: Filzball als Insignie der Macht
TENNIS Der Schotte Andy Murray besteigt den Thron der Ballschlägerzunft. Er ist nun Ersterder Weltrangliste. Den Serben Novak Djokovic hat er um ein paar Pünktchen distanziert
von Doris Henkel
Was macht man, wenn man die neue Nummer eins des Tennis ist, aber keinen Gegner hat, weil der verletzt ist und nicht spielen kann? Andy Murray schnappte seine Tasche und marschierte in die Halle von Paris-Bercy, wo die Leute auf sein Halbfinale gegen Milos Raonic warteten. Er tat, was er konnte, um sie zu entschädigen, und spielte mit breitestem Grinsen und sichtlichem Vergnügen Doppel mit drei Ballkindern. Auf dem Videowürfel über der Spielfläche stand auf rotem Untergrund in großen Buchstaben: „Andy world no.1“. Die Botschaft des Wochenendes, unmissverständlich.
Vor dem Finale am Sonntag gegen John Isner aus den USA standen für Murray 10.785 Punkte in der Rangliste zu Buche und damit fünf mehr als für Novak Djokovic. Der Serbe hatte mit seiner Niederlage im Viertelfinale gegen Marin Cilic die letzte Steighilfe für Murray in den Fels geschlagen, aber dass es bereits in Paris zum Machtwechsel kam, ist auch eine Folge der speziellen Ranglisten-Arithmetik. Djokovic werden an diesem Montag nicht nur 1.000 Punkte für den Sieg in Bercy vom vergangenen Jahr abgezogen, sondern auch 1.300 Punkte für den Titel bei den ATP-Finals 2015 – das Turnier der Besten anno 2016 beginnt am kommenden Sonntag in London. Minus 2.300 bei Djokovic und minus 800 bei Murray, so landete der Schotte jetzt auf dem Gipfel.
Die Glückwünsche der Kollegen ließen nicht auf sich warten. Einer der ersten Gratulanten war Andy Roddick aus den USA, der im Januar 2004 die letzte Nummer eins vor der Ära Federer-Nadal-Djokovic gewesen war. Roger Federer meldete sich am Abend, und sein Glückwunsch nahm in gewisser Weise den Ritterschlag der Queen vorweg, mit dem nun alle rechnen. „Wir haben einen neuen König in der Stadt“, schrieb Federer auf Twitter. Auch für Murrays Mutter war es ein spezieller Tag; Anfang April hatte Judy Murray ihren älteren Sohn Jamie an der Spitze der Weltrangliste im Doppel bewundern dürfen, Andy folgte sieben Monate später im Einzel.
Lange Zeit hatte es so ausgesehen, als habe Mrs. Murrays jüngerer Sohn Pech gehabt, zur falschen Zeit geboren zu sein. Die Giganten Roger Federer und Rafael Nadal standen im Weg, dann Djokovic. Dass er nach vielen anfänglichen Zweifeln stark genug ist, große Titel zu gewinnen, bewies er zum ersten Mal 2012, als er Olympiasieger wurde und ein paar Wochen später die US Open gewann, und vor allem im Jahr danach beim ersten Triumph in Wimbledon. Aber die Sammlung des Jahres 2016 dürfte schwer zu überbieten sein: Im Februar wurde er Vater, im Sommer gewann er innerhalb weniger Wochen den zweiten Titel in Wimbledon und die zweite olympische Goldmedaille, Glanzstücke einer umfangreichen Sammlung.
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