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Die volle Härte des Gesetzes

Razziastreit Die Kritik an der SPD-Politikerin Aydan Özoğuz ist nicht nur überzogen –sie nützt denen, die Muslime in die Opferrolle drängen wollen: den Salafisten

von Ralf Pauli

Zugegeben, das Timing ist nicht ganz glücklich. Kaum hatten die Sicherheitsbehörden eine Großrazzia gegen den demokratiefeindlichen Verein „Die Wahre Religion“ durchgeführt und relevantes Beweismaterial sichergestellt, da mahnte die SPD-Politikerin Aydan Özoğuz einen reflektierten Umgang mit Salafisten an.

Ob Razzien ein richtiger Weg seien, das müssten die Sicherheitsbehörden wissen, sagte Özoğuz am Dienstag im Fernsehen. Wenn nichts herauskomme, hinterlasse das Spuren. Razzien in Moscheen könnten als willkürlich aufgefasst werden, wenn man nicht mit sehr großem Augenmaß vorgehe.

Die Reaktionen aus dem konservativen Lager folgten stante pede. Özoğuz schüre das Misstrauen in die Sicherheitsorgane, wetterte Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann. Parteikollegin Gerda Hasselfeldt warf ihr „falsch verstandene Toleranz“ vor. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach bezeichnete es als „absolut unverantwortlich“, wie Özoğuz den Sicherheitsbehörden in den Rücken gefallen sei. Und CDU-Generalsekretär Peter Tauber schimpfte in der Bild: „Anstatt unseren Sicherheitsbehörden für ihre hervorragende Arbeit zu danken, tritt ihnen Frau Özoğuz vors Schienbein.“ Gegen Islamisten sei kein Augenmaß, sondern die volle Härte des Gesetzes gefragt.

So unklug Özoğuz’ Einwände auch getimet gewesen sein mögen, so berechtigt sind sie. Ein paar Beispiele? Als sich der Zentralrat der Muslime kurz nach 9/11 bei der damaligen „Ausländerbeauftragten“ Marieluise Beck (Grüne) über die weiträumige Polizeischikane gegen muslimische Mitbürger beschwerte, antwortete Beck lapidar: Die Merkmale „islamisch“, „Araber“, „unauffällig“, die die Polizei bei der Terroristensuche verwendet, träfen nun mal auf eine sehr große Gruppe zu. Happy Rasterfahndung!

Als die Bundesregierung ein paar Jahre später deutsche Migrantenverbände zum ersten Integrationsgipfel ins Kanzleramt einlud, wurden – auf Wunsch der Union – auch Sanktionen gegen Integrationsverweigerer diskutiert. Das ewige Bild des defizitären Migranten.

Und als Innenminister Thomas de Maizière diesen Sommer – sehr, sehr, sehr spät – ankündigte, endlich antiislamische Straftaten gesondert zu erfassen (wie es bei antisemitischen Delikten längst der Fall ist), verband er das mit der gleichzeitigen Notwendigkeit, dass sich muslimische Verbände vom Terror distanzieren.

Kein Wunder, dass sich Muslime in Deutschland bisweilen unter Generalverdacht deutscher Behörden wähnen

Kein Wunder, dass sich Muslime in Deutschland bisweilen unter Generalverdacht deutscher Behörden wähnen. Und wer könnte diese Befindlichkeiten qualifizierter zum Ausdruck bringen als die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, die selbst türkische Wurzeln hat? Das schwerer wiegende Problem an dem Özoğuz-Bashing aus der Union ist aber: Es nützt denen, die Muslime in die Opferrolle drängen wollen. Zum Beispiel Salafisten wie den Kölner Straßenpredigern vom nun verbotenen Verein „Die Wahre Religion“. Sie präsentieren den Gotteskrieg als einzigen Ausweg einer mutmaßlichen Unterdrückung der Muslime in westlichen Gesellschaften. Wer nun wie Peter Tauber fordert, gegen Islamisten auf jedes Augenmaß zu verzichten, spricht verdächtigten Bürgern verfassungsrechtlich verbriefte Standards ab. Es wäre wenig verwunderlich, wenn Taubers Äußerung bei Muslimen das Gefühl der Ausgrenzung oder Verfolgung durch den Staat verstärkt. Es entsteht ein Teufelskreis.

Es dürfte auch kaum verwundern, wenn radikale Gläubige, die sich als ausgegrenzte Minderheit begreifen, dies für ihre Botschaften nützen. Seht her, in Deutschland werden Muslime an der Ausübung ihrer Religion gehindert. Sie werden von den Ungläubigen unterdrückt. Wer hier bleibt, wird immer ausgegrenzt bleiben. Geht stattdessen nach Syrien und Irak. 140 Personen sollen dieser Rhetorik schon auf dem Leim gegangen und nach Syrien oder Irak in den Dschihad gezogen sein.

Mit ihrem Shitstorm gegen Aydan Özoğuz hat die Union den Sicherheitsbehörden keinen Gefallen getan. Dass Tauber & Co vom Gegenteil überzeugt sind, ist der eigentliche Skandal im Razziastreit.

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