: Die AfD etabliert sich
Rechts Der Landtag von Schwerin ist jetzt der neunte,in den die Partei einzieht. Aus dem Stand hat die AfDes geschafft, die CDU auf den dritten Platzzu vertreiben. Linkspartei und Grüne bleiben weit abgeschlagen
Aus Schwerin Sabine am Orde
Leif-Erik Holm hat sich auf diesen Sonntag gefreut. Jetzt steht der AfD-Spitzenkandidat in einem Festzelt am Schweriner See zwischen den stellvertretenden Vorsitzenden der Bundespartei, Beatrix von Storch und Alexander Gauland, dicht umdrängt von Parteianhängern und Presse, und grinst breit.
Gerade ist auf der Leinwand ganz vorne im Zelt die erste Prognose erschienen: 21,5 Prozent für die Alternative für Deutschland. Die CDU liegt bei 20, die SPD bei 30 Prozent. „Die kriegen wir noch“, sagt einer im Saal. „In Sachsen-Anhalt sind die Werte im Laufe des Abends auch immer weiter gestiegen.“ Holm hebt sein Sektglas, stößt erst mit von Storch, dann mit Gauland an. Die AfD-Anhänger klatschen begeistert.
Die AfD hat vor das Restaurant „Schlossbucht 19“, das in einem alten, reetgedeckten Haus am Seeufer untergebracht ist, ein Zelt für die Wahlparty aufgebaut. Von der Strandbar dahinter kann man jenseits des Sees das Schweriner Schloss sehen – dort sitzt der Landtag. Die Rechtspopulisten dürfen dort noch nicht feiern. Bald aber werden sie mit zahlreichen Abgeordneten in das Landesparlament einziehen.
„Ein stolzes“ Ergebnis, sei das, sagt Holm wenig später. „Schön wäre, wenn wir die SPD noch einholen würden, aber danach sieht es ja leider nicht aus.“ Stärkste Partei zu werden, das hatte der ehemalige Radiomoderator eigentlich als Ziel ausgegeben. „Wir schreiben heute Geschichte“, sagt er nun trotzdem. Und: „Vielleicht ist das heute der Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Merkel.“
Gut aufgestellt war die Partei vor der Wahl nicht: Nur knapp 500 Mitglieder hat die AfD in dem nordöstlichen Bundesland – und nur wenige Ortsgruppen jenseits der größeren Städte. In der Fläche ist sie kaum verankert. Einige der Direktkandidaten mussten ihre Flugblätter allein unter die Leute bringen.
AfD-Spitzenkandidat Holm ist ein mäßiger Redner, kein Volkstribun wie sein Kollege Björn Höcke aus Thüringen, der einen Marktplatz mitreißen kann. Während des Wahlkampfs haben sich beide Bundesvorsitzenden offen bekriegt. Die Stuttgarter Fraktion fand keinen gemeinsamen Umgang mit einem antisemitischen Abgeordneten und spaltete sich.
Dann verzettelte sich auch noch Parteivize Alexander Gauland mit rassistischen Beleidigungen gegen Jérôme Boateng, einem der Stars der Nationalmannschaft.
Und doch: Den WählerInnen in MV scheint all das egal zu sein. Holm und seine Mitstreiter sind fast so erfolgreich wie die AfD in Sachsen-Anhalt. Dort kamen die Rechtspopulisten bei der Landtagswahl im März auf 24,3 Prozent und erzielten so ihr bislang bestes Ergebnis.
Die AfD etabliert sich. Das Tabu gegen rechts, das es sechs Jahrzehnte lang gab, ist in Auflösung. Dies ist der neunte Landtag in Folge, in den die AfD nun einzieht. Am 18. September kommt das Berliner Abgeordnetenhaus hinzu – und kaum jemand zweifelt noch daran, dass die Partei im kommenden Jahr auch den Sprung in den Bundestag schafft.
Leif-Erik Holm, der AfD-Spitzenkandidat, hat jahrelang als Moderator beim Privatradio gearbeitet. Der 46-Jährige gibt sich als heimatverbundener Kerl, den die Sorge um das Land in die Politik getrieben hat. Merkels Flüchtlingspolitik, Einwanderung, Islam – darum vor allem ging es auf den AfD-Wahlveranstaltungen. Landespolitische Impulse? Weitgehend Fehlanzeige. Doch wenn Holm von „Masseneinwanderung“ sprach, die die „kulturelle Identität“ bedrohe, war ihm der Applaus sicher. Nicht einmal 4 Prozent der Bevölkerung in dem Bundesland sind Ausländer, Flüchtlinge inbegriffen.
Gerne betont Holm, dass er 1989 bei der friedlichen Revolution dabei war und sich um die Errungenschaften der Wende sorgt, die die „Altparteien“ auf dem Gewissen haben: „Wir wollen Freiheit in diesem Land“ und „Wir kämpfen für das Recht auf freie Meinungsäußerung“. Solche Sätze sagt er dann. Er wird dafür beklatscht, als könnte die AfD nicht ihre Parolen ungehindert über jeden Marktplatz brüllen. Im Osten, wo die Bindung an die Parteien geringer ist, ist der Groll auf „die da oben“ besonders groß.
Viel tun musste die AfD für ihren Erfolg in Mecklenburg-Vorpommern nicht. Die NPD, die seit zehn Jahren im Landtag saß, hat verändert, was denkbar und sagbar ist: Wer sich an NPD-Parolen gewöhnt hat, für den klingen die Rechtspopulisten nicht mehr so schlimm.
Auch hat die AfD Gelegenheiten zu nutzen gewusst. Die Kölner Silvesternacht, die hohen Flüchtlingszahlen, zuletzt die islamistischen Anschläge – Steilvorlagen gab es in diesem Jahr genug. Zudem hat sie selbst einiges für ihre Erfolge getan: „Die Partei hat im vergangenen Jahr zwei wichtige strategische Entscheidungen gefällt, ohne die es diese Erfolge vermutlich nicht geben würde“, sagt der Berliner Wahlforscher Oskar Niedermayer. Als die Kanzlerin vor einem Jahr – die AfD hatte sich gerade gespalten und lag in Umfragen bei 3 Prozent – die Flüchtlinge ins Land ließ, wandte sich die AfD weitgehend von der Frage der Eurorettung ab und ihrem neuen Thema zu.
„Sie hat ihren Markenkern verändert“, nennt Niedermayer das. Die AfD inszenierte sich als die einzig wahre Anti-Asyl-Partei. „Die Flüchtlinge waren ein Glücksfall für uns“, sagte Parteivize Alexander Gauland damals.
Holm wie auch sein Ko-Parteichef, der Familienrichter Matthias Manthei, der auf Platz zwei der Landesliste steht, gelten als gemäßigt. Von den Scharfmachern innerhalb der Partei aber distanzieren sie sich nicht. Ihr Landesverband steht innerhalb der AfD ohnehin eher rechts. Nachdem der wirtschaftsliberale AfD-Gründer Bernd Lucke die Partei verließ, folgten ihm aus Mecklenburg-Vorpommern nur wenige.
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