Die Karibikinsel Dominica: Wege entstehen, wenn man sie geht

Der Waitukubuli National Trail führt durch tropische Schönheit und die Tücken der Natur. Besuch bei den letzten Indianern der Karibik inklusive.

Eine tropische Landschaft

Dominica, behaupten die Einheimischen, wäre die einzige Karibikinsel, die Columbus wiedererkennen würde. Foto: Ute Müller

Ever since I know myself … Seit ich mich erinnern kann“, so leitet Marcel Durand fast jede Unterhaltung ein. „Seit ich mich erinnern kann“, erzählt er gerade, „gab es immer schwere Hurrikane auf Dominica. Doch ‚Erika‘ war einer der heftigsten.“

Marcel ist unser ständiger Begleiter und Fahrer auf der Karibikinsel Dominica. The Big Easy, so nennen die Dominicaner ihren Lebensstil. The Big Easy passt auch zu ihm. Groß und massig, höflich und zugänglich, Sinn für Humor. Wandern sei zu zurzeit nicht einfach, sagt Marcel. Der Hurrikan „Erika“ hat im September 2015 die Berghänge der Karibikinsel Dominica ins Rutschen gebracht. Auch viele Wege des Waitukubuli National Trail, unser Ziel, seien weggerutscht und noch nicht wiederhergestellt.

Auf unseren Wanderungen begleitet uns Derrick Joseph, staatlich geprüfter Wanderführer, Musiker aus Passion, vom Stamm der Kalinago. Er wartet am Straßenrand und trommelt auf der Wasserflasche. Das dichte, lange schwarze Haar hat der 37-Jährige zu einem Zopf zusammengebunden, das T-Shirt lässig um den Hals geknotet. Seinen nackten, muskulösen Oberkörper setzt er schamlos der Sonne aus. Unser gemeinsames Ziel: die Jacko Steps.

Ein schwieriges Unterfangen

Anreise: Via Paris nach Guadeloupe (etwa mit Air France www.airfrance.com), ab 650 Euro, danach Fähre (www.express-des-iles.com), ab 79 Euro nach Dominica (Überfahrt etwa zwei Stunden).

Unterkunft: Tamarind Tree Hotel an der Westküste Dominicas (www.tamarindtreedominica.com), ab 49 Euro inkl. Frühstück pro Person im Doppelzimmer; Rosalie Bay Resort (www.rosaliebay.com): Am Fuße des Nationalparks Morne Trois Pitons direkt am Strand gelegene schöne Anlage mit Ökoboutique und Wellnessresort. Am schwarzen vulkanischen Strand brüten Schildkröten (Preis ab 250 Dollar pro Doppelzimmer, von Oktober bis Dezember; Secret Bay (www.secretbay.dm) ist ein preisgekröntes Öko-Luxus-Resort an der Nordwestküste von Dominica. Je nach Bungalow ab 475 bis 1.357 Dollar pro Nacht

Creole Music Festival: Vom 28. bis 30. Oktober 2016 findet das 19. World Creole Music Festival auf Dominica statt. [Link auf http://www.akon.com]Karten und Informationen: dominicafestivals.com/schedule/

Information: Dominica in Deutschland: Tel. 07 11/26 34 66 24; dominica@tropical-consult.de; www.discoverdominica.com; www.waitukubulitrail.com

Diese Reise wurde von Discover Dominica unterstützt.

Völlig unvorbereitet durchwaten wir den Layou River über rutschiges Geröll. Auf der anderen Seite liegt das Grundstück eines Rastapärchens. „Hey“, ruft die grauhaarige Mary mit ihren Rastalocken von der Terrasse. Smalltalk.

„Ja, wir leben seit dreißig Jahren hier. Hier wächst alles, was wir brauchen. Drei unserer fünf Kinder haben sich unten am Hang Hütten gebaut. Wir sind glücklich. Und es macht 10 Dollar pro Person.“

Mit Weggebühr zu den Jacko Steps hatten wir nicht gerechnet.

„Der Weg muss gepflegt werden“, sagt Mary.

