OSZE – Schikane: Woche des Wahnsinns

Am Ende hatte man sich beinahe daran gewöhnt: Die Polizei dominierte eine Woche lang das Hamburger Stadtbild und bestimmte, was man durfte und was nicht

Innere Sicherheit: Einsatzkräfte begegnen Anwohnern. Foto: Miguel Ferraz

Die Frau mit dem grünen Rock legt den Kopf in den Nacken und guckt in den Himmel. Langsam verliert sie die Geduld. „Dann sagen Sie mir doch endlich, wo ich mit meiner Tischtennisplatte hingehen kann“, sagt sie zu den Polizisten, die ihr gegenüberstehen. Ein Uniformierter aus Mecklenburg-Vorpommern, der ungefähr zwei Köpfe größer ist als sie, wirkt überfordert. Woher soll er wissen, wo sie hin kann? Seit einer Stunde schon diskutieren verschiedene PolizistInnen aus Schleswig-Holstein und Mecklenburg Vorpommern mit zwei Anwohnerinnen des Karolinenviertels, die am ersten Tag des OSZE-Gipfels direkt vor den Messehallen „einfach nur Tischtennis spielen“ wollen. Erst hatten sie die Platte direkt auf der Straße vor dem Eingang Süd aufgebaut – da wo vor zwei Wochen Barrikaden brannten und der Rußfleck eines brennenden Autoreifens noch die Straße ziert.

Die Polizeieinheit aus Schleswig-Holstein, die den südlichen Eingang bewacht, hat entschieden, dass das nicht geht und die Frauen auf den Bürgersteig am Messevorplatz verwiesen. Die beiden bauen ab und fünf Meter weiter wieder auf, doch für den Messevorplatz ist die Polizei aus Mecklenburg-Vorpommern zuständig, und die will sie da auch nicht haben. Die Frau mit dem grünen Rock sieht das nicht ein, sie quengelt: „Wenn Sie hier alle halbe Stunde Ihre Vorschriften ändern …“ Eine Polizistin mit blonden kurzen Haaren in sichtlich genervt und will die Personalien der Frau aufnehmen. „Aus welchem Grund denn?“, fragt die Frau und schaut sich Hilfe suchend um.

Auf dem Messevorplatz stehen einzelne Grüppchen von PassantInnen, die das Geschehen am Rande der Sicherheitszone kritisch beäugen. Manche gucken belustigt. Aus einer Baustelle ein paar Meter weiter schallt ein Hörspiel über den Messevorplatz: „Die Konferenz der Tiere“ von Erich Kästner. Zwei spanischsprachige TouristInnen eilen über den Platz, eine sagt zu der anderen: „Toda esa gente esta loca“, diese Leute sind alle verrückt.

Die ungeduldige Polizistin droht der Anwohnerin, sie mitzunehmen, wenn sie ihre Personalien nicht sofort rausrückt. „Ich will doch nur spielen und Sport machen, inmitten dieses ganzen Wahnsinns“, ruft die Anwohnerin und beharrt auf einer Erklärung. „Wegen der Maßnahme“, knurrt die Polizistin.

Ein anderer Polizeibeamter wendet sich der Frau zu und erklärt, sie brauche eine Sondergenehmigung, um im öffentlichen Raum Tischtennis zu spielen. „Wo immer Sie heute mit Ihrer Platte hier in der Nähe spielen, werte ich das als Versammlung und muss Ihre Personalien aufnehmen.“

Während die Tischtennisplatte langsam im Hamburger Regenwetter einnieselt, diskutieren die PolizistInnen und die Anwohnerinnen weiter. So viel Aufwand und Nerven dafür, dass die AußenministerInnen derweil entspannt im Ruderclub „Germania“ auf die Alster gucken und Aalrauchmatjes essen können.

Im Vergleich zu den vergangenen Tagen ist es mit Beginn des Gipfels ruhiger geworden in Hamburg. Vielleicht hat man sich auch an die Polizeipräsenz gewöhnt: 13.200 PolizistInnen sind in der Stadt, das sind 264 pro AußenministerIn. Aber jetzt sind sie eben da, und auch die MinsterInnen sind da, und es fährt nicht mehr alle halbe Stunde eine Delegation mit Blaulicht und Sirenengeheul quer durch die Stadt, über alle roten Ampeln, und legt den Verkehr lahm.

Seit spätestens Dienstag sieht man überall Polizei: An jeder Bahnstation, auf jedem Grünstreifen, jedem Parkplatz, jeder Kreuzung, auf jedem freien Platz der Innenstadt und auf dem Weihnachtsmarkt. Wie können die Leute da überhaupt entspannt Glühwein trinken?

Es ist ein bedrückendes Gefühl: Man verlässt morgens das Haus und sieht als erstes Polizei. Man arbeitet und hört Sirenengeheul, macht Mittagspause und läuft an zehn Mannschaftswagen vorbei zum Asia-Restaurant. Man verlässt den Laden, wieder als erstes: Polizeiautos. Vor dem Drogeriemarkt Budnikowsky steht neuerdings ein Sicherheitsdienst. Wegen OSZE? Na, wenn sie meinen. Man versucht, im Fahrradladen irgendein Ersatzteil zu kaufen: „Sorry, haben wir nicht und wird auch diese Woche nicht geliefert, wegen OSZE.“ Sporttrainig? Fällt diese Woche aus, wegen OSZE. Ist denn die ganze Stadt im Ausnahmezustand?

