Für Europäer bald nur noch eine Touristenattraktion? Die renommierte Cambridge University Foto: Justin Suttcliffe/Polaris/laif

Ausländische Profs packen die Koffer

Brexit An britischen Universitäten macht sich Nervosität breit. Viele Forschungs-projekte bezahlt die EU. Was passiert mit ihnen nach dem Austritt? Zahlreiche WissenschaftlerInnen sind ratlos – und ziehen Konsequenzen

Aus London Daniel Zylbersztajn

Professor Ali Mobasheri ist resigniert. Jahrelang hatte der Mediziner dafür gekämpft, an der University of Surrey im Südosten Englands an Behandlungsmethoden für Ar­thro­se­patienten forschen zu können. Heute bezieht er Millionen aus dem Forschungstopf der Europäischen Kommission – FP7 – und vom Pariser Marie-Curie-Institut. „Meine Arbeit hängt zu 100 Prozent von der EU ab“, sagt Mobasheri niedergeschlagen. Wie es nach 2020 mit seiner Forschung weitergeht, weiß er nicht. Da endet die Laufzeit seiner Fördergelder. Und neue bekommt er wohl nicht mehr. Seine Teampartner aus anderen EU-Ländern wollen seinen Namen nicht mehr in die Bewerbungsunterlagen für die Folgefinanzierung schrei­ben. Er, der höchstgestellteste Teamleiter, könnte das Projekt gefährden – weil er im falschen Land forscht.

So wie Mobasheri geht es zurzeit vielen ForscherInnen in Großbritannien. Sie fühlen sich durch den Brexit um ihre Anstrengungen betrogen und fürchten seine Konsequenzen. Für ihre Forschung und für sich und ihre Familien. Ali Moba­she­ri glaubt, dass ihm ohne eine verbindliche Garantie nichts anderes bleibt, als auszuwandern.

Eine in Portugal ausgebildete Astrophysikerin packt bereits ihre Koffer. Seit vielen Jahren forscht sie an einer der besten Unis im Land an einer Raumfahrtmission. Nun, nachdem Ja der Briten zur Austritt aus der EU, fühlt sie sich nicht mehr willkommen: „Trotz meiner vielen Jahre hier bin ich plötzlich Ausländerin“, klagt sie. Ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. „Vielleicht muss ich mich in ein paar Jahren ja um britische Fördergelder bemühen, dann nehmen sie mir diese Worte vielleicht übel.“

An den britischen Hochschulen rumort es. Auch wenn sie sich nach außen zurückhaltend zu den Folgen des Referendums äußern. Nur wenige wie die Sheffield-Hallam-Universität beschwerten sich offen über den Brexit. Die meisten schicken auf Anfrage zurückhaltende Pressemitteilungen.

Die Vorsicht liegt auf der Hand. Jedes Jahr kommen 125.000 Studenten aus EU-Ländern an eine der 163 britischen Universitäten. Mehr als eine Milliarde Pfund aus europäischen Wissenschaftsfonds wie dem European Research Grant oder Horizont 2020 stehen auf dem Spiel. Ganze 18 Universitäten, warnt der „Digital Science Report“, könnten aufgrund des Brexit die Hälfte ihrer Einnahmen verlieren.

Weniger diplomatisch als die Pressestellen ihrer Unis äußern sich die Wissenschaftler. Etwa Professor Richard Kitney vom Imperial College in London. Der renommierte Biologe, der sich selbst als unpolitisch bezeichnet und behauptet, noch nie auf einer Demonstration gewesen zu sein, gerät beim Stichwort Brexit in Rage. „Was wissen die Politiker, von denen die große Mehrheit keine Wissenschaftler sind, über wissenschaftliche Prozesse?“ Für Forscher aus der EU sei Großbritannien, trotz der Anziehungskraft der USA, immer attraktiv gewesen. Zwei seiner Mitarbeiter am Lehrstuhl kämen aus EU-Staaten, sagt Kitney. Doch ob sie auch nach dem Brexit im Land bleiben können? Nicht alle Politiker würden das in Aussicht stellen, ärgert er sich. Noch mehr ärgert den Biologen, dass der Brexit der eigenen Wirtschaft schade. „Seit Jahrzehnten baute ich Projekte mit der Industrie auf, und nun das“, schimpft er. 150 Mil­liar­den Pfund sei seine Branche Wert. Die fehlenden Gelder aus EU-Töpfen werden sich auch in der Wirtschaft bemerkbar machen: „Mit dem Brexit hat sich Großbritannien ins eigenen Bein geschossen.“

Das glaubt auch Ralph Levinson vom University College London. Der Erziehungswissenschaftler finanziert sich fast zur Hälfte aus EU-Geldern. Jährlich 250.000 Pfund stehen ihm so zusätzlich zur Verfügung. „Es ist einfach nur traurig“, sagt Levinson. „Meine Forschung und mein persönliches Leben profitierten sehr von diesen Beziehungen.“ Ob Nachwuchswissen­schaftler dieselben Chancen ha­ben werden wie er selbst? Levinson ist da pessimistisch. Und umgekehrt fürchtet er, dass Europäer nicht mehr nach Großbritannien kommen könnten: „Viele Forscher aus anderen Ländern sehen in unserem Land nun einen Risikofaktor für ihre Karriere.“