Wir zahlen die Transitgebühr. Von Pflege ist wenig zu spüren. Matsch, rutschiges, abschüssiges Gelände, keine Wegbegrenzung, manchmal gar kein Weg, dann wieder ein verwitterter Holzpfahl. Es regnet immer wieder. Wir steigen den Regenwald hoch. Der Boden ist feucht, glitschig, für Ungeübte und trotz Profilsohlen schwer zu gehen.

„No woman, no cry“, trällert Bandleader Derrick während er wie eine Bergziege lässig die tiefsten Schlammlöcher überspringt. „Es ist ein alter Weg“, erklärt er in Englisch mit kreolischem, das heißt französisch anmutendem Einschlag. Der Weg wurde von entlaufenen Sklaven – den Maroons – angelegt. „Sie flüchteten vor der brutalen Sklavenarbeit in den Plantagen an der Küste hier hoch in die dicht bewaldeten Berge. Mehr als 40 Jahre lebten sie hier. Ihr Anführer war Jacko.“

Sie müssen groß gewesen sein. Denn die in den Fels geschlagenen Jacko Steps, die auf der anderen Seite des Bergs zum Fluss hinunterführen, sind fast ein Meter hohe Stufen. Dort holten Jacko und seine Leute Wasser vom Fluss. Für kurze Beine ein schwieriges Unterfangen.

Der Rückweg, bergabwärts, ist schlimmer als der Aufstieg, eine Schlitterpartie im Regen. Klatschnass, von oben bis unten mit Lehm bespritzt, kommen wir wieder zum Fluss. Nur Derrick ist völlig unbeschadet. Dieses Mal schwimmen wir hin­über. Warum er uns gleich am ersten Tage auf so eine schwierige Etappe mitgenommen hat , fragen wir Derrick. „Das war eine der einfachsten. Eine kleine Einübung auf den Trail.“

Die unzugängliche Insel

Der 115 Kilometer lange Waitukubuli National Trail auf Dominica wurde 2011 mithilfe der EU fertiggestellt. 184 Kilometer verläuft er in vierzehn Abschnitten von Süd nach Nord, von Scotts Heads an der südlichsten Spitze der Insel zum Cabrits Nationalpark. Er geht über bewaldete Berge im Inselinneren, durch den Morns Trois Pitons Nationalpark, der zum Weltkulturerbe gehört. Er führt die Höhen des dampfenden Regenwalds hinauf und durch dramatische Schluchten. Überquert unzählige Flüsse, vorbei an spektakulären Wasserfällen und Schwefelquellen. Er durchquert verlassene Plantagen, schlängelt sich an der Steilküste entlang, mäandert durch fruchtbares Farmland und kleine Dörfer.

„Keine giftigen Schlangen, keine fiesen Spinnen, keine gefährlicheren Tiere als ein Guinea-Schwein.“

„Aber die können beißen.“

„Seit ich mich erinnern kann, wurde noch niemand davon getötet.“ Marcel grinst, während er die Vorzüge Dominicas anpreist.

Etappe sechs des Waitukubuli Trail liegt in Kalinago-Land. Waitukubili bedeutet „Groß ist ihr Körper“. So tauften die Ureinwohner, Karib-Indianer, die sich selbst Kalinago nennen, einst ihre Insel. Die Vorfahren der Kalinago kamen vor Jahrhunderten hierher. Sie sind die letzten Indianer der Karibik. Die Unzugänglichkeit der Insel war ihr Glück. Rund 3.500 von ihnen leben bis heute im Nordosten Dominicas in einem Reservat, dem Kalinago Territory.

Auch Derrick Joseph, unser Wanderführer, wohnt hier. Er wartet auch heute auf uns im Besucherzentrum des Dörfchens Barana Autê, einer Art Freilichtmuseum zur Kultur der Kalinago. Im Besucherzentrum, einer repräsentativen Hütte mit Palmdach, wird die Geschichte der Kalinago erzählt. Der Minister für Angelegenheiten der Kalinago auf Dominica, Cozier Frederick, führt uns durch die kleine Ausstellung.

Sie beginnt mit der Besiedlung der Kleinen Antillen rund 700 Jahre vor Christus durch die Kariben, ein kriegerisches Volk aus Guayana und Surinam. Sie verdrängten die Taino. Dann kamen die spanischen Eroberer. Sie waren an Dominica nicht weiter interessiert. Die Verdrängung der Kalinago schafften englische und französische Kolonisatoren. Geblieben ist ihnen das Land im Reservat.

