Dieter Meier vom Popduo Yello: „Ich bin ein Sommervogel“

Dieter Meier gehört zum Duo Yello, das in Berlin erstmals live auftritt. Er spricht über eine goldene Kugel, die Meister des Nichts und Biowirtschaft.

Die Musiker Dieter Meier und Boris Bland von Yello in eleganten Anzügen

Dieter Meier (links) und Boris Blank sind Yello, und ein bisschen Dressmen sind sie auch Foto: Helen Sobiralski

taz: Herr Meier, kürzlich zeigte sich ihre „goldene Jahrhundertkugel“ wieder. An acht Terminen in den nächsten hundert Jahren wird die Kugel, die in einer Kiste unter dem Zürcher Hauptbahnhof ruht, herausgeholt und auf ein Podest gerollt, um sie eine Stunde lang der Welt zu präsentieren. Dann wandert sie zurück in den Schacht. Zuletzt erschien sie vor acht Jahren. Waren Sie aufgeregt?

Dieter Meier: Natürlich! Einmal mehr ist das völlig sinnentleerte Dasein der goldenen Kugel ans Tageslicht gebracht worden, das habe ich feierlich begangen. Das Ganze ist ja eine Aktion der Association des Maîtres, der Vereinigung der Meister des Nichts. Ich bin das einzige Mitglied und Präsident dieser Firma. Als solcher erschien ich in einem schönen Jackett, geschmückt mit einem Abzeichen.

Sie waren oder sind: bildender Künstler, Pokerspieler, Musiker, Uhrendesigner, Rinderzüchter, Restaurantbesitzer, Schauspieler. Was fehlt noch?

Ich besitze eine kleine Kaffeeplantage in der Dominikanischen Republik. Dort habe ich gerade eine Schokoladenfabrik gebaut, in der wir ein neues Kaltextraktionsverfahren erproben, das ich mitentwickelt und weltweit patentiert habe. Ach, und seit Langem schon sitze ich an einem Roman, der wahrscheinlich nie fertig wird. Immer mal wieder hacke ich auf meiner Schreibmaschine herum, vielleicht gebe ich den Text als Fragment ab.

Wie haben Sie überhaupt Zeit gefunden, am neuen Yello-Album „Toy“ zu arbeiten?

Ich habe das Privileg, mit Boris Blank einen Klangfanatiker als Freund und Mitmusiker zu haben. Das Studio ist sein Biotop, dort wächst und gedeiht er. Boris ist wie ein Maler im Atelier, der zugleich an 80 Bildern arbeitet. Wenn ihn ein Bild inspiriert, nimmt er es von der Staffelei, und wenn nicht, lässt er es jahrelang liegen. So treibt er Dutzende Stücke zugleich voran, und erst am Ende werde ich dazugelassen, um auf seinen Sounds herumzutanzen. Für uns ist das eine wunderbare Symbiose: Boris steht nicht darauf, mit jemandem anderen im Studio zu sein, und ich stehe überhaupt nicht darauf, im Studio zu sein.

1945 in Zürich geboren, gründete er 1979 mit Boris Blank die Electropopband Yello, der bis 1983 auch Carlos Perón angehörte. Mit Songs wie „Oh Yeah“ und „The Race“ prägten sie den Sound der Achtziger. Vor Kurzem erschien das neue Album „Toy“ (Vertigo/Universal). Ab heute bis zum 30. Oktober spielen Yello live im Kraftwerk Berlin.

Zudem betreibt er unter anderem die Rinderfarm „Ojo de Agua“ in Argentinien und besitzt Restaurants in Zürich, Frankfurt am Main und Berlin.

In Berlin ist auch seine Ausstellung „Possible Beings (1973–2016)“, ein Spiel mit fiktiven Identitäten in Fotografien und Texten, bis zum 29. Oktober in der Galerie Judin/Berlin zu sehen.

Was hat zwei so gegensätzliche Menschen dazu bewegt, eine Band zu gründen?

Boris hatte Ende der siebziger Jahre ein kleines Label in Zürich, Periphery Perfume, auf dem er seine Musik veröffentlichte. Man hat ihm damals gesagt: Ist schon lustig, was du machst, aber du brauchst einen Sänger. Wir waren befreundet, und so bin ich dazugekommen. Für Boris war das eine doppelte Katastrophe: Erstens, weil er keinen Sänger wollte, der ihm reinredet. Und zweitens, weil ich ein so schlechter Sänger war, ein Punk-Schreihals, der anarchische Klänge von sich gegeben hat. Sehr wild und oft sehr schlecht.

Sie haben damals auf Ralph Records veröffentlicht, dem legendären US-Indie-Label der Residents. Wie sind Sie als Schweizer zu einer Plattenfirma aus San Francisco gekommen?

