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ADEL Vor fast 100 Jahren wurde in Bayern die Republik ausgerufen. Seitdem haben die Wittelsbacher nichts mehr zu sagen. Eigentlich. In Wirklichkeit residiert die einstige Königsfamilie noch in Schlössern und wird jährlich mit Millionen versorgt. Wie kommt’s, Herzog von Bayern?„Ich bin nicht traurig,dass ich kein König bin“

Gespräch und Texte Dominik Baur

taz.am wochenende: Königliche Hoheit, sind Sie eigentlich Republikaner?

Franz Herzog von Bayern: Ich bin zumindest ein Verfechter der parlamentarischen Demokratie. Denn die hat unser Land über 60 Jahre in einer Weise geformt, für die wir nur dankbar sein können. Und die Staatsform ist prima so, wie sie jetzt ist. Natürlich gibt es auch Monarchien mit einer gut funktionierenden parlamentarischen Demokratie.

Und Sie wären der König, wäre Bayern noch eine Monarchie.

Das stimmt. Aber ich bin nicht traurig darüber, dass ich es nicht bin.

Gab es denn nie Momente, in denen Sie klammheimlich bedauert haben, dass Sie nicht König geworden sind?

Ganz selten gab es mal Situa­tionen, wo ich gern irgendetwas durchgesetzt hätte und mir dann gedacht habe: Herrgott, wenn ich König wäre, könnte ich jetzt auf den Tisch hauen. Aber das war nie wirklich ernst gemeint.

Wären Sie ein guter Monarch?

Das weiß ich nicht. Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

In Max Frischs berühmtem Fragebogen gibt es eine Frage, die lautet: „Wenn Sie Macht hätten zu befehlen, was Ihnen heute richtig scheint, würden Sie es befehlen, gegen den Widerspruch der Mehrheit? Ja oder nein.“ Was wäre Ihre Antwort?

Nein. Ich würde mich der Meinung der Mehrheit beugen – und trotzdem zu meiner Überzeugung stehen. Aber die Frage ist perfide, weil sie nicht realistisch ist. Gott sei Dank werde ich nie in diese Situation kommen.

Wenn man Sie schon nicht mit der bayerischen Krone locken kann: Den Jakobiten, den Anhängern des englischen Königs Jakob II., zufolge haben Sie ja als Francis II. Anspruch auf den Thron der Queen. Wäre das nichts?

Das habe ich auch schon gehört. Ich sehe das als charmante historische Kuriosität.

Es stimmt also: Sie hätten Anrecht auf den britischen Thron?

Zumindest gibt es diese heiß diskutierte Theorie. Ich kann Ihnen das aber auch nicht genau erklären. Es hat etwas mit dem unglaublich komplizierten schottischen Erbrecht zu tun und damit, wer die älteste Verbindung zum letzten regierenden Haus in Schottland hatte. Die Königin von England ist mit diesem fast genauso verwandt wie unsere Familie. Über Jahrzehnte habe ich immer wieder Briefe von den Jakobiten gekriegt: Ja, Sie sind unser Prätendent, und später hieß es dann: Wir haben es uns überlegt, Sie sind es doch nicht. Für mich war das immer ein Grund zur Heiterkeit.

Sie sind 1933 geboren. An einem revolutionären Datum, dem 14. Juli. Was sind Ihre ersten Kindheitserinnerungen?

Meine ersten Kindheitsjahre waren völlig friedlich. Wir haben in Wildbad Kreuth gewohnt, und da war es wunderschön. Dass es eine unruhige Zeit war, habe ich später dann zwar schon gespürt, aber Kinder erfassen Bedrohungen nicht so stark.

Sie sind nach Ungarn, in die Heimat Ihrer Mutter, geflohen.

Ja, und zwar buchstäblich über Nacht. Ich hab damals aber nicht kapiert, dass das eine Flucht war. Wir sind halt weggefahren. Da hat man mehr darauf geachtet, dass der Kompass, den man geschenkt bekommen hat, mit ins Gepäck kommt. Eigentlich war das eher aufregend.