„Arbeit ist ein großes Problem für die Kalinago. Die Landwirtschaft reicht nicht, der Bootsbau funktioniert als Geschäft schon lange nicht mehr“, erzählt Frederick. Inzwischen habe sich hier ein Zusatzgeschäft durch Gemeindetourismus entwickelt: Reisende können bei Kalinago-Familien leben. Er zeigt uns ein „Home Stay“: eine schlichte Hütte, selbst gebaut aus Palmzweigen. Drinnen eine zusammengenagelte Liegestatt. Ein Plumpsklo im Garten, dazu Hunde, Hühner und ein Schwein. Kalinago ist zwar bis heute eine ethnische Kategorie, aber sie ist vor allem ein Synonym für die Ärmsten der Unterschicht.

Der bedrohte Nationalvogel

„Johnny Depp ist cool“, sagt Derrick unvermittelt, als wir uns auf den Trail machen. Er will erzählen, denn er war dabei, als Depp mit seinem Filmteam hier auf Dominica „Fluch der Karibik 2“ drehte, Statist in der Szene, als Depp entführt wird. „Es war eine gute Zeit“, schwärmt Derrick. „Es gab viel Arbeit und viel zu sehen.“

Unsere Wanderung auf Abschnitt sechs des Waitukubuli Trail ist wie die am Tag zuvor anstrengend: die feuchte Erde gefährlich rutschig, die Wege teils zugewachsen, verschüttet, auf jeden Fall kaum abgesichert. Der Waitukubuli Trail ist eine Herausforderung. Eine lohnende: Einsamkeit, überdachter Regenwald, Farne in allen Grünfarben, Orchideen, Ananas- und Kokosnussplantagen und immer wieder der Blick auf den Atlantik oder in tiefe Schluchten.

„Seit ich mich erinnern kann, wurde der Sisserou, der Nationalvogel der Insel, gejagt. Heute ist das verboten“, sagt Marcel auf der Rückfahrt aus Kalinago-Land. „Der Papagei ist am Aussterben, aber wir haben immer noch die meisten Vogelarten der Karibik, 162 verschiedene Arten“, behauptet er. „Trinidad und Tobago hat 400 Arten.“ – „Kann sein, aber dort gibt es auch viel Kriminalität.“

In der Abgeschiedenheit der Insel Dominica überlebten einzigartige Arten wie der Nationalvogel, die Kaiseramazone, hier Sisserou genannt. Er ziert die Flagge der einstigen britischen Kronkolonie. Oder der Jacko. Beide Vögel zählen zu den Amazonenpapageien, das Gefieder ist grün, andersfarbig sind Kopf, Flügel und Schwanz. Trotz des absoluten Schutzes beider Vögel durch Gesetz, Behörden und Naturschützer aus aller Welt sind die Überlebenschancen gering. Vom Nationalvogel leben kaum mehr als 600 Exemplare.

In Secret Bay, im Norden der Insel, treffen wir Bertrand Jno Baptiste. Der ehemalige Verwaltungsangestellte hat sein Leben dem Schutz des Sisserou gewidmet. In den Wipfeln des Nationalparks Morne Diablotin hat er die Vögel jahrelang beobachtet, gezählt und beschützt. Auf der Insel ist er als Dr. Birdy bekannt.

„Nach dem Hurrikan ‚David‘ waren die Kaiseramazonen fast ausgestorben, aber wir hatten Glück, jetzt leben hier an den Hängen des Diablotin wieder 300 Paare“, sagt Birdy. Er führt Besuchergruppen zur Vogelbeobachtung in den Wald. „Wir haben ein grünes, zu zwei Dritteln von Regenwald bedecktes Paradies, das sich fast völlig intakt in die Neuzeit retten konnte“, erzählt er. „Hierher kommen viele Alleinreisende, Naturliebhaber, Wanderer, aber sie sind eine unsichere Klientel: Ein Hurrikan, und sie bleiben weg. Und die Wege, die mühsam in die Berge geschlagen wurden, verkommen.“

„Wege entstehen, wenn man sie geht“, bestätigt Marcel. Er ist eigentlich Philosoph.

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