Abends die Nachrichten auf Twitter: totales Verkehrschaos. „Stehe seit ’ner Stunde am Dammtor, geht gar nichts mehr“, schreibt ein Freund. Ein anderer, der im Schanzenviertel arbeitet, wird zwischen Montag und Donnerstag vier Mal kontrolliert und muss seine Personalien vorzeigen. Wieder ein anderer kassiert beim Montagabendspaziergang nahe der Messe einen Platzverweis und eine Drohung: „Ich kenne dich“, sagt ein Polizist im Dunkeln hinter der Messe zu ihm und droht, ihn sofort in Gewahrsam zu nehmen, sollte er ihn während des Gipfels irgendwo antreffen.

In den Tagen vor dem Gipfel wirkt Hamburg wie eine Stadt zwischen kribbelnder Erwartung, nervöser Anspannung und Paranoia. Entspanntes „Tatort“-Gucken ist bereits am Sonntag vor dem Gipfel unmöglich. Seit 14 Uhr belagern PolizistInnen die Hafenstraße auf St. Pauli. Sie schleichen um die Häuser, wobei ein halbes Dutzend dauerhaft vor einem privaten Wohnhaus steht, mit Taschenlampen die Balkons ableuchtet, in die Zimmer späht. Die BewohnerInnen sind genervt. Ist das der normale Ausnahmezustand oder schon OSZE-Training? Gegen 20 Uhr stellen NachbarInnen große Boxen auf den Balkon und beschallen die PolizistInnen mit Rap von Haftbefehl. Fernsehgucken ist jetzt auch akustisch unmöglich.

Am Montag kommt eine Warnung per SMS-Verteiler, aber sie kommt zu spät. „Achtung: Auf dem Fuß- und Radweg vom Fernsehturm zur S-Bahn Sternschanze verstecken sich im Dunkeln zehn Wannen und ein Sondereinsatzkommando. Weiterleiten!“ Linke AktivistInnen wollen sich vor unangenehmen Zusammenstößen mit der Polizei warnen. Aber die Stadt ist längst belagert. Mit dabei: Sondereinheiten wie das Unterstützungskommando (USK) aus Bayern, schwer bewaffnet und bekannt für gewaltsames Vorgehen bei Demonstrationen.

Auch Einheiten aus Thüringen und Sachsen sind dabei. Etwa aus Heidenau, Bautzen, Tröglitz, Clausnitz, Freital? So genau weiß man das nicht, aber sicher ist, dass man einigen von ihnen nicht auf einer Demo gegenüberstehen möchte. Hamburgs SPD-Innensenator Andy Grote hat den berüchtigten Hardliner Hartmut Dudde zum Polizei-Einsatzleiter während des OSZE-Gipfels gemacht. Dudde steht selbst laut konservativen Medienberichten für Polizeitaktiken, die auf Eskalation setzen, Gerichte erklärten mehrere seiner Einsätze im Nachhinein für rechtswidrig. Wie man dieses Signal deuten solle, fragt der Journalist Benjamin Laufer den Innensenator auf Twitter. „Als Signal der Wertschätzung und des Interesses an wichtiger Kommunikationsarbeit“, antwortete Grote.

Überhaupt: Twitter. Die Polizei hat Ende November eine Social-Media-Offensive gestartet. Unter dem Hashtag #OSZEHAM16 twittern verschiedene Polizeiteams Nachrichten rund um ihren Einsatz beim Gipfel. Das reicht von Fotos freundlich guckender PolizistInnen vor Infoständen über Bilder vom Toilettenwagen, Freunden und Helfern in Warnwesten bis zu ernst dreinblickenden Beamten zusammen mit dem Innensenator. Ein User schlägt vor, das Hashtag zu unterwandern und stößt auf Begeisterung. Alle möglichen Leute verschlagworten jeden belanglosen Tweet mit dem Hastag #OSZEHAM16. „Ich war gerade auf dem Klo #OSZEHAM16“ „Ich werde jetzt kochen und dazu ein Glas Wein trinken #OSZEHAM16“. Dazu kommen Links zu Artikeln über Polizeigewalt, Polizeiskandale und Videos von Angriffen auf Polizeieinheiten. Aber auch: „Könnt ihr mal eure scheiß Hubschrauber runterholen, ich weiß ihr habt nichts zu tun, aber es gibt Leute, die schlafen wollen #OSZEHAM16“. Für die Polizei ist das Hashtag unbrauchbar. Jemand twittert einen Funfact: „Die ganzen zugereisten Polizeikräfte und ihr Gefolge finden sich nun auf Tinder & Co. #OSZEHAM16“.

Das virtuelle Geschehen kann man live auf einer Twitter-Wall verfolgen, die im linken Kulturzentrum Centro Sociale an die Wand projiziert wird. Das selbstverwaltete Centro hat seine Türen als „Café am Rande der Sicherheitszone“ von Mittwoch bis Freitag geöffnet. Durchgefrorene DemonstrantInnen erholen sich bei Eintopf, Kaffee und Kuchen, informieren sich, tauschen sich aus. Und? „Alles ruhig“, da sind sich die meisten einig.

Im Centro Sociale liegen Flyer aus, die erklären, woran man welche Polizeieinheit erkennt. Man muss schließlich wissen, mit wem man zu tun hat. Im Sommer ist in Hamburg G20-Gipfel, da sieht man sich vielleicht wieder.

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