: Politik auf dünnem Eis
Eishockey Die linke Ultragruppierung Black Corner positioniert sich bei den Eisbären mit einer Choreografie gegen Homophobie. Sie löst eine Diskussion über Politik in der Halle aus – und überfordert viele Fans damit
von Alina Schwermer
Hinterher fanden sie, die Aktion habe die Leute ein bisschen vor den Kopf gestoßen. Aber eigentlich sei das ganz gut gewesen, dieses Vor-den-Kopf-Stoßen: um zu sehen, wo die Kurve steht. Wo der Platznachbar steht. Welches Feedback es gibt.
Am 9. Oktober, beim Spiel der Eisbären zu Hause gegen Krefeld, hatte die linke Ultragruppierung Black Corner eine Regenbogen-Choreografie in der Eisbären-Fankurve organisiert. Sie sollte ergänzen, was auf dem Eis passierte: Die Eisbären liefen als erster deutscher Proficlub mit dem Logo des Bündnisses gegen Homophobie auf ihren Aufwärm-Jerseys auf, außerdem mit einem Regenbogen-Sticker am Helm.
„BC against Homophobia“ hieß es in der Choreo – das BC steht für Black Corner – und darunter: „Love is Love.“ Am selben Tag begannen die Diskussionen.
Auf Fanseiten und auf Facebook lässt sich das nachverfolgen. Es gab viel Lob, aber auch viel Kritik. Keine homophoben Kommentare, sondern vor allem eine Frage, die im Kontext von Fan-Engagement oft auftaucht, die manchmal billige Ausrede ist, aber durchaus legitim: Wie viel Politik gehört in die Sporthalle?
Unmittelbar nach dem Spiel distanzierten sich die Gruppen Fanatics Ost 2002, Young F(o)uture, Sport Frei Team Berlin 2011 und die Inaktive Fanszene in einer Stellungnahme von der Choreografie. „Teile unserer Fangemeinschaft instrumentalisieren die Fankurve mehr und mehr als Projektionsfläche ihrer eigenen Interessen“, so ihr Vorwurf. Man sei auch gegen Homophobie, aber: „Wir sind davon überzeugt, dass solche Aktionen nicht in die Halle gehören.“
Es ist eine Debatte, die es in dieser oder ähnlicher Form seit Jahren gibt, vor allem im Fußball. Dass sie im Eishockey so spät beginnt, hat vor allem mit der Bedeutung der Sportart zu tun: Weil Eishockey eine Randsportart ist, differenzierte sich die Fanszene langsamer aus. Die Kommerzialisierung des Sports, die die Kurven im Fußball stark politisiert hat, ist hier kein großes Reizthema.
Viele Zuschauer sind eher froh, wenn ihr Sport überhaupt mal Fernsehzeiten bekommt. Und lustvoll verfeindete rechte und linke Ultras sind – zum Glück – undenkbar. „Fankultur im Eishockey ist weniger politisch als im Fußball“, sagt eine Anhängerin, die sich bei Black Corner engagiert und anonym bleiben will. „Bei uns kann man die Ultragruppierungen an einer Hand abzählen.“ Black Corner, gegründet 2007, etwa 25 Mitglieder, ist die einzige offen linke Gruppierung in der Eisbären-Fanszene; nach eigener Aussage sogar die einzige in der deutschen Eishockey-Fanszene.
Man habe sich mit politischen Äußerungen nur langsam vorgewagt. „Wenn die Leute in die Halle kommen, lassen sie ihre Ansichten nicht vor der Tür. Wenn es Homophobie in der Gesellschaft gibt, ist die in der Halle nicht weg. Und wir lassen unser Engagement auch nicht vor der Halle.“ Die Fangruppe bewegt sich damit auf neuem Terrain und erntet nicht nur Zuspruch. „Die Szene braucht noch ein bisschen Zeit“, so ein Black- Corner-Mitglied.
Allerdings haben die Eisbären durchaus eine Vergangenheit mit rechter Anhängerschaft. Vor allem in den 90er Jahren waren rechte Gesänge in der Kurve zu hören. „Ich bin damals nicht zu den Eisbären gegangen, weil ich gesehen habe, welche Leute dahin gegangen sind“, räumt ein Black-Corner-Mitglied ein. Sie erinnert sich an Gesänge gegen Schwarze und an Rufe wie „Wir sind die Fans aus der Reichshauptstadt“.
Das sei vorbei, die Klientel habe sich gewandelt. Stetiges Engagement, neues Publikum und auch der Umzug in die Mehrzweckhalle am Ostbahnhof hätten einiges bewirkt. Doch eine offene Positionierung für liberale Themen sei vielen Fans noch immer zu viel Politik.
Und die neue Dynamik bringt durchaus berechtigte Fragen zutage: Wie weit soll Political Correctness im Stadion gehen? Wie viel davon braucht man? Und wann wird sie oberlehrerhaft?
Als Black Corner begann, einem homophoben Fangesang Contra zu geben, sei das vielen Fans zu weit gegangen. „Es geht dann darum, was man überhaupt noch singen darf. Ob man auch ‚Scheiß Kölner‘ nicht mehr singen darf.“
Beim Bündnis gegen Homophobie loben sie die Entwicklung in der Kurve. „Die Eisbären-Fans sind bei uns als sehr offen und tolerant bekannt“, sagt Projektleiterin Stephanie Kuhnen. Dass die Eisbären erst im Sommer Mitglied des Bündnisses wurden, habe auch mit der Sportart zu tun. „Eishockey ist ein Feld, das wir bislang noch nicht so stark bespielt haben.“
Ein Mitglied von Black Corner bestätigt das: „Was Engagement in Richtung Sozialarbeit, Fanprojekte und Antirassismus angeht, ist Eishockey zehn bis 15 Jahre hinter dem Fußball zurück. Einfach, weil so was niemand finanziert.“ Es gebe keinen Verband, der Fanprojekten mal eben 10.000 Euro in die Hand drücke; man sei auf Spenden angewiesen. Und weil es nicht so viel Öffentlichkeit gebe, sei soziales Engagement lange für Vereine uninteressant gewesen.
Nun ändere sich das langsam. Es gebe mehr soziale Projekte, auch mehr Debatten in der Szene. Eine Choreografie wie gegen Krefeld hat die Gruppe trotzdem erst mal nicht wieder geplant: „Das war für uns schon ein großer Schritt.“ Immerhin aber habe sich nach der Aktion eine Fangruppe eines anderen Vereins gemeldet. Sie fanden die Choreo richtig und wichtig; so was sei aber leider bei ihnen in der Kurve nicht durchsetzbar. Soziales Engagement, das machen solche Statements deutlich, steht erst am Anfang.
Bei Black Corner freuen sie sich trotzdem, eine andere Gruppe inspiriert zu haben. Und rieten den Fans zu Geduld: „Vor zehn Jahren hätten wir so eine Aktion bei uns auch noch nicht bringen können.“
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