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Der Krieg mit den Zahlen

Interpretationen Arbeitgeber und Gewerkschaften kommen beim Thema Ungleichheit zu ungleichen Schlüssen – alles eine Frage der Datenbasis

BERLIN taz | Wer wissen will, wie man Statistiken instrumentalisieren kann, der muss sich den öffentlichen Diskurs über Gleichheit und Ungleichheit anschauen. Je nachdem, welche Interessensgruppen gerade an Studien basteln, werden die passenden Zahlen herausgezogen und interpretiert.

Ein Beispiel dafür ist das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW). „Besser als wahrgenommen“ sei die Lage in Deutschland, vermeldete es unlängst. Die verbreitete Wahrnehmung – „die Reichen werden immer reicher, die Armen verlieren den Anschluss“ – habe „wenig mit der wirtschaftlichen Realität zu tun“, so das IW mit Verweis auf die Entwicklung der Bruttolöhne.

Mit einem Zuwachs von 6,6 Prozent haben die Bruttoerwerbseinkommen der unteren 10 Prozent der Vollzeitbeschäftigten im Zeitraum von 2009 bis 2013 – also noch vor Einführung des Mindestlohnes – tatsächlich gut zugelegt, so das IW. Die reichsten 10 Prozent konnten ihr Erwerbseinkommen im selben Zeitraum nur um 2,8 Prozent steigern. Das klingt gut und nach mehr Angleichung, aber der Vergleich der Bruttolöhne von Vollzeitbeschäftigten unterschlägt das – oft weibliche – Dienstleistungsprekariat in Teilzeitjobs, die Arbeitslosen und RentnerInnen. Sie kommen als Datenbasis für den IW-Vergleich zwischen Arm und Reich schlicht nicht vor.

Selbst bei gleicher Datenbasis ergeben andere Perspektiven andere Aussagen. So lobt das Arbeitgeberinstitut, dass der Gini-Koeffizient – siehe Grafik – für die Nettoeinkommen seit dem Jahre 2005 „keinen signifikanten Anstieg“ verzeichnet. Auch das klingt gut – allerdings übersieht man bei dieser Formulierung leicht den Zeitverlauf.

Für die Nettoeinkommen der 90er Jahre war Der Gini-Koeffizient vergleichsweise niedrig, kletterte dann aber 2005 auf einen Höchststand – und sackte dann wieder ab. Doch schon kurz danach legte der umkämpfte Wert wieder zu. Das gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Institut rügte am Montag daher auch, dass der Koeffizient 2013, dem zuletzt verfügbaren Jahr, den „bisherigen Höchststand“ überschritten habe. Soll heißen: Die Einkommen werden wieder ungleicher. Beide Institute nutzen dieselbe Datenbasis – aber die Perspektiven sind anders.

Es geht um die Perspektive

Ein weiteres Beispiel ist die Vermögensverteilung. „Anders als vielfach vermutet“, habe die Vermögensungleichheit in Deutschland „nicht weiter zugenommen“, heißt es beim IW. Das reichste Zehntel in der Bevölkerung besaß im Jahre 2010 laut Monatsbericht der Bundesbank 59,2 Prozent des gesamten Nettovermögens, im Jahre 2014 hingegen 59,8 Prozent. Das ist zwar ein kleiner, aber immerhin vorhandener Anstieg in der Vermögenskonzentration.

Die statistische Grenze zwischen dem ärmsten Bevölkerungsviertel und den Bessergestellten lag 2010 noch bei einem Nettovermögen von 6.600 Euro. 2014 war die Grenze auf 5.400 Euro abgesackt – also ist das am schlechtesten gestellte Viertel noch ärmer geworden. „Die Verschiebungen sollten nicht überbewertet werden, denn die absoluten Veränderungen hielten sich in Grenzen“, versucht der Bundesbank-Monatsbericht zu beruhigen. Klingt nachvollziehbar – entpuppt sich bei genauerem Nachdenken aber als fragwürdig. Man könnte es genauso gut alarmierend finden, dass das ärmste Viertel nur einige Tausend Euro Vermögen sein Eigen nennt und davon auch noch Hunderte verliert, während die wohlhabendste Hälfte über mehr als 60.000 Euro verfügt. Ganz zu schweigen vom reichsten Zehntel, dass mindestens 468.000 Euro besitzt.

Selbst die Bundesbank räumt ein, dass die Ungleichheit bei der Vermögensverteilung in Deutschland im „internationalen Vergleich“ hoch sei. Der Gini-Koeffizient für das Nettovermögen lag im Jahre 2014 bei 0,76, in Italien hingegen bei 0,61. In den USA liegt er bei 0,80. Die Ungleichheiten sind also weitaus größer als die Einkommensunterschiede.

Der Kampf um Interpretationen lässt sich um viele Parameter erweitern, etwa auch um die Frage, ob die Mittelschicht schrumpft oder stabil bleibt. Aber wer selbst betroffen ist von Armut und Verlust und wenig Chancen sieht, aus dieser Lage herauszukommen, für den oder die sind die Zahlen wurscht. Die vermeintlichen Trends können nicht verschleiern, dass es eine Frage des politischen Standpunkts ist, ob man Ungleichheiten eindämmen will – oder nicht. Barbara Dribbusch

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