Forscher wie Ricardo Guidi. Der 28-Jährige erforscht Asthma und Allergien am ­Crick-Institut in London. Guidi verkörpert die Vorteile, die der europäische Weg der Integration seinen Bürgern bietet. Nach dem Stu­dium in Bologna machte er in Schweden seinen Doktor. Für eine Postdoc-Stelle ist er nun nach London gezogen. „Mir hat vor allem die Standardisierung der Abschlüsse geholfen“, sagt er. Doch nun, nach „dieser emotionalen Abstimmung“, sei der wissenschaftliche Standort U. K., einem der „gegenwärtig interessantesten Knotenpunkte“ der Welt, gefährdet. „Ich bin sehr, sehr traurig“, sagt Guidi und gesteht, dass er gerade das renommierte Massachusetts Institute of Technology in den USA anpeilt.

Rette sich, wer kann. Das ist die Stimmung unter heimischen und ausländischen Forschern. Sie müssen in der Unsicherheit dieser Tage ihre persönlichen Konsequenzen ziehen.

Der britische Minister für Universitäten und Wissenschaft, Jo Johnson – der Bruder des Brexit-Unterstützers Boris Johnson –, versucht, ausländische Forscher zu beruhigen. Am Arbeitsrecht von EU-Bürgern werde sich durch den Brexit nichts ändern. Forscher, die etwa über Horizont 2020 oder ein anderes EU-Programm angestellt sind, müssten keine Konsequenzen fürchten.

„Ich fühle mich durch das Referendum abgestoßen“

Illaria Bellantuono, Sheffield University

Zahlreiche Wissenschaftler bezweifeln jedoch, dass sie weiter gefördert werden, auch wenn Minister Johnson verspricht, keine Diskriminierung britischer Wissenschaftler zu dulden. So sieht ein Agrarforscher, der mithilfe von EU-Geldern Getreidesorten auch für klimatische Ex­trem­gebiete überlebensfähig machen will, seine Forschung vor dem Aus. Sie sei zu wenig akzeptiert, glaubt er. Verlierer seien beide Seiten, glaubt er, nicht nur er und sein Team, sondern auch seine EU-Partner, die nicht mehr direkten Zugang zu seinen Forschungsprojekten hätten. Zudem sei auch die lokale Agrarwirtschaft betroffen, sollten sich die Forschung verlangsamen oder gar zum Stillstand kommen.

Einer der wenigen Wissenschaftler, die sich keine Sorgen machen, ist Andrea Ferrari. Der Professor für Nanotechnologie leitet an der Cambridge University eines der größten EU-Forschungsprojekte: Am „Gra­phe­ne Flagship“ forschen in 23 Ländern 150 Wissenschaftler, um aus Graphenen, einem Gitter aus Kohlenstoff­atomen, einen industrietauglichen Werkstoff zu machen. Ihr Budget für zehn Jahre beträgt eine Mil­liar­de Euro. Ein Grund für Ferrari, gelassen zu bleiben: „Wir sind immer noch in der EU, Großbritannien zahlt nach wie vor seine Beiträge und bestimmt, ob und wann der Austrittsartikel 50 ausgerufen wird.“ Für Ferrari bedeutet das also: Business as usual. Das hätte ihm auch der Vertreter der Europäischen Kommission in einem Gespräch versichert. Ferrari warnt deshalb mit Blick auf Forschungsgelder und offene Stellen: „Wer heute Briten bei Bewerbungen diskriminiert, verstößt gegen geltendes Recht.“ Die nächsten zwei bis vier Jahre werde sicher alles beim Alten bleiben, glaubt Ferrari.

Ähnlich argumentierten auch die Brexit-Befürworter. Im Untersuchungsausschuss für Wissenschaft und Technik, der unmittelbar nach der Abstimmung zusammenkam, wies Professor Angus Dagleish darauf hin, dass die Kooperation zwischen europäischen Ländern schon vor den Maastrichter Verträgen bestanden habe, beispielsweise mit dem Labor für Molekularbiologie Cern oder der Europäischen Raumfahrtagentur ESA.

Wichtig sei, dass Großbritannien mehr Geld in den eigenen Wissenschaftsbereich stecke. Momentan subventioniere die Europäische Union, was der britische Staat nicht zahle. Und dass der wissenschaftliche Austausch mit der Europäischen Union nicht auslaufe, sei auch im Interesse des Festlands. Acht der zehn besten Universitäten Europas seien im Vereinigten Königreich. Mehr Nobelpreisträger habe kein europäisches Land. Großbritanniens könne bessere Sonderverträge mit der EU aushandeln als Norwegen, Israel oder die Schweiz.

Diese Bedenkenlosigkeit teilen nicht alle. Professorin Illaria Bellantuono von der Sheffield-Universität etwa rechnet mit bürokratischen Hürden. Etwa dass Projektgelder später als bisher üblich ausgezahlt werden. Gerade hat Bellantuono eine Bewerbung für weitere Fördermittel abgeschickt. Sie will Klarheit, welche Auswirkungen der Brexit auf ihre Forschung nimmt. Dafür hat sie schon zu viel in ihre Arbeit und ihren neuen Lebensmittelpunkt Sheffield investiert. „Ich fühle mich durch das Referendum abgestoßen. Und ich bereue, dass ich hierher gezogen bin.“