Vor der Machtergreifung sollen die Nazis den Wittelsbachern ja Avancen gemacht haben …

Das glaube ich auch. Die Natio­nalsozialisten haben immer wieder versucht, die Familie einzubinden. Diese Annäherungsversuche hat aber mein Großvater, der Kronprinz Rupprecht, von Anfang an sehr schroff zurückgewiesen.

Das heißt, Ihre Familie wurde nicht verfolgt, weil Sie die früheren Monarchen waren, sondern wegen der ablehnenden Haltung Ihres Großvaters den Nazis gegenüber?

Genau. Mein Großvater hat sicher früher als andere das Spiel der Nazis durchschaut. Und da er beliebt bei der Bevölkerung war und als ehemaliger Generalfeldmarschall Einfluss ins Militär hinein hatte, war er eine potenzielle Gefahr für die Nazis.

1944 wurden Sie und Ihre Familie von der Gestapo verhaftet und ins Konzentrationslager verschleppt. Insgesamt waren Sie dann noch neun Monate in Sachsenhausen, Flossenbürg und Dachau. Welche Bilder kommen da hoch, wenn Sie an diese Zeit denken?

Das war schon eine sehr bedrohliche Situation. Wir waren damals auf dem Land in Ungarn bei einem Onkel. Und da sind drei oder vier Männer aufgetaucht und haben uns gesagt, dass wir zurück nach Deutschland müssten. Sie haben uns zwölf Stunden gegeben, um einen kleinen Koffer zu packen. An dem, was die Eltern uns geraten haben einzupacken, habe ich schon gesehen, dass das alles sehr ungewöhnlich war. Als wir dann ins Konzentrationslager kamen, war uns völlig klar, was das bedeutet.

Und zwar?

Dass wir da lebend nicht mehr rauskommen werden. Das haben wir damals alle gedacht.

Sie haben mal gesagt, Sie seien „Sonderhäftlinge“ gewesen. Wie kann man sich das vorstellen?

Die Nazis befürchteten offensichtlich, es könnte bekannt werden, dass wir inhaftiert sind. Wir bekamen andere Namen, und es wurde uns strengstens verboten, irgendjemandem gegenüber unsere richtigen Namen zu nennen. Wir waren die meiste Zeit völlig isoliert. Aber wir durften als Familie zusammenbleiben. Das hat uns letzten Endes sicher gerettet.

Wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass Sie ein Wittelsbacher sind?

Viel später. So richtig bewusst wurde mir das erst ein paar Jahre nach dem Krieg. 1949 hat mein Großvater seinen 80. Geburtstag gefeiert. Da gab es eine große Feier, und wir sind aus der Schule geholt worden. Da habe ich zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, dass alle Leute uns anschauen.

Sie waren damals im Internat in Kloster Ettal. Eine schöne Zeit?

Eine wunderbare Zeit. Für mich war das damals eine Zeit der Freiheit.

Ettal hat in den vergangenen Jahren eher unrühmliche Schlagzeilen gehabt – aufgrund von Missbrauchsfällen vor allem in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren. Gab es so etwas während Ihrer Zeit auch?

Kein Hauch.

Hätten Sie es gemerkt, wenn es so etwas gegeben hätte?

Deportation, 1944 „Sie haben uns zwölf Stunden gegeben, um einen Koffer zu packen. An dem, was die Eltern uns geraten haben einzupacken, habe ich gesehen, dass das alles sehr ungewöhnlich war. Als wir dann ins Konzentrations-lager kamen, war uns völlig klar, was das bedeutet“

Davon bin ich überzeugt. Es war nie irgendetwas spürbar oder auch nur denkbar.

Was bedeutet Familie für Sie?

Das sind zum einen die Menschen, mit denen man verwandt ist und die einem nahestehen. In unserem Fall gibt es aber auch die Familie, die zusammenhalten muss und die hier im Land auch versucht, eine Aufgabe zu erfüllen. Die ist mir sehr, sehr wichtig.

Was für eine Aufgabe?

