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Die Opposition muss draußen bleiben

WESTJORDANLAND Die Palästinenserorganisation Fatah steht möglicherweise vor der Spaltung. Der Konflikt zwischen Parteichef Abbas und seinem Rivalen Dahlan dominiert den Parteitag. Jüngere fordern Demokratie

Aus Ramallah Susanne Knaul

Im Büro von Haitham Chalabi riecht es nach kaltem Zigarettenrauch, auf dem Tisch zwischen Sofa und Lehnstühlen stehen halbleere Kaffeetassen. Chalabi ist Mitglied im Revolutionsrat der Fatah. Zum fünftägigen Parteitag, der am Samstagabend in Ramallah mit der Wahl eines neuen Revolutionsrates und des Zentralkomitees zu Ende ging, war er nicht eingeladen. Chalabi gehört zu den Nachwuchspolitikern der Partei und zum Kreis um Mohammad Dahlan, den ärgsten Rivalen von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

Schon am ersten Tag des Parteikongresses ließ sich der 81-jährige Abbas ohne Gegenkandidaten als Vorsitzender der Fatah bestätigen. Chalabi spricht von der „großen Show des Mahmud Abbas“. Mit Demokratie habe das wenig zu tun. Sobald die Stimmen für die höchsten Parteigremien ausgezählt sind, wird Chalabi seine Mitgliedschaft im Revolutionsrat verlieren.

Dennoch zeigt er sich zuversichtlich: „Ich werde politisch eher mächtiger sein“, sagt er. „Wir müssen an den Wurzeln arbeiten und uns von diesen Strukturen befreien.“ Es könne nicht sein, „dass nur ein Mann entscheidet“.

Seit acht Jahren amtiert Abbas ohne demokratisches Mandat als Präsident. 2007 zerbrachen das Parlament und die Regierung, damals unter Führung der islamistischen Hamas, die die Parlamentswahlen ein Jahr zuvor gewonnen hatte. Abbas ist gleichzeitig Palästinenserpräsident, PLO- und Fatah-Chef. Er regiert per Dekret, entlässt und ernennt willkürlich Minister. Vor drei Jahren schasste er den international anerkannten Regierungschef Salam Fayyad.

Mohammad Dahlan, sein schärfster Kritiker, war auf Weisung von Abbas schon 2011 aus der Partei ausgeschlossen worden und musste kurz darauf das Westjordanland verlassen. Abbas machte ihn für den angeblichen Mord an dem legendären PLO-Chef Jassir Arafat mitverantwortlich.

Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien drängen Abbas zur Versöhnung mit Dahlan. Trotzdem entschied der Fatah-Chef, seinen Rivalen und dessen Verbündete vom Parteitag fernzuhalten. Dutzende Delegationen aus dem Ausland waren nach Ramallah gekommen. Doch das täuschte kaum darüber hinweg, dass die internationale Rückendeckung für den Palästinenserpräsidenten schwindet.

Die arabischen Nachbarn zürnen Abbas, weil er sich ihren Vermittlungsanstrengungen und auch ihrem Einsatz für Verhandlungen mit der Hamas verweigert. Aus den USA, wo in Kürze der Republikaner Donald Trump ins Weiße Haus einzieht, erwarten die Palästinenser ohnehin nichts Gutes.

Gleichzeitig macht die innerpalästinensische Opposition gegen den Chef mobil. Politisch verfolgt das Dahlan-Lager den selben Weg. Bei dem parteiinternen Zwist geht es nicht um Strategien, sondern um Macht und echte demokratische Prozesse, bei denen die Basis mitredet.

Seit der Rückkehr der Führung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die Mitte der neunziger Jahre aus dem Exil kam, kämpft die junge Generation der Fatah gegen die alte Garde. Aus Zorn über seine Widersacher ließ Abbas laut der liberalen israelischen Tageszeitung Ha’aretz jüngst „Hunderte Gehälter von Angestellten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) im Gazastreifen“ einfrieren.

„Es geht nicht um Hunderte, sondern nur um 13 Leute, die offen gegen Abbas sprechen“, kontert Dr. Jamal Nazzal, Sprecher der Fatah in Europa. „Diese Leute arbeiten gegen die legitime Führung des Landes, deshalb sind sie gekündigt worden.“ Nazzal, der eigens zum Parteitag nach Ramallah reiste, hält die Kritik an den Organisatoren des Parteitags für übertrieben. „Wir haben keine Befragung unter den Delegierten vorgenommen, bevor sie eingeladen wurden.“ Die Kongressteilnehmer repräsentierten die Basis der Partei, beharrt er, ohne zu erklären, warum mehrere Dutzend Mitglieder des Revolutionsrats und des Zentralkomitees vom Parteitag ausgeschlossen waren. „Es gibt Nachholbedarf“, räumt der Fatah-Sprecher aber ein. Die Partei müsse verjüngt werden, außerdem müssten „mehr Frauen“ in die Führungsgremien gewählt werden.

Die innerpalästi­nensische Opposition macht gegen Abbas mobilVor gut einer Woche wäre es fast zueinem Schusswechsel gekommen

„Keine weise Entscheidung“ nennt der politische Analyst Dschihad Harb aus dem Flüchtlingslager Balata die Zusammenstellung der Delegiertenliste für den Fatah-Kongress. Für Dahlan und seine Anhänger sieht Harb zwei Möglichkeiten: „Entweder sie halten einen alternativen Parteitag möglicherweise in Kairo ab, oder sie spalten die Fatah.“

Dahlan gewinne an Popularität vor allem im Gazastreifen. „Er ist ein Freund des (ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah) al-Sisi“, bei dem er durchgesetzt habe, den Grenzübergang für zwei Wochen zu öffnen. Er gilt zudem als erfolgreicher Geschäftsmann, der über so viel Geld verfüge, dass er den nun brotlos gewordenen Gegnern von Abbas unter die Arme greifen kann. Der Analyst fürchtet eine Zuspitzung des Konflikts. „Viele Fatah-Führer bewaffnen ihre Verbündeten.“

Schon vor gut einer Woche sei es beinahe zu einem Schusswechsel gekommen, als palästinensische Polizisten im Flüchtlingslager al-Amari, das in der Nähe von Ramallah liegt, eine Versammlung von Abbas-Gegnern auflösten. „Ich bekommen täglich Textbotschaften mit Drohungen“, berichtet Dimitri Diliani, der mit 43 Jahren „das jüngste Revolutionsratsmitglied“ gewesen sein will – bis zu den Wahlen am Wochenende.

Diliani ist in das Büro von Haitham Chalabi gekommen, um mit anderen Abbas-Oppositionellen über ihre weiteren Schritte zu beraten. Die Stimmung ist aufgeladen. „Abbas hat eine Autokratie aufgebaut, die im palästinensischen politischen System ohne Beispiel ist,“ sagt Diliani. Noch vor dem Parteitag hätte der Revolutionsrat in einer Sondersitzung die Teilnehmerliste absegnen müssen, was aber nicht passiert sei. „Es gab Leute, die haben Arafat einen Diktator geschimpft“, sagt Diliani. „Im Vergleich zu Abbas war Arafat ein Weltmeister der Demokratie.“

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