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„Reguliertes Leben“

Heimleben EthnologiestudentInnen haben die Lage geflüchteter Frauen in Berlin untersucht. Die Ergebnisse gibt es nun als Buch

Notunterkunft Tempelhof: Frauen mangelt es in den Unterkünften an Privatsphäre Foto: Ann-Christine Jansson

Interview Susanne Memarnia

taz: Herr Dilger, Sie haben mit Studierenden das Leben von Frauen in Flüchtlingsheimen erforscht. Das Ergebnis?

Hansjörg Dilger: Die Studierenden haben die Frauen zu unterschiedlichen Themen befragt: zu Sicherheit, Privatsphäre, Gesundheit, sozialer Unterstützung in den Unterkünften, die rechtlichen-politischen Bedingungen, mit denen sie konfrontiert sind. Die Frauen kommen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea, es gibt viele Sprachen und sehr unterschiedliche Bildungshintergründe und Berufe. Aber alle Befragten teilen die Erfahrung, dass ihr Alltag enorm reguliert ist. Sie haben kaum Autonomie und beklagen den Mangel an Selbstbestimmung in den Unterkünften.

Ist das eine neue Erkenntnis?

Ja, denn die öffentliche Diskussion ist auf Männer fokussiert. Wie Frauen die Bedingungen in den Unterkünften erleben, wird kaum wahrgenommen. Dabei leben in den fünf Unterkünften, in denen unsere Studierenden geforscht haben, 25 bis 40 Prozent Frauen. Aber wir wissen nichts über ihre speziellen Lebensbedingungen.

Macht es für die Frauen einen Unterschied, ob sie in einer Turnhalle oder einem kleinen Heim leben?

Sogar einen erheblichen. Das Wohnen in großen Räumen, in Hallen ohne Privatsphäre und ohne Möglichkeiten, sich zurückzuziehen vor den Blicken der Männer, macht Probleme. Wo zieht man sich um, wo stillt man die Kinder? Auch die Interaktion mit dem Sicherheitspersonal wird als ambivalent empfunden. Einerseits gibt es von ihnen Unterstützung, wie die Frauen sagten, aber sie fühlten sich auch abhängig.

Wie sind Sie auf das Thema aufmerksam geworden?

Die Initiative ging von Studierenden aus und vom International Women Space, einer aktivistischen Gruppe von Frauen mit Flucht- und Migrationshintergründen, die in der ehemals besetzten Hauptmann-Schule für die Schaffung eines Raums für Frauen kämpften. Sie wollten mehr wissen über die Situation der geflüchteten Frauen, um diese zu verbessern. Meine Kollegin Kristina Dohrn und ich haben die Studierenden am Institut unterstützt, den Forschungsprozess mitgestaltet und das Buch herausgegeben.

Foto: privat
Hansjörg Dilger

48 Jahre, lehrt Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität Berlin. Seine Spezialgebiete sind die Medizin- und die Religionsethnologie.

Sie plädieren in Ihrem Buch für eine „engagierte Ethnologie“. Hat die Flüchtlingskrise Sie politisiert?

Die Notwendigkeit für eine „engagierte Ethnologie“ sehen wir darin, dass Flucht unsere Gesellschaft sehr stark herausgefordert und Probleme verstärkt sichtbar gemacht hat, die wir an Orten, wo wir sonst forschen – außerhalb von Europa – auch finden: das Leiden, die strukturelle Gewalt, die schlechten Bedingungen, unter denen Menschen, die migrieren müssen, leben. Damit muss sich unser Fach befassen – und es hat bereits eine lange Tradition, sich zu engagieren.

Welche praktischen Schlüsse ergeben sich aus Ihrer Arbeit?

Für die Frauen, die die Studierenden interviewt haben, ist das Wichtigste, aus diesen Lagern herauszukommen. Es geht um eine selbstbestimmte Wohnsituation, Bildung für ihre Kinder und Arbeit oder Weiterbildung für sich selbst. Es gibt sogar Frauen, die sagen, wenn sich ihre ungewisse Situation nicht klärt, gehen sie lieber zurück, weil sie den Zustand als so schlimm empfinden. Unser Buch gibt zwar auch Erkenntnisse dafür, wie man die Unterkünfte verbessern kann. Aber das Wichtigste wäre, sie zugunsten neuer Perspektiven ganz aufzulösen.

Das Buch „Living in Refugee Camps in Berlin: Women‘s Perspectives and Experiences“ wird am heutigen Freitag vorgestellt (18 Uhr, Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32)

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