Wir müssen immer über die ­eigenen Interessen hinaus versuchen da zu sein für die Menschen im Land. Wir wollen Brücken bauen und einen freien, neutralen Grund bieten, auf dem sich alle begegnen können. Dazu gehört es auch, ein großes Kontaktnetz im ganzen Land zu pflegen – zu Bürgermeistern, zu Vereinen … Es kann uns eigentlich nichts egal sein, was in Bayern passiert.

Woher leiten Sie diese besondere Aufgabe ab? Ihre Familie hat seit fast 100 Jahren keine offizielle Funktion mehr.

Das ist eben die historische Komponente. Wir spüren in der Familie, dass man uns im ganzen Land mit großem Respekt und mit großer Sympathie entgegenkommt. Dem wollen wir antworten. Wir wollen da auch etwas zurückgeben.

Sie selbst nennen sich „Chef des Hauses Bayern“. Was heißt das?

Zu sagen habe ich eigentlich nichts. Ich kann nur versuchen zu überzeugen. Ich muss schauen, dass die Familie zusammenhält, dass Frieden herrscht. Und ich muss gerade auch der jungen Generation ein bisschen klar machen, dass ein Titel nicht Glanz bedeutet, sondern nur dann Sinn hat, wenn man eine Aufgabe damit verbindet.

Betrachten Sie sich denn als Repräsentanten des Freistaats?

Nein, aber der Freistaat ist, glaube ich, dankbar, wenn wir helfen, das Bild Bayerns mit darzustellen.

Wie politisch darf oder muss ein Wittelsbacher dabei sein?

Wir sind Staatsbürger wie alle anderen, und ich finde, kein Bürger des Staates darf völlig apolitisch sein. Aber wir Wittelsbacher sollten uns aus parteipolitischen Bindungen heraushalten.

Wenn ich Sie jetzt etwa fragen würde, wie Sie zur Flüchtlingsproblematik stehen …

… würde ich Ihnen dazu nichts sagen können. Aber nur deshalb, weil ich selbst ratlos bin. Uns allen zerreißt es das Herz, was mit diesen Menschen geschieht. Natürlich überlegt man sich, was man selbst tun kann. Natürlich wissen wir aber auch, dass wir nicht unbegrenzt alle Flüchtlinge bei uns aufnehmen können, dass dann irgendwann hier im Land auch Ängste entstehen würden, die in eine Ablehnung umschlagen könnten. Und wir wissen auch, dass wir alles tun müssen, damit den Menschen da, wo sie jetzt sind, in der Türkei, im Libanon, in Jordanien, in den Lagern, geholfen wird. Dazu sind wir auch als Christen verpflichtet.

Sie gehen aber schon zur Wahl?

Ja. Früher habe ich damit aber gezögert, weil ich nicht wusste, inwieweit ich damit meine Neutralität aufgebe. Aber in den letzten Jahren bin ich schon zur Wahl gegangen. Da hat sich mein Denken geändert.

Wie ist das Verhältnis zu den tatsächlichen Repräsentanten des Freistaates?

Völlig entspannt. Ich habe Zugang zu allen. Die haben immer offene Türen für uns und hören uns an. Das heißt natürlich nicht, dass dann zwangsläufig auch die Entscheidungen in unserem Sinne getroffen werden. Auch mit den Ministerpräsidenten hatten wir immer ein sehr respektvolles Verhältnis. Es hat sich in einigen Fällen ja sogar eine persönliche Freundschaft entwickelt. Wilhelm Hoegner etwa war mit meinen Eltern gut befreundet.

Hoegner, wohlgemerkt ein Sozialdemokrat, hat zum Begräbnis Ihres Großvaters sogar die Krone aus der Residenz holen und auf den Sarg legen lassen.

Das war eine ungeheuer noble Geste. Es hat gezeigt, wie souverän Hoegner gedacht hat. Er wusste, dass seiner parlamentarischen Demokratie keinerlei Einbuße geschieht, wenn er die geschichtliche Rolle meines Großvaters, der noch in der Monarchie geboren und der Kronprinz des Landes war, anerkennt.

Wie erklären Sie es sich, dass die Bayern 1918 zwar die Monarchie abgeschafft haben, aber doch sehr freundlich mit den ehemals Herrschenden umgegangen sind?