Boris war ein großer Fan der Residents und wollte sie besuchen. Und so hat er vor Ort mit den Leuten ihres Labels Ralph Records gesprochen. Was er nicht wusste und was überhaupt niemand wusste: dass er die Residents selbst vor sich hatte. Ohne ihre riesigen Kopfmasken hat man die Musiker ja nicht erkannt. Irgendwann fragten sie ihn, ob er auch Musik mache, und er gab ihnen ein Demo-Tape.

Yello werden als Paten des Electropop, manchmal sogar des Techno bezeichnet. Sind Sie stolz auf Ihre Nachfahren?

Wenn überhaupt, kann der Blank stolz sein, ich habe ja im Studio nie ein Instrument angerührt. Allerdings glaube ich nicht, dass wir junge Künstler direkt stilistisch beeinflusst haben, dazu ist Boris’ Stil viel zu eigenwillig. Eher hat seine Arbeitsweise Menschen ermutigt, mit technischen Möglichkeiten zu spielen.

Woran merkt man, dass man berühmt ist?

Wenn ich in die USA einreise, kommt beim Sicherheitscheck auf dem Flughafen die Frage: Is there anything you did I should know? – Haben Sie etwas getan, das Sie uns mitteilen sollten? –, und dann sage ich mit tiefer Stimme: oooooh yeah. Meist erkennt mich das Personal. Alle lachen. Und dann darf ich gleich durchgehen.

Anfang der Achtziger, als Yello weltbekannt wurden, regierte im Pop demonstrative Künstlichkeit. Mit ihrer Bio-Landwirtschaft konzentrieren Sie sich heute auf das Ursprüngliche. Hat das eine das andere bedingt?

Nein, das wäre zu weit hergeholt. Das Artifizielle war für uns nie ein großes Thema. Wir wollten uns nie wie Bowie als Kunstfiguren oder wie Kraftwerk als Menschmaschinen neu erfinden, wir versuchten das Gegenteil: aus den künstlich hergestellten Klängen einen Dschungel zu erschaffen, quasi einen Urwald aus Plastikpflanzen.

Wie fühlt es sich an, im Aufnahmestudio zu stehen, wenn man vorher Wochen mit Rindern und Wein verbracht hat?

Ich bin ein Transitmensch, füge mich in die verschiedensten Situationen ein. Ich kann aus einer Aufsichtsratssitzung kommen, dann ins Studio rennen, anschließend an einem Filmskript arbeiten und abends ein paar Kinderbuchverse schreiben. Ich dachte lange: Dieter, konzentrier dich mal auf eine Sache. Aber das muss ich akzeptieren. Ich bin nun mal ein Sommervogel, der von einer Blume zur anderen torkelt.

Boris Blank und Sie sind noch nie gemeinsam aufgetreten, nun spielen Sie gleich vier Konzerte in Berlin. Was hat sie dazu bewogen?

Einmal, vor vielleicht 35 Jahren, hatten wir einen Showcase in New York, das war’s. Die Entscheidung hing immer an Boris. Es hat lange gedauert, ihn davon zu überzeugen, dass unsere Bühnenmusik auch einen gewissen Spielraum braucht. Boris ist ein Kontrollfreak, aber mit dieser Haltung braucht man gar nicht live aufzutreten. Ich bin da eher der zenbuddhistische Kalligraf, der die Feder in den Topf taucht und Zeichen aufs Papier tropft, mit unterschiedlichem Ergebnis.

Sie haben einmal gesagt, Yello üben nicht. Auch nicht jetzt, vor den Konzerten?

Klar, jetzt müssen wir ja. Und es macht Spaß. Boris hat für die Auftritte eine App erfunden, die man als Samplingmaschine benutzen kann. Damit lassen wir zwei Songs live auf der Bühne entstehen.

Noch einmal zurück zur Jahrhundertkugel: Um Ihr übernächstes Erscheinen zu erleben, müssten Sie weit über 100 Jahre alt werden …

Mir hat mal ein irischer Wahrsager prophezeit, dass ich 127 Jahre alt werde. Aber es ist wohl vermessen, damit zu rechnen.

Wie geht es Ihnen bei dem Gedanken, dass Sie die letzten Auftritte der Kugel nicht mehr erleben werden?

Mir ist es wichtig, mich mit der Beschränktheit unseres Gastspiels auf Erden auseinanderzusetzen, auch mit meinem nahen Ende. Und mit der Gewissheit, dass danach nichts kommen wird. Wenn man älter wird, spürt man, wie wertvoll Zeit ist. Ich versuche seitdem, sorgfältiger mit ihr umzugehen.

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