Debatte Terror-Analyse deutscher Medien: Der Rucksack ist banal und böse
Der Terror in Deutschland lässt „FAZ“, „SZ“ und „Welt“ kreativ werden. Leider geht jede Differenzierung im Brei medialer Begriffsbildungen unter.
I n Zeiten des Terrorismus gedeihen auch Banalisierung und Infantilisierung. Der Prozess beginnt mit der sprachlichen Bezeichnung von Taten und Tätern: Der Verfassungsschutzpräsident sprach vom „Do-it-yourself-Terrorismus“, die FAZ vom „Graswurzel-Terrorismus“ und von „turboradikalisierten Einzelgängern“. Die ganze Hilfs- und Ahnungslosigkeit des kommentierenden Gewerbes wird erkennbar in der Tautologie, das heißt, der „Wiederholung des bereits Gesagten“: „Der Terror schlug in seiner eigentlichen Gestalt zu als Steigerung des Schreckens“, wie Martina Meister in der Welt und im Zürcher Tagesanzeiger schrieb – als ob das lateinische Wort „terror“ nicht bereits „Schrecken“ bedeuten würde. Die Verdoppelung des Substantivs ist unsinnig wie die Rede von der „Volksdemokratie“ (Volksvolksherrschaft) oder vom „Guerilla-Krieg“ (Kleinkriegkrieg). Solches Gerede verrät nur unterbelichtetes Denken.
Das wiederholt sich bei der Analyse von Tat und Tätern. Weil diese nicht ins landläufige Schema vom ferngesteuerten Al-Qaida- beziehungsweise IS-Kämpfer passten, erfand man im gedruckten Gewerbe wie in den Live-Kommentaren der „Terror-Experten“ die Figur des „einsamen Wolfs“, der von „Selbstradikalisierung“, „Blitz-Radikalisierung“ oder „Turbo-Radikalisierung“ befallen werde wie von einem Fieber. Keine Sozialisierung, auch nicht die kaum erforschte des Amokschützen, ereignet sich über Nacht.
Trotzdem gewann die Erklärung von Taten aus psychischen Krankheiten schnell an Boden. Hätte in den 70er Jahren jemand die ebenso selbstgerechten wie vernagelten Mitglieder der RAF als psychisch krank bezeichnet und deren Morde damit erklärt, hätte er sich der Lächerlichkeit ausgesetzt und sich wahrscheinlich den Vorwurf der Verharmlosung eingehandelt.
Der Hinweis auf psychische Krankheiten als Ursache für die jüngsten Anschläge ist in der Sache windig begründet und verrät nur das Ausmaß der Entpolitisierung und Banalisierung, in denen Kommentatoren des Terrors befangen sind. Sie verwechseln schon Gründe und Motive für Gewalt mit Ursachen und Symptomen für psychische Erkrankungen.
Ein einfacher Baumarkt taugt zum Waffenarsenal
Geradezu grotesk wirkt die mediale Darstellung der Instrumente des Terrors. In der SZ vom 4. August 2016 hieß es dazu: „Vom 9/11-Teppichmesser in New York bis zum Rucksack von Ansbach: wie unser Alltag durch Terror und Amok militarisiert wird. Gerade weil der Rucksack banal ist, kann er auch böse sein.“ Jedes Kind weiß, dass man ein Küchenmesser zum Schneiden von Gemüse, aber auch zur Verletzung, ja Ermordung von Menschen benutzen kann. Die These, „Ein einfacher Baumarkt taugt zum Waffenarsenal“, ist grobschlächtig und banal. Interessant wäre nur die Frage, warum und in welchem politischen, sozialen und intellektuellen Kontext Menschen Werkzeuge aus dem Baumarkt besorgen, um zu morden.
Der Hinweis auf die Instrumente der Terroristen von Rucksack und Axt bis zu Lastwagen wird nicht aussagekräftiger, wenn er durch eine Anspielung auf Hannah Arendts Wort von der „Banalität des Bösen“ feuilletonistisch dekoriert wird. Im Übrigen steht der Vergleich des Attentats in New York (rund 3.000 Opfer) mit jenem von Ansbach nur für fortgeschrittenen Verhältnisblödsinn. Jede Differenz zwischen Attentaten verschwindet im Wörterbrei, der nur die Namen von Orten, an denen Terroranschläge stattfanden, in eine Kontinuität einordnet und rhetorisch kausal verknüpft, als ob Motivation, Ursachen und Kontexte der Taten immer gleich wären.
Auf der intellektuellen Schwundstufe der Analyse von Terror wird die Frage nach dessen Ursachen, Kontexten und Motivationen programmatisch ausgeblendet mit dem einfältigen Argument, jede Suche danach lenke ab von der Schuld und Verantwortung der Täter und diene deshalb nur der Rechtfertigung und Verharmlosung von Gewalt. Solche Improvisationen bescheiden sich mit der bloßen Beschreibung von Gewalt, weil diese angeblich keiner rationalen Erklärung zugänglich sei, und versumpfen in der Tautologie, „Gewalt ist Gewalt“. Zwei Voraussetzungen vermeintlich „reiner“ Beschreibung liegen auf der Hand.
Gewalt resultiert aus vielerlei Ursachen
Die erste geht davon aus, dass Gewalt homogen ist. Aber Gewalt „tel quel“ (so wie sie ist) gibt es nicht. Es ist immer ein historisch, sozial, politisch und psychologisch bestimmtes Phänomen, das wir Gewalt nennen. Eric Hobsbawm nannte drei Beispiele: Ein kalabresischer Brigant antwortete auf die Frage, was böse sei: „Christen ohne schwerwiegende Gründe zu töten“.
Im ebenso christlichen Irland stellte in den 20er und 30er Jahren jeder Zeuge einer der nicht ganz seltenen Wirtshausprügeleien die Frage: „Ist das hier ein privater Kampf, oder kann jeder mitmachen?“ Als jüngst Studenten eine Veranstaltung störten, antwortete ihnen der Professor: „Trillerpfeifen gehörten noch nie zum Instrumentarium intellektueller Auseinandersetzung. Sie sind Ausdruck von Gewalt und sonst nichts“. „Gewalt ist Gewalt“? Töten, mitprügeln, pfeifen?
Gewalt ist – zweitens – nie einfach Gewalt; Gewalt resultiert überall aus vielerlei Ursachen – selbst bei den auf identifizierbare Täter fixierten Juristen. Außer normativen Abstraktionen wie etwa der Differenzierung zwischen Mord und Totschlag kennen sie mildernde und verschärfende Umstände, die die Ursache für die Gewalt – den Täter – ent- oder belasten. Individuell zurechenbare Täterschaft allein ist eine grobianische Reduktion bei der Beurteilung von Gewalttaten. Für deren Verständnis sind solche Vereinfachungen so nützlich wie Fausthandschuhe fürs Klavierspielen.
Kompensiert wird der rustikale Reduktionismus oft mit mediengerecht-simplen, psychopolitischen und geschichtsphilosophischen Spekulationen etwa über die Kontinuität vom „Klassenmord im Namen des Proletariats“ über den „Rassenmord im Namen der Nation“ bis zum „Massenmord im Namen der Religion“. Befeuert von Projektionen zum „kollektiven Unbewussten“ wird so aus dem Islam eine genuin gewaltbereite Religion, als ob die unter der Firma „Islamischer Staat“ auftretende Ideologie mit der Religion identisch wäre.
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