Unsere Familie hat in Bayern immer hohes Ansehen gehabt. Das war sicherlich einer der Gründe. Ich glaube, es war Kurt Eisner, der gesagt hat: Wir haben die Revolution gegen die Monarchie gemacht und nicht gegen die Wittelsbacher. Der Staat hat sich damals auch bewusst gegen Enteignungen entschieden. Das hat nicht nur die Wittelsbacher betroffen, sondern sehr viele andere private Eigentümer auch.

Aber bei Monarchen dürfte es besonders schwierig sein, zwischen Privat- und Staatseigentum zu unterscheiden.

Schwierig wurde das erst Anfang des 19. Jahrhunderts. Damals hat König Max I. den Großteil seines Eigentums dem Staat übereignet, aber dafür die Erträge daraus für seine Familie beansprucht. Das war die sogenannte Zivilliste. So sind die privatrechtlichen Ansprüche entstanden. Man konnte aber nicht sagen, dieses Gut oder dieser Wald oder dieses Schloss hat einmal der Familie gehört und muss nun zurückgegeben werden. Man konnte nur die ungefähre Höhe des Anspruchs schätzen.

So kam es zum Wittelsbacher Ausgleichsfonds, einer 1923 eingerichteten Stiftung, deren Erträge Ihrer Familie zugutekommen.

Genau. Es ist allerdings nicht so, dass wir in irgendeiner Art alimentiert würden oder gar Geld vom Staat bekämen.

Aber Sie sind doch durch diese Stiftung privilegiert.

Aber dann ist doch eigentlich jeder, der ein größeres Vermögen erbt, privilegiert. Ich verstehe unter einem Privileg etwas anderes.

Die Regelungen des Ausgleichsfonds sehen außerdem besondere Wohn- und Jagdrechte für die Wittelsbacher vor. So dürfen Sie selbst etwa mietfrei in einer Wohnung im Schloss Nymphenburg wohnen.

Das ist sicher ungewöhnlich. Und ich habe auch durchaus Verständnis, wenn das der eine oder andere unzeitgemäß findet. Aber ein Privileg klingt für mich wie etwas, was einem aus Gunst verliehen wurde. In unserem Fall waren es aber rein privatrechtliche Ansprüche. Es wurden keine Vergünstigungen gewährt. Hätte man sich damals für eine rein finanzielle Entschädigung entschieden, würde heute vermutlich kein Hahn mehr danach krähen. Dann wäre das alles nur noch eine Frage des Erbrechts – wie bei anderen reichen Familien. Aber dann wäre beispielsweise auch der enorme Kunstbesitz meines Großvaters nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich, sondern würde früher oder später irgendwelchen Erbaufteilungen zum Opfer fallen. Diese Gemälde hat mein Großvater als Schenkung aus seinem Privatvermögen in den Fonds eingebracht, damit sie der Öffentlichkeit zugänglich bleiben.

Wie erklären Sie es sich, dass zum Beispiel die Habsburger eine ganz andere Behandlung erfahren haben?

Die sind einfach enteignet worden. Da stellt sich eben die Grundsatzfrage, was man von Enteignungen hält.

Sind die Österreicher revolutionärer als die Bayern?

Österreich war ja immer nur ein kleiner Teil des riesigen habsburgischen Reiches. Vielleicht ist es in dem Moment auch eine Gnade für uns gewesen, dass Bayern nicht so groß war und dass die Familie immer hiergeblieben ist. Deshalb war die Freundschaft zwischen dem Land und der Familie sehr eng.

Die Grünen haben nun größere Transparenz gefordert. Konkret soll der Oberste Rechnungshof den Ausgleichsfonds wieder regelmäßig prüfen.

Das berührt mich nicht wirklich. Dafür ist die Staatsregierung zuständig. Ich bin aber davon überzeugt, dass der Fonds vor einer Prüfung durch den ORH keine Angst zu haben bräuchte. In jedem Fall ist es gut, wenn es eine gewisse Transparenz gibt. Wir haben da keine Geheimnisse.

Dominik Baur, 44, ist Bayern­korrespondent der taz und Republikaner, schätzt aber auch manche Könige – etwa Alfons den Viertelvorzwölften

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