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Malen als Form der Kommunikation

ZEICHNEN Kunsttherapien versuchen, die Folgen einer Demenzerkrankung abzumildern. Wenn Sprechstörungen zunehmen, ist das eine Möglichkeit für Erkrankte, sich anderen mitzuteilen

von André Zuschlag

Auf dem großen eckigen Tisch liegen bereits Pinsel, Tuschkästen, dutzende Bunt- und Bleistifte, große und kleine weiße Zeichenblätter. Eine ältere Dame sitzt schon an ihrem Platz im Andachtsraum, in dem sonst die Zeremonien für Verstorbene abgehalten werden. Susanne Scheffczyk-Spalek holt zwei Patientinnen aus dem zweiten Stock. Auf den neun Plätzen am Tisch liegt jeweils ein großes Blatt mit einem Namen – als Hinweis, damit die TeilnehmerInnen wissen, wo sie sitzen. Als alle auf ihren Plätzen sind, verteilt Scheffczyk-Spalek Ausmalbilder und bereits halbfertige Zeichnungen von Blumen oder von Landschaften. Dann geht es los – statt der Toten zu gedenken, startet hier nun die wöchentliche Kunsttherapie für Menschen mit Demenz.

Gegenwärtig gibt es in Deutschland rund 1,6 Millionen Demenzkranke. Die Tendenz ist kontinuierlich steigend. Derzeit wächst deren Zahl um 40.000 Menschen pro Jahr. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer, einerseits wegen der höheren Lebenserwartung, andererseits liegt es wohl auch an der unterschiedlichen Genetik der Geschlechter – die Medizin streitet noch über die genauen Gründe. Bis jetzt, so ist man sich einig, gibt es für an Demenz Erkrankte keine Heilmöglichkeiten. Jedoch gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die die Erkrankung abzumildern versuchen. Ziel der Therapien ist es, den Betroffenen so lange wie möglich ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

„Je nach der Art der Demenz muss dann über die richtige Therapieform entschieden werden“, sagt Sonja Schneider-Koch von der Diakonie Hamburg, denn: Es gibt 110 verschiedene Demenzformen. Die Kunsttherapie ist eine der Möglichkeiten. Scheffczyk-Spalek ist Heilpraktikerin für Psychotherapie sowie Kunst- und Gestalttherapeutin. Einmal pro Woche bietet das Seniorenzentrum St. Markus in Hamburg-Eimsbüttel unter ihrer Leitung eine Gruppenkunsttherapie an.

Die meisten der TeilnehmerInnen kommen mit dem Malen weitgehend selbstständig zurecht. Andere muss die Kunsttherapeutin motivieren. Demenzkranke verlieren das Interesse an ihren Hobbys manchmal vollständig, ohne Freude an neuen Aufgaben zu finden. Scheffczyk-Spalek betreut nacheinander die PatientInnen und betrachtet das Gezeichnete. Manche zeichnen sehr schnell, andere sehr langsam oder immer nur eine kurze Zeit lang. „Das hat mit der Schwere der Krankheit zu tun“, sagt sie. Von den älteren Damen und Herren sind nicht alle demenzerkrankt. „Die Runde soll offen für alle sein, die Lust zum Zeichnen haben.“ Das Malen in der Gruppe hält Scheffczyk-Spalek für wichtig, weil die einzelnen PatientInnen spüren würden, dass sie mit ihren Problem nicht allein sind: „Wir reden auch viel gemeinsam über die gemalten Bilder und die positiven Reaktionen der anderen gibt den Patienten Selbstvertrauen“, sagt sie.

Bei Demenzkranken nimmt nicht nur das Erinnerungsvermögen ab, sondern auch die Fähigkeit, klar zu denken und Zusammenhänge zu erfassen. Häufig ändert sich ihr typisches Verhalten grundlegend. „Das Malen wird zu einer Form der Kommunikation“, sagt Scheffczyk-Spalek. Gefühle und Stimmungen können demente Menschen in dieser Form mitteilen. Sie arbeitet auf der non-verbalen Ebene, um PatientInnen die Möglichkeit zu geben, sich mitzuteilen. Denn mit der Erkrankung gehen zunehmend Sprechstörungen einher.

„Psychische Bewegung, also Freude oder Trauer beispielsweise, können Demenzkranke durch das Malen vermitteln“, sagt sie. Die Kunsttherapie erreiche Demenzpatienten auf der emotionalen Ebene. Mitunter kämen PatientInnen die Tränen. Eine emotionale Verarbeitung von Erlebnissen finde also trotz der Erkrankung noch statt. In den meisten Demenzfällen ist zwar das Kurzzeitgedächtnis betroffen, das Langzeitgedächtnis bleibt aber oft noch lange Zeit funktionstüchtig: „Im Alltag kommen die Gefühle an die Erinnerungen nicht raus, aber beim Malen löst sich bei ihnen was“, sagt Scheffczyk-Spalek.

SUSANNE SCHEFFCZYK-SPALEK, therapeutin

Im Seniorenzentrum St. Markus gibt es ein ganzes Stockwerk für Demenzerkrankte. 29 Menschen erhalten dort eine spezialisierte Pflege. „Die Betreuung ist hier wesentlich umfangreicher als in den anderen Stockwerken“, sagt Wolfgang Janzen, der Leiter der Einrichtung. Das Entscheidende beim Umgang mit Demenzkranken sei, dass ihnen Empathie entgegengebracht werde. „Wir müssen die Menschen in ihrer Lebenswelt abholen“, sagt Janzen. Es gehe darum, Angebote zur aktiven Teilnahme zu bilden.

Nach einiger Zeit setzt sich Scheffczyk-Spalek zu einer Patientin. Sie zeigt ihr verschiedenfarbige Buntstifte. „Mit welcher Farbe möchtest du denn heute zeichnen?“, fragt sie. Die Patientin greift nach dem roten Stift. Scheffczyk-Spalek hilft ihr, den Stift in der richtigen Position zu halten. Sie zeichnet mit dem roten Stift etwa eine Minute lang eine ununterbrochene Linie. Die Hand der Therapeutin unterstützt die Bewegung am Unterarm der Patientin ganz leicht. „Nur in Momenten, wo es etwas stockt und ich die Unsicherheit spüre, übe ich ganz leichten Druck aus.“ Mit einem blauen Buntstift wiederholt sich der Vorgang. Beim ersten Durchgang waren es kreisförmige Bewegungen, diesmal wechselt die Patientin häufig die Richtung. Bei diesen Vorgängen handele es sich um sogenannte Bewegungsbilder. Für den Außenstehenden mag es wie eine Kritzelei aussehen und wenig mit malerischer Kommunikation zu tun haben. „Diese Bilder lassen sich im Anschluss aber psychotherapeutisch analysieren“, sagt Scheffczyk-Spalek.

Kurz vor dem Ende der Sitzung herrscht eine konzen­trierte Ruhe. Einzig das Rascheln der Zeichenblätter, das Kritzeln der Stifte und hier und da ein kurzes Schnaufen sind zu vernehmen. Im Unterschied zu anderen Therapien ist das Malen praktisch angelegt. Das, was man bei Demenzkranken als „vor sich hin dämmern“ bezeichnet, gibt es zumindest während der Therapiesitzung nicht.

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