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War hat Angst vorm Souverän?

Politische Kultur In Hamburg hat das Verfassungsgericht der direkten Demokratie einen Dämpfer verpasst – dabei zeigen die Bremer Nachbarn, dass Volksentscheide keine Gefahr für den Parlamentarismus sind. In Niedersachsen sollen sie sogar gestärkt werden

Von Andreas Wyputta

Die gescheiterte Olympia-Bewerbung 2015, der vollständige Rückkauf der Energienetze 2013, die zur Fall gebrachte Einführung der sechsjährigen Primarschule 2010: Nirgendwo im Norden werden Volksinitiativen und Bürgerbegehren so häufig und mit so durchschlagender Wirkung genutzt wie in Hamburg. Am Donnerstag aber mussten die AnhängerInnen direkter Demokratie eine herbe Niederlage hinnehmen: Für „nicht verfassungskonform“ hat das Landesverfassungsgericht ihr Begehren „Rettet den Volksentscheid“ erklärt – denn dieses ziele auf „die grundsätzliche Schwächung der parlamentarischen Demokratie“, begründete Gerichtspräsident Friedrich-Joachim Mehmel das einstimmige Votum des neunköpfigen Senats.

Tatsächlich waren die Forderungen der Direktdemokraten weitreichend. Referenden „von oben“ wie der von Senat und Bürgerschaft – dem Hamburger Landesparlament – angeschobene Olympia-Entscheid sollten künftig nicht mehr möglich sein. Bei Verfassungsänderungen dagegen sollten die BürgerInnen das letzte Wort haben, ebenso wie bei der Erhöhung von Landessteuern und Abgaben aller Art. Auch hätten weniger WählerInnen mehr entscheiden dürfen: Das sogenannte Zustimmungsquorum sollte auf ein Viertel der in der Bürgerschaft vertretenen Stimmen gesenkt werden. Gemessen an der Wahlbeteiligung des Jahres 2015 heißt das: Um ein Vorhaben durchzubringen, hätten künftig nur 13 Prozent der Wahlberechtigten mit „Ja“ stimmen müssen.

Mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar sei das, urteilten die Richter: Die Mehrheit müsse vor „gut organisierten Minderheiten“ geschützt werden. CDU und FDP begrüßten das Urteil ebenso wie SPD und Grüne – schließlich geht in Zeiten des Erstarkens von Parteien wie der AfD nicht nur bei den Etablierten längst die Angst um, die ursprünglich von Links angeschobenen Instrumente Volksentscheid und Bürgerbegehren könnten von Rechtspopulisten etwa gegen die Einrichtung von Unterkünften für Menschen auf der Flucht missbraucht werden.

Dass diese Angst vor dem Volk nicht unbedingt begründet sein muss, zeigt schon das Beispiel Bremen. Zwar wurde auch an der Weser für Basisentscheidungen getrommelt. Erfolgreich war hier seit 1947 aber einzig das Volksbegehren zur Änderung des Wahlrechts – statt eines antiquierten Ein-Stimmen-Verfahrens können die BremerInnen seit 2006 fünf Kreuze auf dem Wahlzettel machen, dürfen kumulieren und panaschieren.

Andere Initiativen verliefen dagegen im Sand. Für eine Abstimmung über ein Ende der privaten Müllsammlung durch die Firma Nehlsen etwa sprachen sich 2015 zwar die erforderlichen fünf Prozent der WählerInnen aus – 4.000 Unterschriften kamen zusammen. Doch die Gewerkschaft Verdi, die das Begehren angeschoben hatte, resignierte trotzdem: Offenbar fühlten sich die Arbeitnehmervertreter von SPD und Grünen nicht ausreichend unterstützt.

Lauwarmer Kompromiss über die Müllabfuhr

Übrig blieb ein lauwarmer Kompromiss: Die Hansestadt übernimmt wieder Anteile an ihrer Müllabfuhr – allerdings mit 49,9 Prozent nicht die Mehrheit. „So läuft das oft in Bremen“, sagt der Sprecher des Vereins „Mehr Demokratie“ in Bremen und Niedersachsen, Dirk Schumacher. „Senat und Bürgerschaft gehen zumindest teilweise auf die Forderungen ein, und im Gegenzug wird die Initiative zurückgezogen.“

In Niedersachsen will die rot-grüne Regierungskoalition die direkte Demokratie deshalb zumindest auf kommunaler Ebene noch im Oktober vorsichtig stärken. Zwar wird die gesamte Bauplanung außen vor bleiben – Bürgerbegehren gegen Windparks, Gewerbegebiete oder wie in Braunschweig gegen die Bebauung des Schlossparks mit einem Einkaufszentrum sind auch in Zukunft unzulässig. Bundesländer wie Bayern, Sachsen oder Thüringen trauen ihren BürgerInnen auch solche Entscheidungen zu.

Weg fällt zwischen Küste und Harz dagegen die Pflicht, bei jedem Bürgervorstoß detailliert zu erklären, wie der bezahlt werden soll. Initiativen scheiterten bisher oft, weil Stadtverwaltungen nicht kooperierten und die entsprechenden Zahlen, etwa zum Wert von Grundstücken oder Kreditkosten, zurückhielten. „Seit 1996 wurde in Niedersachsen jedes vierte Begehren wegen Mängeln am Kostendeckungsvorschlag abgelehnt“, ärgert sich „Mehr Demokratie“-Sprecher Schumacher.

Vorsichtig abgesenkt werden auch die sogenannten Abstimmungsquoren, also die Zahl der zu sammelnden Unterschriften, mit denen ein Bürgerbegehren wirklich in einen verbindlichen Bürgerentscheid mündet. Bislang mussten zehn Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. In kleinen Gemeinden ist das machbar – in Großstädten wie Hannover dagegen geht es um satte 50.000 Unterschriften, die mühsam gesammelt werden müssen. Nicht umsonst gab es in Niedersachsens Landeshauptstadt noch nie ein Bürgerbegehren.

Rot-Grün will das jetzt ändern: In Städten mit mehr als 200.000 Einwohnern sollen künftig fünf Prozent der Wahlberechtigten reichen, und in Kommunen mit 100.000 bis 200.000 Einwohner wird das Abstimmungsquorum auf 7,5 Prozent gesenkt. „Das ist ein guter erster Schritt hin zu mehr Bürgerbeteiligung“, sagt der kommunalpolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Belit Onay. Die Kritik, dass mit der Bauplanung wirkliche Aufregerthemen ausgespart bleiben, sei „allerdings nicht von der Hand zu weisen“.

Auf dem Weg zu mehrBasisdemokratie

Dass Niedersachsen damit zumindest auf dem Weg zu mehr Basisdemokratie ist, zeigt Schleswig-Holstein. Hier hat die Kieler Landesregierung bereits 2013 ähnliche Vorschläge umgesetzt. Das Ergebnis: Die Zahl der Bürgerbegehren stieg bis 2015 von 16 auf 29. Gleichzeitig sank der Anteil der für unzulässig erklärten Initiativen von 30 auf acht Prozent

Trotzdem bleibe auch im hohen Norden das fehlende Mitspracherecht bei der Bauplanung ein massives Ärgernis, sagt Claudine Nierth vom dortigen Landesverband von „Mehr Demokratie“ – BürgerInnen dürften ausgerechnet die Fragen, die sie vor Ort wirklich bewegten, nicht entscheiden. „In Schleswig-Holstein gab es seit 2003 deshalb nur 460 Bürgerbegehren“, sagt Nierth. „In Bayern waren es über 3.000.“

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