: Karlsruhe unter Ceta-Zeitdruck
VERFASSUNGSGERICHT Kläger versuchen die vorläufige Anwendung des Handelsabkommens mit Kanada noch kurzfristig zu stoppen. Sigmar Gabriel warnt vor Scheitern
Aus Karlsruhe Christian Rath
Darf Sigmar Gabriel kommende Woche dem Ceta-Abkommen und seiner vorläufigen Anwendung zustimmen? Darüber verhandelte an diesem Mittwoch das Bundesverfassungsgericht in einem Eilverfahren.
Geklagt hatten unter anderem Abgeordnete der Linken, ein Bündnis aus Mehr Demokratie, Foodwatch und Campact sowie die Flötenlehrerin Marianne Grimmenstein. Fast 200.000 Bürger unterstützen die Klagen. Sie fürchten, dass der EU-Freihandelsvertrag mit Kanada die Demokratie aushöhlt, unter anderem weil Investoren gegen „indirekte Enteignungen“ durch demokratisch zustande gekommene Gesetze klagen können.
Karlsruhe verhandelte unter Zeitdruck. Denn schon am kommenden Dienstag will der EU-Ministerrat mit Wirtschaftsminister Gabriel Ceta zustimmen. Vor allem soll dort auch über eine vorläufige Anwendung von weiten Teilen des Abkommens abgestimmt werden. Der umstrittene Investitionsschutz soll erst später in Kraft treten – wenn und falls alle 28 nationalen Parlamente das Abkommen ratifiziert haben. Die Kläger betonten, dass in dieser Zeit aber schon der gemeinsame Ceta-Ausschuss seine Arbeit aufnehme. Dieser könne den Ceta-Vertrag verbindlich auslegen und sogar ändern. Sie beantragten deshalb eine einstweilige Anordnung. Mit ihr soll der Bundesregierung die Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von Ceta verboten werden.
Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, betonte, dass in diesem Eilverfahren die Verfassungsrügen nicht inhaltlich entschieden werden könnten. Es gehe im Kern nur um eine „Folgenabwägung“: Ist es schlimmer, wenn Ceta vorläufig angewandt wird, obwohl es die deutsche Verfassungsidentät verletzt? Oder sind die Folgen gravierender, wenn Ceta nicht sofort angewandt wird, obwohl die Klagen letztlich erfolglos bleiben?
Die Vertreter der Kläger sprachen dann vor allem über die Gefahren, die vom „Regime des Freihandels“ ausgehen, so etwa der Bielefelder Rechtsprofessor Andreas Fisahn. Was konkret und realistisch droht, wenn Ceta vorläufig in Kraft tritt, sagten sie jedoch nicht.
Gabriel konnte dagegen mit einem ausführlichen, düsteren Szenario punkten. „Wenn die EU die vorläufige Anwendung von Ceta ablehnt, dann ist das Abkommen erledigt.“ Das habe man ihm in Kanada erklärt. Das Land würde es nicht akzeptieren, wenn es schlechter behandelt werde als andere Vertragspartner der EU wie etwa Korea oder Vietnam. „Wenn die EU aber nicht einmal mit Kanada ein Handelsabkommen schließen kann, mit wem dann?“ Das Scheitern von Ceta wäre ein „gigantischer Schaden“ für die EU und die exportorientierten Deutschen. Es gehe damit also schon jetzt um die Handlungsfähigkeit der EU. Wenn es die EU nicht schaffe „demokratiekonforme Märkte“ zu schaffen, würden letztlich die USA und Asien „marktkonforme Demokratien“ schaffen. Dann müsse sich die EU anpassen.
Am Nachmittag ging es um den gemischten Ceta-Ausschuss und seinen Unterausschüssen. „Vor diesen Ausschüssen muss man keine Angst haben“, sagte Franz Mayer, der Rechtsprofessor, der das Wirtschaftsministerium vertritt. „Die Ausschüsse von ähnlichen bereits bestehenden Abkommen tagen einmal im Jahr, und dann geht es zum Beispiel um den Jodgehalt von Seetang.“
Am Donnerstag will das Gericht sein Urteil verkünden. Es wäre eine Sensation, wenn Karlsruhe die vorläufige Anwendung von Ceta stoppen würde.
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