Flüchtlinge auf der Balkanroute: Gestrandet im Niemandsland

An der serbisch-ungarischen Grenze in Röszke sitzen hunderte Flüchtlinge fest. Viele berichten von einer rüden Behandlung durch Ungarns Polizei.

fünf Männer, zum Teil in Decken gehüllt, auf freiem Feld

Hungerstreikende Flüchtlinge an der ungarisch-serbischen Grenze in Horgos Foto: dpa

RÖSZKE taz | Die Stimmung im „Niemandsland“ am ungarisch-serbischen Grenzübergang Röszke ist noch gedrückter als sonst. Hunderte Flüchtlinge kampieren hier an dem Grenzzaun in einem Zeltlager. Die provisorischen Unterkünfte schützen nicht – weder vor der sengenden Hitze noch vor sintflutartigen Regenfällen.

Einige der Flüchtlinge haben einen Hungerstreik hinter sich, diesen aber in der vergangenen Woche abgebrochen. Mit ihrer Aktion wollten sie gegen die Flüchtlingspolitik der ungarischen Regierung protestieren, die auf Abschottung setzt.

Die Iranerin Neda Hadzivan sitzt seit über einem Monat mit ihrer vierjährigen Tochter und ihrem einjährigen Sohn im Niemandsland fest. Die 25-Jährige ist verzweifelt. „Die Verhältnisse sind furchtbar. Wir müssen uns mit einer anderen Familie ein kleines Zelt teilen. Wir haben nicht genug zu essen und auch das Wasser reicht nicht“, sagt sie. Neda will weiter nach London, weil dort ihr Mann und Verwandte leben.

Unweit des Niemandslands befindet sich eine von zwei Transitzonen – ein umzäunter Containerterminal, der von schwer bewaffneten Soldaten bewacht wird. Dort finden täglich maximal 15 Personen Einlass. Nur in diesen Zonen, die nach Auffassung Budapests nicht auf ungarischem Boden liegen, können die Flüchtlinge einen Antrag auf Asyl stellen.

Asylstatus für 264 Personen

Während 2015 rund 177.000 Flüchtlinge einen Antrag stellten, waren es in diesem Jahr bislang 20.000 Personen. Einen Status erhielten seit 2015 insgesamt 264 Personen. Wird ein Antrag abgelehnt, werden die Betroffenen unverzüglich nach Serbien abgeschoben.

Am 5. Juli dieses Jahres trat in Ungarn ein Gesetz in Kraft. Dieses sieht vor, dass Flüchtlinge, die illegal über die Balkanroute nach Ungarn eingereist sind und bis zu einer Entfernung von acht Kilometern hinter der Grenze von der Polizei aufgegriffen werden, sofort an die Grenze zurückgebracht werden.

Seit dem 5. Juli versuchten rund 2.000 Personen die ungarische Grenze illegal zu überqueren, was 600 Flüchtlingen gelang. Sie alle wurden von Polizeikräften, die in den grenznahen Dörfern patrouillieren, aufgegriffen und wieder an die Grenze zurückgebracht..

Dabei geht die Polizei äußerst brutal vor. Das ist auch dem jüngsten Bericht von Human Rights Watch (HRW) zu entnehmen. Die US-Menschenrechtsorganisation befragte unter anderem 41 Migranten und Asylsuchende. Diese berichteten davon, von den Beamten getreten, geschlagen, mit Plastikhandschellen gefesselt und gezwungen worden zu sein, durch schmale Öffnungen in Stacheldrahtzäunen zu kriechen.

Bruch aller Regeln

„Im Umgang mit Asylsuchenden, die über Serbien ins Land kommen, bricht die ungarische Regierung alle Regeln. Sie lehnt ihre Ansprüche summarisch ab und schickt sie zurück über die Grenze“, zitiert der Bericht die HRW-Expertin für den Balkan und Osteuropa, Lydia Gall.

Auch Nenad Ivanišević, Staatssekretär im serbischen Ministerium für Sozialpolitik, kritisiert das Gesetz vom 5. Juli. Die Tiefenkontrolle habe zur Folge, dass ein Großteil der Flüchtlinge willkürlich abgeschoben, Serbien aber mit diesem Problem allein gelassen werde, sagte er gegenüber dem serbischen TV-Sender RTV.

„Wir suchen nach einer gemeinsamen europäischen Antwort. Man kann überhaupt nicht von einer geschlossenen Balkanroute sprechen. Denn in diesem Jahr haben bereits mehr als 102.000 Leute versucht, auf diesem Weg nach Ungarn zu kommen. Im Herbst erwarten wir eine steigende Zahl von Flüchtlingen. Diesem Problem müssen wir uns gemeinsam stellen“, sagte Ivanišević.

Ungarns Regierung hat klargemacht, wie sie sich diesem Problem stellen will. In der vergangenen Woche gab Präsident János Áder bekannt, dass für den 2. Oktober 2016 ein Referendum über die EU-Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen angesetzt worden sei. Danach müsste Ungarn knapp 1.300 Personen aufnehmen. Bei der Volksabstimmung lautet die Frage: „Wollen Sie, dass die EU über die Einwanderung nichtungarischer Staatsbürger nach Ungarn bestimmt?“

Die Regierung lehnt die Quotenregelung ab. Die Kampagne läuft in den sozialen Medien, aber auch auf Plakaten und im staatlichen Fernsehen. Da heißt es zum Beispiel: „Wussten Sie das? Die Anschläge in Paris haben Einwanderer verübt.“ Oder: „Wussten Sie das? Seit dem Beginn der Einwanderungskrise haben in Europa mehr als 300 Menschen bei Anschlägen ihr Leben verloren.“

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