piwik no script img

Kameras am Bahnhof wirken

Kommentar

von Richard Rother

Zur Identifizierung des U-Bahn-Treters von Neukölln

Auch wenn es schwerfällt, lange geglaubte Gewissheiten zu hinterfragen – man sollte es hin und wieder tun. Dass die Videoüberwachung von Plätzen und des öffentlichen Nahverkehrs grundsätzlich böse ist, ist so eine linke und liberale Gewissheit. Schließlich muss der Staat nicht von allen wissen, wann sie sich mit wem wohin bewegen. Das ist ja auch eine, zugegebenermaßen, gruselige Vorstellung – auch wenn die Angst davor bislang eher theoretischer Natur ist.

Ganz praktisch hingegen sind die Ermittlungserfolge der Polizei, die (oft nur) mithilfe von Videoüberwachung zustande kamen. Die Identifizierung des brutalen Täters von Neukölln, der eine ahnungslose Frau von hinten eine Treppe heruntergetreten hat, ist nur ein aktueller Fall, der bundesweit viel Aufsehen erregte.

Ein anderer Fall war der eines Lichtenbergers, der im Mai 2015 eine Abiturientin in Kaulsdorf vergewaltigt und umgebracht hat. Nach der Veröffentlichung von Aufnahmen einer Bahnhofskamera konnte er festgenommen und verurteilt werden. Damit ist klar: Solange dieser Mann inhaftiert ist, wird er kein Wiederholungstäter werden. Wäre er nicht gefasst worden, hätte er möglicherweise weitere Taten verübt.

Auch dieser Fall zeigt Nutzen und Grenzen der Videoüberwachung: Ja, konkrete Taten – vor allem solche im Affekt – werden allein durch eine Überwachungskamera nicht verhindert. Aber die Aufnahmen können dazu führen, Täter zu fassen und so Wiederholungstaten zu verhindern. Allein dies rechtfertigt den Einsatz der Kameras dort, wo er sinnvoll ist.

Auch den Opfern und ihren Angehörigen kann es dabei helfen, ihre Ängste zu verarbeiten, wenn den Tätern der Prozess gemacht wird. Dafür muss man sie aber erst einmal kriegen. Wenn die Videoüberwachung dabei helfen kann, sollte man die Kameras nicht in Bausch und Bogen verdammen. Zumal es kaum Fälle gibt, bei denen jemand zu Unrecht in Schwierigkeiten geraten ist, weil er von öffentlichen Kameras gefilmt wurde.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen