piwik no script img

Dank großer Nachfrage erfolgreich

Künstlerinnen Die Ausstellung „Fortsetzung folgt. 150 Jahre Verein der Berliner Künstlerinnen“ ist in der Camaro Stiftung in Räumen zu Gast, in denen einst der Erfolg des Künstlerinnenvereins begann

von Katrin Bettina Müller

Erst mal sehnt man das Meer herbei. Den Wind, der das Dünengras zaust und die Kiefern biegt. Das Licht, das den Sand der Dünen rosig färbt. Das helle Blau des Wassers, das durch die Bäume schimmert. Sie schmecken nach Seeluft, nach Sommer und Stille, nach Aufbruch und Weite, die norddeutschen Küstenlandschaften, die Molly Cramer, Ilse Jonas, Anna von Damnitz und Eva Stort gemalt haben.

Staunen über Unbekannte

Noch nie gehört von diesen Malerinnen? Das wird den meisten Besuchern der Ausstellung „Fortsetzung folgt. 150 Jahre Verein der Berliner Künstlerinnen“ so gehen. Und so ist das Erste, was man mitnehmen kann, die Erkenntnis: Im Unbekannten kann viel Schönheit stecken. Nicht nur berühmt gewordene Künstler waren gut. Die Landschaftsbilder, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden und jetzt in der Camaro Stiftung einen großen Raum einnehmen, sind für den Verein der Berliner Künstlerinnen (VdBK) denn auch wichtig als Beleg für die Qualität ihrer Mitglieder und ihrer Mal- und Zeichenschule.

Sie zeigen die Nähe zum französischen Impressionismus und der Pleinair-Malerei. Und in den teils ungewöhnlichen Perspektiven, wenn etwa Molly Cramer von einem tiefen Punkt aus die Dünen hochblickt und Ungeduld in jedem Pinselstrich vibriert, kündigt sich auch eine nervöse, expressive Energie an.

In ebendiesen Räumen, in denen jetzt die Camaro Stiftung den Verein der Berliner Künstlerinnen zu Gast hat, unterhielt dieser in seinen besten Jahren eine Mal- und Zeichenschule (1893–1911). Das Haus im Hinterhof der Potsdamer Straße 98A hatte der 1867 gegründete Verein schon Anfang der 1890er Jahre erbauen lassen, um dort Frauen, die noch bis 1919 nicht an Kunstakademien zugelassen waren, im Zeichnen und Malen zu unterrichten. In zwei Etagen lehrte das „Victoria-Lyceum für die akademische Weiterbildung der Frau“, aus dessen Umfeld viele der Kunstfreundinnen kamen, die den VdBK durch Kunstkäufe und Aufträge unterstützen. Sechs Ateliersäle, je 90 Quadratmeter groß, 5,5 Meter hoch, hatte dieser in den oberen Etagen für den Unterricht zur Verfügung. Und die Direktorin wohnte dort.

Die große Nachfrage an einem guten Unterricht für Frauen belegen einige Zahlen: Zur Eröffnung der Schule gab es 400 Anmeldungen, die Lehrenden waren teils aus der Novembergruppe und der Secession als progressive Künstler bekannt. Als der Verein 1911 ein größeres Haus suchte und am Schöneberger Ufer fand, waren unter seinen 290 Schülerinnen 49 angehende Zeichenlehrerinnen.

Heute erstaunt vor allem, wie gut der Verein wirtschaftlich aufgestellt war

Heute erstaunt vor allem, dass es dem Verein in kurzer Zeit gelungen war, sich wirtschaftlich so gut aufzustellen. Hier setzte sich ein gut etabliertes Bürgertum für die Förderung der Künstlerinnen ein, Werner von Siemens gehörte dazu. Auch Kaiser Wilhelm kaufte Bilder dort. Dass auch das repräsentative Porträt, die Salonkultur und die Historienmalerei von einigen Gründungsmitgliedern gepflegt wurden, hat sicher die Anerkennung erleichtert.

