: „Ich habe Schuld auf mich geladen“
Zugunglück In Traunstein beginnt der Prozess gegen den für die Kollision von Bad Aibling verantwortlichen Fahrdienstleiter
aus Traunstein Margarete Moulin
Blitzlichtgewitter empfängt am Donnerstag den 40-jährigen Fahrdienstleiter aus Eggstätt als dieser den voll besetzten Schwurgerichtssaal im Landgericht Traunstein betritt und auf der Anklagebank Platz nimmt. Blass, die Arme vor der Brust gekreuzt, stellt er sich den mehr als 50 Journalisten und Kameraleuten. Unter seinen langen Jackenärmeln blitzen die Handschellen hervor, die ihm im Laufe der Verhandlung abgenommen werden.
Gekommen sind auch acht Nebenklagevertreter und 13 Angehörige von Getöteten und Verletzten, darunter die Eltern von Yannik Elfers. „Wir sind für unseren Sohn hier, ihm selbst geht es zu schlecht“, so der Vater. Der damals 17-Jährige war in einem der beiden Triebwägen gesessen. Drei Stunden lag er eingeklemmt in den Trümmern mit schweren Beinverletzungen. „Bei vollem Bewusstsein“, sagt seine Mutter. „Er war der Einzige, der in diesem Wagen den Unfall überlebt hat.“
„Die Beschäftigung mit dem Smartphone lenkte den Angeschuldigten von der Regelung des Zugverkehrs ab, sie war kausal für die unfallursächlichen Fehlleistungen“, so Staatsanwalt Jürgen Branz bei der Verlesung der Anklage. 12 Menschen starben bei dem Unfall, 89 Menschen wurden verletzt, zum Teil schwer.
Nach Verlesung der Anklage erhebt sich Michael P., dreht sich zu den Angehörigen. Kurz scheint ihm die Stimme zu versagen. Dann sagt er stockend, dass er „große Schuld auf sich geladen habe“ und wisse, dass die Opfer und Angehörigen „großes Leid“ erlebten. „Nichts mehr würde ich mir wünschen, als das wieder rückgängig machen zu können.“
Als Zeuge geladen ist unter anderem der Polizeibeamte Steffen Fortner von der Kripo Rosenheim. Er hatte in den vergangenen Monaten die Ermittlungen geleitet und versucht herauszufinden, was sich in den Minuten vor der Kollision um 6.47 Uhr zugetragen hatte. Vor der Zweiten Strafkammer erklärt der Kriminalbeamte, wie Michael P. an dem Faschingsdienstag die Fehlerkette um 6.38 Uhr in Gang setzte.
Demnach gab er, durch ein Spiel auf seinem Smartphone abgelenkt, in dieser Minute dem Meridian 79506 aus Rosenheim das Signal für freie Einfahrt in den Bahnhof Kolbermoor und gleichzeitig freie Ausfahrt in Richtung Bad Aibling. Weil er sich aber im Kreuzungsplan verschaut hatte, ließ er damit zwei Züge auf einem eingleisigen Streckenabschnitt aufeinander zufahren. Die technischen Warnsignale, die das eigentlich verhindern, setzte Michael P. durch ein Sondersignal zweimal hintereinander außer Kraft. Als er den Irrtum bemerkte, beging er den letzten, schließlich todbringenden Fehler: Um die Lokführer noch zu warnen, schickte er im Abstand von einer Minute zwei Kollisionswarnungen hinaus, erwischte aber den falschen Knopf.
Steffen Fortner, Kripo
„Der Alarm kam nicht bei den Triebwagenführern an, sondern nur beim Streckenpersonal.“ Hätte der erste der Notrufe die Züge erreicht, so hätte laut Experten der Unfall verhindert werden können“, sagt Ermittler Furtner.
Daten aus den Zügen hätten gezeigt, dass keine technischen Fehler vorlagen. „Am Tag vor dem Unfalltag hatte noch eine betriebliche Inspektion des Stellwerks Bad Aibling stattgefunden.“ Hingegen sei bald das Smartphone des Angeklagten in den Fokus geraten. „Wir konnten für die Zeit vor dem Unfall einen erhöhten Akkuverbrauch feststellen.“ Ein deutlicher Hinweis für intensives Datenverbindungen. Schon zuvor habe der Fahrdienstleiter „an nahezu allen Tagen“ während des Dienstes „Dungeon Hunter“ gespielt.
Für den Prozess sind insgesamt sieben Prozesstage angesetzt. Anfang Dezember soll das Urteil gefällt werden. Den Unfall werden sie nie verwinden, sagen Yannik Elfers Eltern. „Aber wir hoffen, dass mit dem Prozess eine Verarbeitung beginnt“, sagt die Mutter. Der 18-Jährige wurde vor Kurzem zum sechsten Mal operiert.
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