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PLAKATIV Die großen Parteien haben die Stadt mit Plakaten zugepflastert. Doch am schönsten provozieren die Kleinen. Das Best-of der taz-Redaktion
von Erik Peter,Manuela Heim undamelie Preyhs
Piraten, Die Partei, FDP – es sind die Parteien an der Schwelle zur Bedeutungslosigkeit, die Kämpfer im Promillebereich, die dem Straßenwahlkampf in diesem Sommer ihren Stempel aufdrücken. Was sie haben – und was sie von CDU, SPD, Grünen und Linken unterscheidet –, ist der Mut der Verzweifelten. „Hallo, wir sind auch noch da“, scheinen ihre Plakate zu schreien. Schrill, provokativ, einfallsreich.
Und es funktioniert. Zwar hat etwa die SPD die Stadt mit 65.000 Laternen- und 800 Großplakaten zugepflastert, doch am Küchen- oder Kneipentisch lautet die Frage vielmehr: „Hast du schon das leuchtende Piraten-Plakat gesehen?“ Dabei hängt ebenjene Leuchtpappe nur an ein paar wenigen Laternen im Friedrichshainer Nordkiez.
Die Big Four bleiben klassisch – und einfallslos
Klasse statt Masse ist hier das Motto – die Verbreitung im Netz folgt zwangsläufig, auch über die Parteigrenze hinweg. Wer dagegen käme auf die Idee, Porträtplakate der Wahlkreiskandidaten Peggy Hochstätter (SPD) oder Canan Bayram (Grüne) durchs Netz zu schicken? Die Big Four bleiben klassisch – und einfallslos.
Neben den Gesichtern ihres mehr oder weniger bekannten Spitzenpersonals setzen sie auf Sprüche, die niemanden verprellen sollen, anschlussfähig nach allen Seiten sind. „Starkes Berlin“ – schwacher Auftritt. Als mutig gilt schon, wenn der Regierende Bürgermeister Michael Müller sich mit einer Frau mit Kopftuch abbilden lässt – und das auch noch ohne Logo der SPD.
Bei seinem ärgsten Konkurrenten und Koalitionspartner Frank Henkel sieht die Sache nicht besser aus: Der CDU-Frontmann versucht sein Hardliner-Image abzustreifen und sich auf einem Plakat mit seinem Sohn als treu sorgender Familienvater zu präsentieren. Und weil sich Henkel nur halb traut, seinen Sohn in die Öffentlichkeit zu zerren, schneidet das Bild ihn auch noch ab der Nasenspitze ab.
Ginge es nach den Hingucker-Plakaten der Saison – das Abgeordnetenhaus sähe zukünftig anders aus. Die Umfragen sagen jedoch natürlich etwas anderes. Ganz so entscheidend ist die Bildsprache dann wohl nicht.
Die wohl feigste Forderung kommt von Frank Henkels CDU. Verwirrte Wähler sollen bei den Christdemokraten bereits nach Videorekordern angefragt haben. Ihnen sei gesagt: Was die Partei eigentlich fordert, ist mehr Überwachung. Wie schade, dass es dafür keine nette Umschreibung gibt.
Das preisintensivste Kleinplakat des Wahlkampfs hängt wohl in und rund um die Rigaer Straße. Die Piraten weisen den Weg durchs sogenannte Gefahrengebiet mit dezenter Nachtbeleuchtung. Und wenn die glühend gelben Augen den einen oder anderen an die unangenehm riechenden Nagetiere aus „Star Wars“ erinnern – auch das dürfte der werbenden Partei recht sein.
Ob Oma Anni das lustig fände? Mit ihrem Plakat bedient die Linke als ostdeutsche Rentnerpartei zumindest nicht die Interessen ihrer Stammwähler. Den Kreuzberger Hipster dürfte das Plakat nach einer schlaflosen Nacht zumindest zum Grinsen gebracht haben. Still, allein, wenn er gerade auf die Bahn wartet.
Auferstehen aus Ruinen, scheint das Motto für die 1,8-Prozent-FDP der vergangenen Wahl zu sein. Spitzenkandidat Sebastian Czaja versteckt seine neoliberalen Ideen hinter sozialistischer Heldenästhetik. Irgendwo in der ehemaligen Sowjetunion verdrückt ein alter Werbegestalter sicherlich eine Träne des Stolzes.
Das schlicht gehaltene Poster der Partei überzeugt mit einer klaren Botschaft; zumindest bei kämpferischen Antifaschisten. Auch enttäuschte SPD-Wähler versucht Parteichef Martin Sonneborn mit seinem Kommentar abzuholen: „Hier könnte Sigmar Gabriel nicht hängen (zu schwer).“
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