Zudem mag die politische Unterstützung des VdBK auch dazu gedient haben, die Forderung der Zulassung zur Akademie aufzuschieben. Mit Jahresausstellungen, aus denen verkauft wurde, und mit Kostümbällen, zu denen nur Frauen kommen durften, machte der Verein einen Teil seiner Einnahmen. Im großen Rechercheband „Profession ohne Tradition“, der zum 125. Jubiläum des Vereins erschienen ist, sah man Frauen als einen „Bund Spargel“ kostümiert oder als Personal des Struwwelpeters.

Zu den bekannten Künstlerinnen des Vereins, die im Rückblick meist zuerst genannt werden, gehören Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker. Für Paula Modersohn-Becker, die als Malerin das Empfinden des Körpers visuell so stark zum Sprechen bringen konnte, war der Unterricht im Aktzeichnen enorm wichtig. Ausgestellt ist die Studie eines Aktmodells (von 1897/98), ein Porträt eigentlich, das mit Schulter, Nacken und dem leicht gewendeten Hinterkopf sehr viel erzählt über Nacktheit und Posieren, Entspannung und Zu-sich-Finden. Es geht um Anatomie und genaues Sehen und zugleich um die Überwindung dieser Übung, die Rekonstruktion von etwas von zugleich großer Intimität und Sachlichkeit.

Eine Schülerin und spätere Freundin von Käthe Kollwitz war Sella Hasse, deren Linolschnitt-Serie „Rhythmus der Arbeit“ von der körperlichen Schwerarbeit erzählt, mit großer Wucht und großem Schwung. In einer Vitrine liegt der Nachruf, den sie auf Käthe Kollwitz schrieb, und weitere Dokumente der Freundschaft. Dort kann man auch Biografien der Kunstfreundinnen lesen, deren gesellschaftliche Netzwerke und Kaufkraft wichtig für den Verein waren.

Aufwendige Rekonstruktion der Geschichte

Das setzt punktuelle Lichter auf eine Geschichte, deren Rekonstruktion vor mehr als 25 Jahren begann. Angestoßen hatte die Arbeit Caroline Müller, Galeristin und Vorstandsvorsitzende von 1990 bis 2010. Damals recherchierte die Kunsthistorikerin Carola Muysers zusammen mit anderen erstmals systematisch die Vereinsgeschichte, unterstützt von der Kultursenatorin Anke Martini, in Vorbereitung einer großen Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Carola Muysers ist auch jetzt wieder Kuratorin, zusammen mit Birgit Möckel. Der Rückblick endet 1945, in der Anpassung an die nationalsozialistische Kulturpolitik verlor der Verein an Bedeutung. 2017 werden drei Ausstellungen folgen, die Künstlerinnen aus der Gegenwart des VdBK vorstellen.

Zunächst aber kann man noch viel Vergessenes entdecken. Wie zum Beispiel die Tuschzeichnungen von Clara Siewert, darunter die Blätter „Modegöttin“ und „Flucht“ von 1910. Die Figuren vergehen in einem Wirbel von Strichen, Kratzern, Punkten, Flecken, ein mystisch flackerndes Dunkel entsteht aus dünnen Linien.

Zwei kleine Skulpturen in der Ausstellung, von Sophie Wolff, sind tatsächlich erst vor Kurzem aufgetaucht, entdeckt im Privatbesitz in Kolberg, in einer Kommode im Keller. Der Finder nahm Kontakt zu Carola Muysers auf, weil er hoffte, von ihr mehr über die Künstlerin zu erfahren. Jetzt hat er das Skulpturenpaar, das eine kecke Sängerin und ihren breit zurückgelehnten Verehrer zeigt, dem Verein für seine Ausstellung geliehen. Die Bildhauerin hatte zusammen mit Käthe Kollwitz bei Auguste Rodin in Paris studiert, und etwas von einer proletarischen Boheme haftet ihrem Skulpturenpärchen an.

Arbeiten von 50 Künstlerinnen sind ausgestellt, von vielen würde man gern auch mehr sehen. Dass man von einigen Künstlerinnen und dem Verbleib ihrer Werke noch immer wenig weiß, wird der im Januar erscheinende Katalog erzählen, unter anderem.

„Fortsetzung folgt!“ in der Camaro Stiftung, Potsdamer Straße 98A, Di.– Sa. 13–17 Uhr, Mi. 13–20 Uhr, bis 24. März 2017. Katalog im Januar 2017

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen