Warschau gewesen – eine Stunde wohl nur – und er hätte in einem Plattenladen in der Nähe des Warschauer Bahnhof eine Platte des Slask Song and Dance Ensembles gekauft, auf der sich auch das Stück „Helokanie“ fand, das Bowie zu seinem pathetischen „Warszawa“ inspiriert hatte. Deshalb stünde man nun hier und in Warschau findet zeitgleich das Gleiche in Grün statt. Die ganze Geschichte gehört nun zu einer Reihe von Projekten, die anlässlich des25. Jubiläums der Städtepartnerschaft Berlin-Warschau entstanden sind.
Auf dem Bahnsteig werden Passanten die Bücher einfach in die Hand gedrückt. Ulrich Gutmair, der auch einen Beitrag verfasst hat, kommt später mit seinem Laptop – leider funktioniert der kleine Subwoofer-Laptoplautsprecher nicht, mit dem er den Ort beschallen will.
Nach zwanzig Minuten fahren wir zum polnischen Institut, wo das Buch dann offiziell vorgestellt wird. Besonders viele Leute sind nicht gekommen. Einige der 16 aus Polen und Deutschland stammenden Autoren und Herausgeber und ihre Freunde.
Vorgabe für die Texte des Buchs war, dass der Name „David Bowie“ nicht auftauchen sollte, „um so den Wörtern ‚Helibo Seyoman‘ eine Bedeutung zuschreiben zu können, die eben nicht nur diese Popgeschichte thematisiert, sondern semifiktive Geschichten über die historische Verbindung beider Städte ermöglichen kann“, so Conrads. In dem Text von Agata Pyzik wurde das Namensverbot so umgangen, dass der berühmte Verstorbene einfach „Newton“ (wie Bowies Charakter in „Der Mann, der vom Himmel fiel“) genannt wurde. taz-Redakteur Ulrich Gutmair trägt eine Textcollage vor, die zu 60 Prozent aus Bowie-Zitaten aus Liedern und Interviews besteht und den Faschismus thematisiert. Sandra Bartoli, Leiterin des Berliner Büros für Konstruktivismus und Mitherausgeberin des Buchs „Tiergarten. Landscape of Transgression“, liest „Taking Islands (in the Tiergarten)“, ein Stück über die Vogelschutzinsel, bei dem der David-Bowie-Bezug nicht ganz klar ist. Hari Kunzrus Text versucht dagegen sich eher so beatnikmäßig an das Thema anzuschmiegen.
Die Fotoarbeiten von Agniezka Brzezanska spiegeln überzeugend das pathetisch melancholische Angebot, dass das Lied macht, gehen aber darüber hinaus, wenn sie mit Bildern von der Love Parade daran erinnern, wie viele junge Polen in den 90ern das Bild von Techno in Berlin mit geprägt hatten. Ariane Spanier bildet aus den Buchstaben von „Helibo Seyoman“ neue Wörter.
Das Buch ist schön geworden. Schade, dass es lediglich in einer Auflage von 300 Exemplaren gedruckt wurde und nicht in den Handel kommt. Da es mithilfe öffentlicher Gelder fertiggestellt wurde, darf es leider nicht verkauft werden.
Detlef Kuhlbrodt
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