piwik no script img

Von Fröschen und anderen Prinzen

Happy End Ein Dornröschen wachküssen – geht das wirklich? Ein Besuch bei einer Märchenerzählerin, die das kann

von Marieke Saad und Vedad Lubenovic

Vom Frosch zum Prinzen, vom Dornröschen zur Königin – mit diesem zauberhaften Versprechen lockt Danka Rubarth ihre Kunden. Auf ihrer Homepage verspricht sie: „Wir wissen, wo die Einhörner grasen.“ Einhörner mitten in Berlin? What the fuck? Wir wollen unbedingt wissen, wo wir die Einhörner finden und kontaktieren Rubarth.

Rubarth ist professionelle Märchenerzählerin. Ihre Kunden sind hauptsächlich Erwachsene. Erwachsene mit Problemen. Mithilfe der Märchen will sie diesen Menschen helfen.

Am Telefon meldet sich Rubarth mit einer freundlichen, wachen und munteren Stimme. Wie eine gute Fee klingt sie aber nicht, als wir nach einem Beratungstermin fragen. „Die Presse bei einer Märchenstunde? Das geht nicht. Es ist wichtig, sich vollkommen auf die Erzählungen und das Gespräch einzulassen“, sagt sie nach einem kurzen Zögern. Schade. Was nun? Plan B: Einen Termin im Hexenseminar vereinbaren?

Irgendwie aber wollen wir die Idee, die Märchenerzählerin zu treffen, nicht aufgeben. Wir rufen nochmals an. Statt der Beratung fragen wir dieses Mal nach einem Interview. Rubarth hört zu, überlegt. Ein Gespräch über ihre Arbeitsweise? „Ja, na gut, warum nicht!“ Yes! Wir machen uns auf den Weg. Ziel: S-Bahn-Station Bellevue. Die Märchenerzählerin lebt nicht unweit vom berühmtesten Schloss der Bundeshauptstadt. Von dort laufen wir zum Treffpunkt, einer Musikschule in Moabit, die Rubarth für ihre Veranstaltungen anmietet. Als wir dort ankommen, streckt die Märchenerzählerin ihren Kopf aus einem Seiteneingang. Ihr leuchtend roter Bob steht im Kontrast zum Grau-in-Grau der Häuser und Straßen und des bedeckten Himmels. Wir folgen ihr ins Innere. Vor dem großen, mit Teppich ausgelegten Raum liegen Pantoffeln. Wir ziehen unsere Straßenschuhe aus.

An einer Wand des Zimmers stehen Kinderbücher in einem Regal, Spielzeug und eine Tasse mit Xylophon-Holzschlägeln. Eigene Räumlichkeiten hat Rubarth noch nicht. Wenn die Märchen-Beratung gut ankommt, denkt sie aber auch an einen Umzug. Langsam verstehen wir, warum Rubarth auf ihrer Homepage empfiehlt, warme Socken mitzubringen. In dem Raum ist es doch schon ziemlich kalt.

In der Mitte des Raums stehen nur drei Stühle. Wir setzen uns. Die Aufnahmegeräte legen wir einfach zwischen uns auf den Boden.

Normalerweise sitzt Rubarth dort mit ihren Klienten. „Das sind Menschen, die eigentlich ganz proper dastehen im Leben, aber ein Problem haben“, erklärt sie. Manche kommen wegen familiärer Konflikte, manche auf der Suche nach eigenen Talenten oder dem Sinn im Leben.

Dafür erzählt sie den Menschen Volksmärchen. „Warum ausgerechnet Märchen?“, fragen wir. „Weil sie von allen Menschen auf der Welt verstanden werden“, antwortet Rubarth. Für jedes Problem und jeden Wunsch gäbe es einen individuellen Ansatzpunkt: Es gibt immer einen Helden und ein Happy End. Wie das Happy End aussieht, ob der Frosch zum Prinzen oder Dornröschen zur Königin geworden ist, das beurteilt nicht die Märchenerzählerin. Das entscheidet der Klient selbst.

Vor lauter Aufregung vergessen wir zu fragen, wo die Einhörner in Berlin grasen. Stattdessen erzählt sie uns, wie man mit der Seele eines Hundes oder einer Krähe Kontakt aufnimmt. Sie stellt sich dabei zum Beispiel einen vollen Fressnapf vor und sendet den Gedanken an den Hund. Manchmal sende der Hund dann sogar einen Gedanken zurück: „Ich habe keine Lust auf das Futter. Ich will ’n anderes.“

Danka Rubarth und ihre Familie begleiteten Märchen ihr gesamtes Leben lang. Schon ihr Großvater, ein studierter Philosoph, gab sie an seine sechs Kinder weiter. Die Erinnerung an die Geschichten seiner Privatbibliothek, das einzige Relikt der geglückten Flucht der Familie aus Ostpreußen, war für Rubarth schon immer etwas Besonderes: „Bei uns wurden Märchen sehr oft erzählt. Das fand ich total spannend. Und ich habe dabei immer eine innere Wärme gespürt.“

Diesem Gefühl folgte sie intuitiv, bis sie eines Tages eine Anzeige zur Märchenerzählerausbildung in der Zeitung entdeckte. Schon zuvor hatte sie ihren Beruf der Krankenschwester aufgegeben. Zum ersten Mal während des Gesprächs stockt die Märchenerzählerin ein wenig. Sie holt tief Luft, bevor sie weiterredet. Es scheint fast, als ob dies der Umbruchmoment in ihrem Leben war. Tief im Inneren spürte sie: Etwas anderes kommt nicht in Frage.

Ihr persönliches Happy End ist Rubarth mit der Verwandlung vom Dornröschen zur Königin geglückt. „Ein Treffen allein reicht aber nicht aus, um Verwandlungen zu bewirken“, erzählt sie uns mit einem Lächeln im Gesicht. Ernüchterung macht sich breit. All die Mühe umsonst? Nein. „In jedem und jeder von uns steckt eine Königin oder ein Märchenprinz.“ Es gilt nur, diesen verborgenen Teil nach und nach aufzudecken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen